100-Tage-Programm von Peer Steinbrück:"Bei uns rockt es"

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Vergessen Sie alles, was Sie bislang gelesen haben. Der Wahlkampf fängt gerade erst an, das ist die neue Botschaft von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Aber warum eigentlich Kandidat? Vor der Presse ist er schon Kanzler und stellt ein 100-Tage-Programm vor. Das lässt allerdings Fragen offen.

Von Michael König, Berlin

Es ist alles ein großes Missverständnis. Findet jedenfalls Peer Steinbrück. Die vermeintlichen Pannen im Wahlkampf, die schlechten Umfragewerte, die Abgesänge auf seine Person. Alles halb so wild. Alles viel zu früh. "Warten Sie's ab", sagt der Kanzlerkandidat der SPD und lächelt. "Der Wahlkampf läuft an." Viele Wähler seien noch unentschieden, andere befänden sich "im Wartesaal" und bräuchten nur abgeholt zu werden. "Meine Veranstaltungen sind die interessanteren und die lebendigeren. Bei uns rockt es."

24 Tage vor der Bundeswahl hat Steinbrück also den Rock 'n' Roll für sich entdeckt. Offiziell ist er im Großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, um sein 100-Tage-Programm vorzustellen: Ein flächendeckender Mindestlohn soll her, Gesetze zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern sowie von Leiharbeitern und Stammbelegschaft. Rentenreform, Mietpreisbremse, doppelte Staatsbürgerschaft. Außerdem: Banken an die Kette, Steuererhöhungen für Reiche. Und natürlich: Weg mit dem Betreuungsgeld.

Das sind die Maßnahmen, die der Bundeskanzler Steinbrück sofort angehen würde, nach seiner Vereidigung, "nach Lage der Dinge im Dezember diesen Jahres". Er rattert sie herunter. Mehr Zeit verwendet er darauf, was nicht im Programm steht: Eine neue Botschaft, ein Signal der Stärke, der Kampfeslust. "Was ich mache, ist laufen, laufen, laufen", sagt Steinbrück. "Ich bin mental ausschließlich auf mein Ziel eingestellt. Mit meinen Magensäften, meinem Blutdruck, meinem Kopf."

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Die Journalisten müssen bisweilen lachen über so viel demonstrative Zuversicht. Sie wirkt arg bemüht, sie kollidiert mit den Voraussagen, die Steinbrück nicht gelten lassen will. Am Vortag hat das traditionell SPD-kritische Institut Forsa neue Umfragewerte veröffentlicht: Steinbrücks Wunschbündnis mit den Grünen kommt demnach auf 33 Prozent, Schwarz-Gelb hätte mit 46 Prozent eine Mehrheit.

Steinbrück redet dagegen an. Er kritisiert einerseits die Journalisten, die "aus großer Entfernung" über seinen Wahlkampf berichten würden und deshalb nicht mitbekämen, welch "bemerkenswerte Stimmung" auf seinen Veranstaltungen herrsche. "Besuchen Sie mich!", ruft er ihnen zu.

Er beklagt auch, die Unterschiede zwischen CDU und SPD würden in den Medien nicht stark genug herausgearbeitet: "Unser flächendeckender Mindestlohn ist etwas anderes als die Lohnuntergrenze der Union. Was die planen, ist ein Flickenteppich über Branchen und Regionen, gesetzlich nicht festgelegt." Steinbrück ballt die Faust und ruft im Stakkato: "Das! Ist! Nicht! Dasselbe!"

Überhaupt, die Unterschiede. Angela Merkel und die Union stünden für eine "Politik der Demobilisierung, der Verschleierung". Ein Schlüsselsatz der Kanzlerin sei: "Ich warte ab." Für ihn, Steinbrück, gelte hingegen: "Ich warte nicht ab." Das werde Kanzlerin Merkel im TV-Duell zu spüren bekommen: "Ich gehe da sportlich rein. Ich verspreche Ihnen, es wird nicht langweilig. Er sei "nicht der Typ, der im Ungefähren bleibt. Das ist hin und wieder anstrengender, aber für den Bürger auch klarer."

Steinbrück, der Klartextredner, der Rock 'n' Roller, der Ad-hoc-Problemlöser. Bis hierhin ist es eine beeindruckende Inszenierung. Steinbrücks Sprecher Rolf Kleine blinzelt äußerst zufrieden durch seine Brille. Zu seinem Unglück muss Steinbrück das mit dem "Ich warte nicht ab" zum Schluss aber ein bisschen relativieren.

Erstens sagt er zum Konflikt im Syrien, es gelte erst den Bericht der Vereinten Nationen, dann den Weltsicherheitsrat, dann die Reaktion der Russen und dann die Entscheidung der Amerikaner, Franzosen und Briten, ... genau: abzuwarten.

Zweitens will er trotz mehrfacher Nachfrage nicht so recht raus mit der Sprache, was seine "Solidarrente" genau kosten würde, bei der all jene mindestens 850 Euro bekommen sollen, die 30 Beitrags- oder 40 Versicherungsjahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Jeder, der 45 Jahre lang versichert war, soll vom 63. Lebensjahr an abschlagsfrei in Rente gehen können.

Und drittens sagt er auf Nachfrage, das 100-Tage-Programm sei nicht mit den Grünen abgesprochen: "Vorauseilende Koalitionsverhandlungen während des Wahlkampfes führe ich nicht. Ich spreche hier für die SPD." Ob der Wunschpartner das Programm mittragen würde, bliebe also auch: abzuwarten.

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