Atomdebatte in Deutschland:Erst mal abschalten

"Die Betreiber fallen um wie Regime in Nordafrika": Die Bundesregierung will Tatkraft beweisen und legt die sieben ältesten Atommeiler vorübergehend still. Über deren Zukunft aber sagt sie noch nichts. Vieles hängt nun vom guten Willen der Betreiber ab.

Michael Bauchmüller

Draußen vor dem Kanzleramt brüllen sie nicht mehr nur "Abschalten, abschalten" wie sonst. Die Demonstranten rufen jetzt "Aufwachen, aufwachen", als die Ministerpräsidenten von fünf Betreiberländern ins Kanzleramt einfahren. Dabei sind die hellwach, einige haben am Morgen schon mit den Betreibern der jeweiligen Kernkraftwerke gesprochen. Ab jetzt wird abgeschaltet.

Isar 1, nicht weit von München - bald vom Netz. Neckarwestheim 1, bei Stuttgart - demnächst stillgelegt. Brunsbüttel und Krümmel im Norden - so gut wie aus. "Die Betreiber fallen um wie Regime in Nordafrika", sagt ein hoher Regierungsbeamter. Wie eine Schockwelle fegt die Reaktorkatastrophe in Japan über die deutsche Energiepolitik hinweg.

Schauplatz ist, wieder einmal, das Bundeskanzleramt. Für den Morgen hat die Kanzlerin die Ministerpräsidenten von Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingeladen. Sie will jetzt Nägel mit Köpfen machen. Gut 90 Minuten beraten sie am runden Tisch, zusammen mit Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Als sie wieder herauskommen, stehen sieben der 17 deutschen Kernkraftwerke zur Disposition. Alle Atommeiler, die vor 1980 errichtet wurden, sollen "für die Zeit des Moratoriums außer Betrieb gehen", erklärt Kanzlerin Angela Merkel, "die anderen erhalten den Betrieb aufrecht." Ziel sei es, die Energiewende "zu beschleunigen".

Es ist genau jene Energiewende, die genau diese Bundesregierung zusammen mit eben diesen Bundesländern schon einmal beschleunigen wollte. Am selben Ort, gut sechs Monate vorher. Seinerzeit hatten die Kernkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre längere Laufzeiten erhalten. Auch damals wurde nach alt und jung unterschieden: 14 Jahre für Kraftwerke, die nach 1980 in Betrieb gingen, acht Jahre für die älteren Meiler.

Nun ist genau diese Unterscheidung Grundlage für die Umkehrung der Verhältnisse. Seinerzeit sollten die Kernkraftwerke länger laufen, gerade um die erneuerbaren Energien auszubauen - so die Argumentation im vorigen Herbst. Nun soll die Öko-Energie ausgebaut werden, damit sich rascher die Reaktoren abschalten lassen. "Japan ändert alles", sagt Bayerns Umweltminister Markus Söder - vor Jahr und Tag noch Anhänger längerer Laufzeiten.

Ähnlich geläutert präsentieren sich die Ministerpräsidenten im Kanzleramt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), der sich in gut zehn Tagen neu wählen lassen will, spricht nun von einer "Zäsur", ebenso wie Umweltminister Röttgen. Noch vor einem Jahr hatte er Röttgen heftig angegriffen, weil der zu zögerlich sei bei der Verlängerung der Atom-Laufzeiten. Und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der stets den hohen Sicherheitsstandard bayerischer Reaktoren gelobt hatte, freut sich nun "ausdrücklich" über das bevorstehende Ende.

