1.-Mai-Krawalle:"Megakrass erwischt, wa"

Lust am Prügeln, Tanz, politischer Kampf: Am 1. Mai herrscht in Berlin Ausnahmezustand. Die Randalierer bejubeln nicht nur die Wunden der Polizisten, sondern auch die eigenen.

J. Boie u. J. Reese

Warten auf die Revolution

1.-Mai-Krawalle: Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration: Mittags ist alles friedlich - noch.

Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration: Mittags ist alles friedlich - noch.

(Foto: Foto: ddp)

13:00 Uhr, Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration, Ohlauer Straße/Wiener Straße, Berlin Kreuzberg

Träge erheben sich die Polizisten aus den bequemen Sitzen. Raus aus dem Mannschaftswagen, hinaus auf die Straße. Es geht los.

Mehr als ein Dutzend Beamte positionieren sich entlang der Kreuzung. Taschenlampe, Schlagstock, Pistole und Handschellen ziehen den Hosenbund nach unten. Die robusten Stiefel sind mit einer schützenden Hartgummi-Schale bedeckt.

Aus der Ferne schwappen vereinzelte Sprechchöre herüber. Bruchstücke sind bereits zu hören: "Revolution", "Befreiung", "Politische Gefangene".

Stundenlanges Warten für zehn Minuten

Man muss nicht die ganzen Sätze verstehen, um den Inhalt zu begreifen. Langsam nähern sich die Demonstranten. Vorne ein paar Fahnenträger.

Ihre Farbe: rot wie die Revolution. Auf ihren Spruchbändern fordern sie Freiheit, Gleichheit und die Bekämpfung des Rassismus. Sie schimpfen auf Deutschland und auf seine kapitalistisch-imperialistische Gesellschaft.

Sobald die etwa 250 Teilnehmer der "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" friedlich um die Kurve gegangen sind, haben die breitbeinigen Polizisten am Streckenrand ihren Job erledigt. Seit drei Stunden haben sie hier gewartet. Nach zehn Minuten ist alles vorbei. Vorerst.

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Protest ist Party

Protest ist Party

1.-Mai-Krawalle: Mayday-Parade: Richtig, es ist ja Krise.

Mayday-Parade: Richtig, es ist ja Krise.

(Foto: Foto: ddp)

13.30 Uhr, Mayday-Parade, Bebelplatz/Unter den Linden, Berlin Mitte

Protest bedeutet auf dem Bebelplatz in erster Linie Party. Nach und nach füllt sich die Fläche zwischen Luxushotel und Humboldt-Uni.

Von hier aus wird die Mayday-Parade um 14 Uhr Richtung Kreuzberg ziehen, wo der erste Mai mit einem großen Fest begangen wird. Laute Technobeats schallen aus wummernden Lautsprechern über den Platz. Bei strahlendem Sonnenschein erinnern nur die Plakate der Feiernden an das große Thema der linken Demonstranten: richtig, es ist ja Krise.

"Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus" hat eine Rollstuhlfahrerin auf ihr Gefährt geschrieben. 300 Meter weiter stehen Touristen staunend vor den Autohäusern von Ferrari und Bugatti. "Widerstand in den Betrieben organisieren", fordern auf dem Bebelplatz drei Männer mit Plakat.

Die Polizeieinheit "Elbe" aus Sachsen-Anhalt ist mit einem uralten VW-Transporter vor Ort, an dem die Typbezeichnung am Heck schon abbröckelt. Auf dem Dach des Wagens stehen Beamten und beobachten, wie jugendliche Vertreter der Organisation "Für eine linke Strömung" Flugblätter verteilen.

Auf der Rückseite des Platzes stehen schwerbewaffnete Berliner Zivilpolizisten, Männer mit der Statur von Wandschränken. Aus Bussen mit abgedunkelten Scheiben beobachten sie das Treiben auf dem Platz mit einer Mischung aus Abscheu und professioneller Langeweile. Wer sich in ihrer Nähe Notizen macht, muss sich sofort ausweisen, Geschriebenes wird konfisziert.

