Afrikanist und Ökonom:"Es geht vor allem um neue Jobs"

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Falsche Hilfe schadet, die Ursachen werden zu selten angegangen, sagt Helmut Asche.

Interview von Roland Preuss

SZ: Herr Asche, Facebook-Chef Mark Zuckerberg und seine Frau haben diese Woche angekündigt, fast ihr gesamtes Vermögen, mehr als 40 Milliarden Euro, für gute Zwecke spenden zu wollen. Freut Sie eine solche Nachricht noch?

Helmut Asche: Wenn es so kommt, dann ist das ein Grund zur Freude. Die Riege der Milliardäre, die einen großen Teil ihres Vermögens spenden wollen, korrigiert teilweise das Versäumnis der Politik, etwas gegen ungleiche Vermögensverteilung zu tun. Und sie packen ein altes Problem der Entwicklungshilfe an, nämlich die Frage, wo kommt das Geld her für die ambitionierten Ziele?

Man hat jetzt endlich genug Geld?

Wir sind jedenfalls auf einem guten Weg. Nun geht es vor allem darum, das Geld sinnvoll einzusetzen.

Zuckerbergs Milliarden sollen fließen in den weltweiten Kampf gegen Krankheiten und Armut, in bessere Bildung, saubere Energiequellen und die Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Sind das die richtigen Themen?

Ja. Das Problem aber beginnt eine Zeile darunter: die weltweiten Hilfsprogramme haben es oft nicht geschafft, wirklich flächendeckend zu wirken. Nehmen sie das Gesundheitswesen. Es ist gelungen, mit globalen Impfkampagnen Meningitis und Masern nahezu auszurotten. Aber die internationale Zusammenarbeit ist noch nicht gut darin, diese Erfolge durch Gesundheitssysteme zu sichern. Dazu brauchten wir dauerhafte Einrichtungen, die weiter impfen, überwachen, schnell reagieren. Das gilt auch für Länder wie Guinea, Liberia oder Sierra Leone, die jüngst von Ebola heimgesucht wurden. Dort hat die Seuche von dem eh schon schwachen Gesundheitssystem nicht viel übrig gelassen. Deutschland könnte sich engagieren, sagen wir: in einem der drei Staaten für die nächsten zehn Jahre landesweit für Ärzte, Krankenstationen und Medikamente zu sorgen. Bis es das Land selbst tragen kann.

Die Deutschen spenden gerne, gerade jetzt vor Weihnachten, auch der staatliche Entwicklungsetat wächst. Hilft das wirklich langfristig?

Nicht unbedingt. Spenden sind trotzdem sinnvoll, auch vor Weihnachten. Denn sie können genau dort aushelfen, wo es eben keine funktionierenden öffentlichen Schulen oder Kliniken gibt, wo ein Stück Umwelt geschützt werden soll.

Kürzlich erst hat Angus Deaton den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Er sagt, Entwicklungshilfe richte oft mehr Schaden an, als sie nutze. Etwa dann, wenn sie zweifelhafte Regierungen unabhängig mache von ihren Wählern. Hat er da nicht recht?

Angus Deaton hat den Nobelpreis wahrlich zu Recht bekommen, und seine Aussage hat einen wahren Kern. Den gleichen Effekt gibt es, wenn der Staat von Öl oder Diamanten profitiert und sich damit nicht vor Steuern zahlenden Bürgern verantworten muss. Aber das ist derzeit nicht das wichtigste Problem. Entscheidend ist, dass Untersuchungen zwar die breite Mehrheit der vielen Hilfsprogramme positiv beurteilen, aber im Großen scheinen sie keinen nachhaltigen Aufstieg anzustoßen. Wir kennen das seit Langem als das Mikro-Makro-Paradox.

Was bringt die Hilfe dann, außer punktueller Wohltaten?

Offenbar setzen viele Programme zu wenig an den wirtschaftlichen Ursachen an. Es geht vor allem um neue Jobs. Bösartig formuliert: Entwicklungshilfe schafft kaum neue Arbeitsplätze, außer in der Entwicklungshilfe. Die betroffenen Länder brauchen massenhaft neue, attraktive Stellen, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Industrie.