Wie dieses allerdings herbeigeführt wird, ist noch nicht ganz klar. Der Bund behilft sich mit einem Paragraphen, der so noch nie zur Anwendung kam: Danach können die Aufsichtsbehörden "einstweilen" den Betrieb von Anlagen einstellen. Das Manöver allerdings ist gewagt, denn eigentlich gilt der Paragraph der Abwehr konkreter Gefahren, nicht potenzieller Katastrophen. Fieberhaft verhandelten die Länder deshalb mit den Betreiberfirmen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Selbst Experten in den Landesregierungen fürchten, dass die Unternehmen auf Schadenersatz klagen könnten, schließlich entgehen ihnen pro Meiler und Tag grob geschätzt eine Million Euro Einnahmen. Das freilich sieht die Kanzlerin nicht so dramatisch, Schadenersatzforderungen erwarte sie nicht. "Wir gehen davon aus, dass die rechtliche Grundlage eine rechtliche Grundlage ist", sagt sie nach dem Treffen.

Die Frage nach der Qualität des Moratoriums

Das allerdings wirft schon die nächste Frage auf, nämlich die nach der Qualität des Moratoriums. Erst am Montag hatte die Kanzlerin erklärt, sie werde die Verlängerung der Laufzeiten "für drei Monate aussetzen". Doch weil nicht eine Regierung, sondern allenfalls ein Parlament ein Gesetz ändern kann, weil das wiederum aber nicht geplant ist, bleiben die rechtlichen Grundlagen wie gehabt. "Alles andere wäre glatter Verfassungsbruch", sagt Cornelia Ziehm, Rechtsexpertin der Deutschen Umwelthilfe. Das "Moratorium", so zeigt sich, ist eher eine symbolische Geste. Oder, wie Merkel es ausdrückt, eine Zeit des Innehaltens.

Merkel trifft Ministerpraesidenten aus Atom-Laendern

Eine Kanzlerin (Mitte), zwei Minister (außen) und fünf Ministerpräsidenten verkünden das vorläufige Aus für sieben deutsche Atommeiler.

(Foto: Axel Schmidt/dapd)

Das wiederum wirft noch eine Frage auf, nämlich die nach den Konsequenzen einer vorzeitigen Abschaltung. Weil ja das Atomgesetz faktisch weiter gilt, haben die Betreiber von Isar 1 (Eon) und Neckarwestheim 1 (EnBW) immer noch Anspruch auf die verlängerte Laufzeit: auf Reststrommengen über acht Jahre. Theoretisch können sie diese auf jüngere Meiler übertragen, Ergebnis: Noch bis zur Mitte des Jahrhunderts würden die jüngeren Kernkraftwerke betrieben. Das dürfte auch nicht im Sinne des Katastrophen-Moratoriums sein.

"Es wird im Rahmen des Moratoriums keine Laufzeit von einem alten auf ein neues Kernkraftwerk geben", sagte Merkel am Dienstag, "es wird nicht genehmigt werden." Nur: Eine Genehmigung brauchen die Atomkraft-Betreiber gar nicht, das Gesetz sieht das nicht vor. Vieles an der Konstruktion, das zeichnet sich jetzt schon ab, hängt vom guten Willen der Betreiber ab. Ob der Anfang Juni, wenn die Eindrücke der Katastrophe womöglich etwas weniger intensiv sind, noch so groß ist wie jetzt, muss sich zeigen. Ganz sicher ist sie gewagt, die Atom-Operation der Bundesregierung. Ohne Beispiel ist sie ohnehin.

Wie genau das künftige Schicksal der Kernenergie aussehen wird, mag an diesem Dienstag im Kanzleramt noch niemand sagen. "Welche Folgerungen sich ergeben, wird am Ende des Moratoriums feststehen", sagt Merkel - am 15. Juni. Bis dahin werde man sich noch oft treffen müssen. Mit Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy habe sie sich darauf verständigt, Sicherheitsanforderungen für Kernkraftwerke zum Thema des Industrie- und Schwellenländerzirkels G20 zu machen. Bislang gibt es nämlich kaum international einheitliche Standards. Nächste Woche werde sich auf deutschen Wunsch hin auch der Europäische Rat mit diesen Fragen beschäftigen.

Und am kommenden Dienstag werden sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten abermals treffen. Dann wollen sie beraten, wie es konkret weitergeht mit dem Moratorium, und wie sich die Atomkraft durch erneuerbare Energien ablösen lässt. Diesmal aber wirklich.

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