Erst als der Presseausweis zum Vorschein kommt, wird der Notizblock zurückgegeben. Die Beamten haben Angst, dass die Kennzeichen ihrer Fahrzeuge im Internet landen. Auf ihren Dienstausweisen, die sie auf Verlangen aus ihren Kapuzenjacken kramen, haben sie ihre Namen sorgfältig mit Edding unleserlich gemacht.

Stolz auf jede Wunde

1.-Mai-Krawalle: Demonstration der Autonomen am Kottbusser Tor: Pflastersteine fliegen, Polizisten setzen Pfefferspray ein.

Demonstration der Autonomen am Kottbusser Tor: Pflastersteine fliegen, Polizisten setzen Pfefferspray ein.

(Foto: Foto: ddp)

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Stolz auf jede Wunde

Stolz auf jede Wunde

18 Uhr, Demonstration der Autonomen Kottbusser Tor, Kreuzberg

Das blutüberströmte Gesicht lässt er sich von seinen Freunden halten. Ein Druckverband aus Taschentuch und dem Schal, mit dem er sich eben noch das Gesicht vermummte, muss reichen. Bis sich der Krankenwagen seinen Weg in die Mitte der autonomen Demo gebahnt hat, wird noch einige Zeit vergehen.

Der Jugendliche ist stolz, die Freunde feiern die Wunde. "Alter, megakrass erwischt, wa." Es war eine Bierflasche aus den eigenen Reihen, die den Jungen erwischte. Schlecht gezielt oder betrunken geworfen. Während der Demo trifft ein Pflasterstein eine unbeteiligte Frau ins Gesicht. Ganz vorne kommt es zu Gewaltausbrüchen.

An der Manteuffelstraße fliegen Böller auf die Polizisten, die jetzt wie auch im späteren Flaschenhagel stoisch und wortlos ihrem Job nachgehen.

Im schwarzen Block wird derweil über die Schwierigkeit gemault, spätere Randale angemessen organisieren zu können: "Wasn jetzt, Alter, Netz überlastet." Eine durchaus sympathisch klingende weibliche Stimme heizt die Massen über Lautsprecher an: "Bleibt zusammen, bildet Ketten."

Das stärkt das Wir-Gefühl, die Demonstranten rücken näher, bauen Barrikaden, werfen Brandsätze und Flaschen auf die Polizisten. Die Ordnungshüter greifen zu Pfefferspray. Viele Randalierer werden verhaftet, frenetisch bejubelt von umstehenden Sympathisanten, während die Polizisten beschimpft werden.

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Ein Steinwurf für die Fotografen

1.-Mai-Krawalle: Randale in Kreuzberg: Die Autonomen setzen Müllcontainer in Brand, Polizisten nehmen Demonstranten fest.

Randale in Kreuzberg: Die Autonomen setzen Müllcontainer in Brand, Polizisten nehmen Demonstranten fest.

(Foto: Foto: Getty)

Ein Steinwurf für die Fotografen

22 Uhr, Randale Radikaler, Kottbusser Tor, Kreuzberg

Eine Gasmaske am Gürtel, einen Helm auf dem Kopf - der Fotograf einer Presseagentur ist gut ausgerüstet. Kaum fliegen Steine, haben er und seine Kollegen die Flugbahn im Fokus.

Während der schweren Randale am Kottbusser Tor erhellt ein Hubschrauber die Szenerie aus der Luft. Feuer, von Straßenkämpfern gelegt, werfen ihren flackernden Widerschein auf zerschlagene Ampeln, Fahrräder und Autos.

Sofort ins Internet

Vor einer gaffenden Menschenmenge zerren die Polizisten einzelne mutmaßliche Straftäter aus der Menge der Autonomen. Gut 20 Fotografen sind sofort zur Stelle, um die Festnahme zu dokumentieren.

Auch die Polizisten filmen: mit meterhohen Stangen, an deren Ende eine Kamera hängt, überwachen sie die Autonomen, um Straftaten dokumentieren zu können.

Die Radikalen schießen mit hochwertigen Kameras zurück: Nahaufnahmen einzelner Polizisten zur Dokumentation der "Bullenschweine" im Internet.

Noch während die Randale läuft, sind die Bilder im Internet zu finden.

Traurige Bilanz der Nacht: verwüstete Straßenzüge, brennende Müllcontainer, mehr als 200 Festnahmen und zahlreiche verletzte Demonstranten und Polizisten.

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