Atomkraft: Beteiligung des Bundesrats:Grüne drohen im Atomstreit mit Verfassungsklage

Muss der Bundesrat der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zustimmen? Nein, sagt die Regierung. Doch, sagen die Grünen - und legen ein neues Gutachten vor. Schwarz-Gelb droht eine Verfassungsklage.

Die Regierung schwärmte von einer "Revolution" in der Energiepolitik. Die Gegner der Atomkraft schäumten vor Wut: Dass Union und FDP die Kernkraftwerke in Deutschland länger am Netz lassen wollen - durchschnittlich zwölf Jahre -, brachte Zehntausende Demonstranten auf die Straße.

Ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten macht den Gegnern Hoffnung: Es kommt zu dem Schluss, dass der Bundesrat bei der Laufzeitverlängerung mitbestimmen muss. Union und FDP halten das für unnötig - sie haben in der Länderkammer keine Mehrheit. Bleibt die Regierung bei dieser Haltung, droht ihr juristischer Ärger: Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigte an, das Bundesverfassungsgericht einzuschalten.

Trittin beruft sich auf ein Gutachten des Verfassungsrechtler Alexander Roßnagel, der das Vorgehen der Regierung für verfassungswidrig hält. Rechtsexperten streiten seit Wochen über die Notwendigkeit, den Bundesrat einzuschalten. Roßnagel begründet seine Einschätzung mit den Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Atomaufsicht der Länder.

Zum einen verlängere sich die Dauer dieser Aufsichtsfunktion erheblich. Zum anderen kämen neue Aufgaben bei der Durchsetzung von Sicherheitsstandards auf die Landesverwaltungen zu, die die Atomaufsicht im Auftrag des Bundes übernehmen, schreibt Roßnagel in seinem Gutachten.

Der Jurist rechnet vor, dass die von der Regierung gewünschte Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Reaktoren um acht bis 14 Jahre einen erheblichen Schritt bedeute. Mit dem Konsens über den Atomausstieg im Jahr 2000 seien allen Reaktoren zusammen noch 250 Betriebsjahre zugestanden worden. Davon seien Ende 2010 bereits 183 abgelaufen; es blieben also ohne neues Gesetz noch 67 Jahre. Stattdessen wolle die Regierung den Betreibern nun noch 196 Betriebsjahre zugestehen - eine Verdreifachung.

"Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Gesetz zur Verlängerung der Laufzeiten der Zustimmung des Bundesrats bedarf", erklärten die Grünen. "Das Bundesverfassungsgericht könnte das Gesetz für nichtig erklären."

Trittin fügte an: "Es ist sehr, sehr absehbar, dass, wenn die Bundesregierung diesen Weg gehen wird, wir eine Klage anstrengen, der sich die nötige Zahl von Abgeordneten im Deutschen Bundestag anschließen wird." Zunächst werde aber die Verabschiedung des Gesetzes abgewartet. Der Bundestag berät am Donnerstag abschließend darüber.

Die Grünen allein haben nicht genug Stimmen für eine Normenkontrollklage, die laut Paragraf 93 des Grundgesetzes "bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze" angestrengt werden kann. Das Quorum liegt bei 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten.

Trittin hat keine Zweifel daran, dass die Opposition diese Hürde überwinden können: Er sprach von positiven Vorgesprächen mit der SPD und anderen Fraktionen. Ein Eilverfahren sei allerdings nicht geplant, sagte der Fraktionschef. Eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren würde laut Roßnagel vermutlich bis zu einem Jahr dauern.

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