Amnestie in Tschechien:Prominente Profiteure

Václav Klaus, Amnestie

Der tschechische Präsident Václav Klaus bei seiner Neujahrsansprache in der Hauptstadt Prag. 

(Foto: AFP)

Tschechiens Präsident Václav Klaus hat eine Massenamnestie ausgesprochen und versucht, sie als Gnadenakt zum Jahrestag der Staatsgründung darzustellen. Doch selbst Außenminister Karel Schwarzenberg vermutet, sie sei "auf Maß geschneidert" - denn etliche dunkle Gestalten mit einer gewissen Nähe zu Klaus kommen frei.

Von Klaus Brill, Prag

Die Massenamnestie des scheidenden tschechischen Präsidenten Václav Klaus hat im Land eine Welle der Empörung ausgelöst, weil davon die Verantwortlichen großer Finanzskandale profitieren. Außerdem verlieren nach Presseberichten zahlreiche Bürger, die durch solche Betrüger in den Neunzigerjahren um viel Geld gebracht worden sind, ihren Anspruch auf Entschädigung. Da Ministerpräsident Petr Necas die Begnadigung von 7500 Gefangenen gebilligt hatte, droht jetzt zudem der konservativ-liberalen Regierung der Sturz durch ein Misstrauensvotum. Dieses hat die sozialdemokratische Opposition im Parlament beantragt.

Die Amnestie sei inakzeptabel, ungerecht und empörend, weil durch sie eine Reihe prominenter Wirtschaftskrimineller straffrei ausgehe, erklärte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (CSSD), Bohuslav Sobotka, in Prag . Der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Jiri Dienstbier jun. sprach von einem skandalösen Geschenk des Präsidenten an "seine Freunde aus dem Wirtschaftsbereich".

Heftige Kritik erhob sich auch in der Regierungskoalition. Außenminister Karel Schwarzenberg, der Vorsitzende der Koalitionspartei TOP 09, äußerte den Verdacht, die Amnestie des Präsidenten sei "auf Maß geschneidert". "Wenn ich mir ansehe, wer davon profitiert, habe ich ein komisches Gefühl", sagte der liberal- konservative Politiker.

Spektakuläre Betrugsskandale aus den Neunzigerjahren

Im Fokus der Kritik steht weniger der Straferlass für alle Kleinkriminellen, die bis Ende 2012 zu maximal einem Jahr Haft verurteilt wurden, oder für alte Gefangene, die das 70. oder 75. Lebensjahr überschritten haben und nun freikommen, sofern ihre Strafen eine Dauer von drei beziehungsweise zehn Jahren nicht überschreiten.

Problematisch ist vielmehr die dritte Gruppe: Hier sollen Menschen ungeschoren davonkommen, wenn ihre Prozesse schon länger als acht Jahre dauern - ungeachtet der Delikte, deretwegen sie verfolgt werden. Diese dürfen nur nicht mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein. Dies berührt unter anderem auch spektakuläre Betrugsskandale aus den Neunzigerjahren, als Václav Klaus noch Chef der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) und tschechischer Ministerpräsident war.

Unter seiner Ägide geschah die umfassende Privatisierung des Staatsbesitzes, in deren Verlauf dubiose Financiers durch die sogenannte Untertunnelung privatisierter Firmen immense Summen hinterzogen und auf die Seite brachten. Geschädigt wurden dadurch nicht nur die betroffenen Unternehmen, von denen ein Teil zusammenbrach, sondern auch zahlreiche private Anleger. Diese hatten sich über Vermögensfonds an den Firmen beteiligt. Nach Meinung der Zeitung Hospodarske noviny verlieren jetzt mehr als 100.000 Menschen, die damals um ihr Geld kamen, den Anspruch auf Entschädigung.

"Es geht um eine Geste"

Ein spektakulärer Fall ist nach Prager Medienberichten beispielsweise der Konkurs der Union-Bank im Jahr 2003, von dem 130.000 Sparer betroffen waren. Fünf Manager der Bank werden jetzt ebenso von Verfolgung freigestellt wie die Verantwortlichen einer betrügerischen Baufirma namens H-Systems, die ihre Kunden um eine Milliarde Kronen (39,6 Millionen Euro) gebracht haben sollen.

In den Genuss der Amnestie kommen ferner Manager des Stahlwerks Poldi, die des Insiderhandels beschuldigt werden, und die einstigen Chefs der Investmentfonds Trend und Marcia, die Firmen ausgeschlachtet haben sollen. Prominente Profiteure des Gnadenakts sind ferner der frühere Vorsitzende des Fußballverbandes, Frantisek Chvalovsky, der wegen Kreditbetrugs in erster Instanz zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sowie der Geschäftsmann Tomas Pitr, der wegen Steuerdelikten gesucht wurde und jahrelang auf der Flucht war. Zwei Jahre hat er bereits im Gefängnis gesessen.

Im Ganzen sind nach neuesten Schätzungen des Prager Justizministeriums von der Amnestie mindestens 7414 Personen betroffen, knapp ein Drittel der 23.000 tschechischen Strafgefangenen. Manche haben freilich eine Freiheitsstrafe noch gar nicht angetreten, weil ihr Verfahren noch nicht beendet ist.

Anlass des Gnadenaktes war für Václav Klaus, dessen zweite und letzte Amtszeit am 8. März endet, der 20. Jahrestag der Auflösung der Tschechoslowakei und der Gründung der Tschechischen Republik am 1. Januar 1993. "Es geht um eine Geste, um diesen Bürgern, die sicherlich gegen das Gesetz verstoßen haben, aber keine Wiederholungstäter sind, eine zweite Chance zu geben", sagte er der Zeitung Mlada Fronta Dnes. Er habe keinen spezifischen Fall im Sinn gehabt bei seiner Entscheidung.

Prominente Juristen äußerten sich entsetzt

Der Präsident verwies zu seiner Entlastung darauf, dass sein Vorgänger Václav Havel Anfang 1990 direkt nach seinem Amtsantritt eine Amnestie sogar für 23.000 Häftlinge verkündet habe, das seien zwei Drittel aller Insassen der Justizvollzugsanstalten in der damaligen Tschechoslowakei gewesen. Allerdings waren unter ihnen auch zahlreiche politische Gefangene als Opfer der Willkür-Justiz des kurz zuvor gestürzten kommunistischen Regimes.

Bei Klaus geschah die detaillierte Prüfung der Amnestie offenbar in seinem engsten Beraterkreis. Sein Abteilungsleiter Ladislav Jakl verteidigte die Beendigung der länger als acht Jahre dauernden Prozesse mit einem Hinweis auf Entscheidungen des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg, wonach der Staat verpflichtet sei, die Strafverfolgung innerhalb von sechs Jahren abzuschließen. Der Präsident habe die Bemessungsgrenze damit sogar um zwei Jahre erhöht.

Hingegen äußerten sich prominente Juristen entsetzt und erklärten, dass die Komplexität mancher Strafverfahren und die Schwierigkeiten der Beweisführung eine lange Dauer rechtfertigten. Die Amnestie zerstöre "das Rechtsempfinden der Gesellschaft", sagte die Vorsitzende des Obersten Gerichts, Iva Brozova.

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