Klingt wie eine Bankrotterklärung der Entwicklungshilfe.

Ist es aber nicht. Sie kann immer noch sinnvolle soziale Arbeit machen. Wenn wir die Masern ausrotten, bleibt das immer noch eine Leistung.

Aber es gibt doch viele Geschichte von gescheiterten, sogar schädlichen Projekten, zum Beispiel von Altkleidern aus Europa, die man in Afrika verteilt - und damit die heimischen Textilfirmen ruiniert.

Aber hallo! Ich bin gerade aus Ruanda zurückgekommen. Das Land wird im Januar eine Sondersteuer auf gebrauchte Schuhe einführen, weil wir auch die gerne mal in den Container für Afrika werfen. Der Effekt ist der gleiche. Falsche Hilfe schadet. Die ruandische Regierung will das stoppen und bemüht sich gleichzeitig darum, zusammen mit Investoren eine Schuhindustrie aufzubauen. Das ist der richtige Weg. Immerhin haben die afrikanischen Staaten noch Mittel, sich handelspolitisch zu wehren.

Liegt schädliche Hilfe auch an einer mangelnden Erfolgskontrolle von Hilfsprogrammen?

Auch das. Wir haben mittlerweile zwar eine regelrechte Prüfindustrie in der Entwicklungshilfe. Doch es ist schon ein sehr auffälliges Naturgesetz, dass über die Jahre immer zwei Dritteln aller Projekte Erfolg bescheinigt wird, ganz egal ob von außerhalb oder den Hilfsorganisationen selbst. Selbstkontrolle hat durchaus ihren Sinn, aber sie reicht nicht. Was fehlt, sind wirklich unabhängige Prüfinstanzen.

Viele reden jetzt von Entwicklungshilfe, die Fluchtursachen bekämpfen soll. Kann das funktionieren?

Bisher habe ich dazu vor allem Populistisches gehört, zum Beispiel von unserem Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. Die Ursachen haben natürlich mit Kriegen und absoluter Armut zu tun, und dagegen kann Hilfe etwas bewirken, aber auch mit relativer Armut. Das heißt, solange die globalen Unterschiede im Wohlstand so groß bleiben, solange wird die Zahl der Migranten wachsen. Ein gewisser wirtschaftlicher Aufschwung kann sogar das Gegenteil bewirken: wenn Familien etwas wohlhabender werden, dann haben sie das Geld, wenigstens einen ihrer Söhne übers Meer nach Europa zu schicken.

Müsste eine gute Entwicklung nicht früher ansetzen, beim Bevölkerungswachstum? Allzu oft zehrt es wirtschaftliche Erfolge auf .

Dieses Thema ist in der Tat der berühmte Elefant im Raum: Das Bevölkerungswachstum ist ein Riesenproblem, aber kaum jemand traut sich, das kritisch anzusprechen. Lieber wird optimistisch von der demografischen Dividende geredet. Im Afrika südlich der Sahara haben Mütter im Schnitt immer noch fünf Kinder, dies frisst viele der Fortschritte wieder auf - und lässt noch mehr Menschen abwandern. Wir sprechen dieses Problem im Dialog mit anderen Ländern kaum an, wir wollen ja nicht paternalistisch sein. Aber wir wissen längst: es ist ausgeschlossen, dass genug Arbeitsplätze entstehen, um einer so rasch wachsenden Zahl von Menschen etwas anzubieten. Darüber muss viel offener gesprochen werden.

Haben Sie eigentlich noch den Überblick bei bundesweit 20 000 Hilfsorganisationen, die um Spenden werben?

Die Landschaft ist unübersichtlich, aber es gibt Einrichtungen, die solche Organisationen zuverlässig überprüfen. Wir sollten in der Debatte darauf achten, die Hilfsbereitschaft der Bürger nicht zu bremsen.

Spenden Sie selbst noch?

Ja.

Wem?

Greenpeace zum Beispiel.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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