1. Mai:"Das waren vorbereitete Gewalttäter"

Nach den schweren Ausschreitungen in Berlin stellt Innensenator Ehrhart Körting (SPD) das Deeskalations-Konzept einer abwartenden Polizei, die nur bei Straftaten einschreitet, in Frage.

Alle Jahre wieder: Nach den 1. Mai-Krawallen in Berlin gerät die Polizei in die Kritik für ihre jeweilige Einsatzstrategie.

1. Mai: Umgekippt und angesteckt: Vermummte Jugendliche auf einem angezündeten PKW.

Umgekippt und angesteckt: Vermummte Jugendliche auf einem angezündeten PKW.

Diesmal waren die Ausschreitungen wieder besonders schwer - und nun steht die auf Zurückhaltung der Polizei ausgerichtete Einsatz-Strategie des rot-roten Senats auf dem Prüfstand.

Dabei stellte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) das Deeskalations-Konzept einer abwartenden Polizei, die nur bei Straftaten einschreitet, selbst in Frage. Die Behörden würden etwas ändern müssen, sagte er am Freitagmorgen im ZDF-Morgenmagazin.

Für die Oppositionsfraktion CDU ist das Konzept klar gescheitert. Sie warf dem Senat vor, die Krawalle "tatenlos hinzunehmen".

Der mehrjährige Demonstrationsbeobachter Peter Grottian von der Freien Universität Berlin bezeichnete das Konzept dagegen als erfolgreich.

Nach friedlichen politischen 1. Mai-Demonstrationen war es wie in den Vorjahren am Donnerstagabend im Stadtteil Kreuzberg zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen.

Teilweise vermummte Jugendliche und junge Erwachsene attackierten die Polizei und schleuderten Flaschen und Steine, Autos gingen in Flammen auf. Stellenweise bot sich ein Bild der Verwüstung mit aufgerissenem Straßenpflaster, ausgebrannten Autowracks und zersplitterten Schaufenstern.Die Polizei ging massiv gegen die Randalierer vor. Erst gegen Mitternacht waren die Krawalle beendet.

Randalierer-Gruppen

Für die Ausschreitungen seien rund 1300 junge Menschen verantwortlich gewesen, die in Gruppen von bis zu 200 randaliert hätten, sagte Körting im infoRadio Berlin-Brandenburg.

Er konstatierte eine neue Qualität der Gewalt. "Das waren nicht Jugendliche, die am Rande einer Demonstration bei der Randale mitmachen wollten, sondern es waren vorbereitete Gewalttäter, die gezielt vorgegangen sind."

Bei diesen Straftätern helfe es nichts, wenn die Polizei sich zurückhalte. Die Polizei sei auf diese Form der Gewalt "vielleicht nicht ausreichend vorbereitet" gewesen. Deshalb müsse man das Konzept in diesem Punkt ändern.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Henkel, warf Körting Versagen vor. Die Deeskalationsstrategie sei gescheitert. Die Kreuzberger Bürger seien wie die Polizisten im Einsatz im Stich gelassen worden. "Viel zu lange musste die Polizei auf Veranlassung der politischen Führung dem Treiben der Chaoten tatenlos zusehen."

FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper kritisierte den Berliner Senat, den "rituellen Gewalttaten am 1. Mai mit unverantwortlicher Blauäugigkeit begegnet" zu sein. "Die beschwichtigende Senatspolitik hat der Polizei geradezu die Hände gebunden und ein rechtzeitiges präventives Eingreifen verhindert", kritisierte sie.

Nach Ansicht von Grottian, der sich 2002 für einen gewaltfreien 1. Mai in Kreuzberg engagiert hatte, hat es in diesem Jahr weniger Gewalt gegeben. Deshalb sei das Gesamtergebnis besser als das der vergangenen Jahre, sagte der Hochschullehrer dem RadioMultikulti. Zugleich lobte er das besonnene Vorgehen der Polizei. "Die Polizei hat eine sehr differenzierte Strategie angewandt. Sie war sehr defensiv, aber gleichzeitig auch sehr präsent."

Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind bei den Krawallen in Berlin 175 Polizisten verletzt worden, davon 108 Beamte aus anderen Bundesländern. Zudem seien 133 Randalierer festgenommen und 1080 freiheitsentziehende Maßnahmen ausgesprochen worden, teilte GdP-Sprecher Klaus Eisenreich am Freitag mit.

Die "Antifaschistische Linke Berlin" hat trotz der Ausschreitungen eine positive Bilanz ihrer Demonstration des 1. Mai gezogen. Darüber hinaus bemüht man sich dort auch um Verständnis für die Randalierer. Dieser Tag stelle ein Ventil dar, um Druck abzulassen, sagte ihr Sprecher Michael Kronewetter am Freitag. Die Krawalle müssten im "gesamtgesellschaftlichen Kontext" gesehen werden. Zur Revolutionären 1. Mai-Demonstration seien rund 10.000 Menschen unterschiedlicher politischer Richtung und Nationalität gekommen. "Das war ein großer Erfolg."

Zum Protest gegen den NPD-Aufmarsch seien hingegen "viel zu wenige" gekommen. Die Deeskalations-Strategie der Polizei sei während der Demonstration aufgegangen, sagte Kronewetter. Er bedauere aber, dass die Polizei am Abend von diesem Prinzip abgewichen sei. Den Versuch, die Randale mit Hilfe eines Festes zu verhindern, nannte er einen "entpolitisierenden Akt", der nicht zum Ziel führe.

(sueddeutsche.de/dpa)

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