1968 - Attentat auf Rudi Dutschke:Linke Gene

1968 - Attentat auf Rudi Dutschke: Familie Dutschke heute: die Mutter Gretchen, flankiert von Hosea-Che, Polly-Nicole und Rudi-Marek (von links).

Familie Dutschke heute: die Mutter Gretchen, flankiert von Hosea-Che, Polly-Nicole und Rudi-Marek (von links).

(Foto: privat)

Hosea-Che, Polly-Nicole und Rudi-Marek heißen die Kinder von Rudi und Gretchen Dutschke. Wie die drei heute über ihren Vater, Sprengstoff im Kinderwagen und den CSU-Landesgruppenchef denken.

Von Lars Langenau

An diesem Mittwoch um 16.30 Uhr, dem Tag und dem Zeitpunkt des Attentats auf ihren Mann vor 50 Jahren, wird Gretchen Dutschke bei einer Gedenkveranstaltung am Ku'damm sprechen. Am Abend stellt die Witwe von Rudi Dutschke in der Volksbühne ihr neues Buch über '68 vor. An ihrer Seite sind ihre Kinder Polly-Nicole, 48, Rudi-Marek, 38, und Hosea-Che, 50. Deren Vater überlebte den Anschlag mit schwersten Hirnverletzungen. Sprechen, schreiben - alles musste er wieder neu lernen. Ständig zog die Familie um: von der Reha in der Schweiz nach Italien, England, bis sie schließlich Zuflucht in Dänemark fand.

Von Beginn an dabei war sein Sohn Hosea, der Anfang 1968 in Berlin geboren wurde. 1969 folgte Polly-Nicole in Aarhus. Heiligabend 1979 ertrank ihr Vater mit 39 Jahren bei einem epileptischen Anfall in der Badewanne in Aarhus; einer Spätfolge des Attentats elf Jahre zuvor. Hosea versuchte noch, ihn wiederzubeleben. Vier Monate später, im März 1980, kam Rudi-Marek auf die Welt.

Alle Dutschke-Kinder sind wie ihre Mutter Deutsch-Amerikaner und tragen bedeutungsschwere Namen. Rudi-Marek trägt seinen Vater, den er nicht erlebte, in seinem Vornamen. Der zweite Namensbestandteil geht auf Franz Marek zurück, einen Intellektuellen der Kommunistischen Partei Österreichs. Rudi-Marek ist in einem Kaff bei Boston aufgewachsen, in das die Mutter 1985 mit ihm und seiner Schwester zog. An der Uni von Massachusetts machte er seinen Bachelor in Politik und Germanistik.

Hosea sieht sich nicht als Testamentsvollstrecker seines Vaters

Sein großer Bruder Hosea ist ebenfalls Politologe. Bei dem Umzug seiner Restfamilie in die USA war er fast 18 Jahre alt, schwer verliebt und blieb in Aarhus bei seiner Freundin, mit der er heute zwei Kinder hat.

Warum gibt es solche Bewegungen wie '68 nicht mehr, Herr Dutschke? "Doch, die gibt es", widerspricht er, "nur finden die heute einen anderen Ausdruck. Denken Sie an 'MeToo', die stark im Internet präsent ist, oder aber an die Schülerdemo gegen Waffen in den USA. Die Jugend geht sehr wohl noch auf die Straße!" Hosea ist Mitglied der links-grünen Sozialistischen Volkspartei Dänemarks, aber da "eher inaktiv". Er leitet die Wohlfahrts- und Gesundheitsbehörde von Aarhus und nennt sich selbst "einen Bürokraten". Der 50-Jährige ist Chef von 7000 Angestellten, Verwalter eines Millionen-Budgets, kämpft für gute häusliche Pflege und Hilfen für ältere Arbeitslose.

Er sieht sich nicht als Testamentsvollstrecker seines Vaters, des Revolutionärs, sondern setzt auf kleine, evolutionäre Schritte, nah an den Menschen und ihren Nöten: "Es gibt nichts Erfüllenderes, als anderen Menschen zu helfen", sagt er und zitiert seinen Vater, der einst zum "Marsch durch die Institutionen" aufgerufen hatte. Mit einem schallenden Lachen fügt er hinzu: "Den habe ich hinter mir." Es brauche gute Bürokraten für eine menschlichere Gesellschaft. Dann redet er von "einer offenen, transparenten Verwaltung als bestes Mittel gegen Despotismus".

Hosea war übrigens ein Prophet des Alten Testaments, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzte. Sein zweiter Name lautet Che - von Che Guevara. Aber den benutzt er nicht mehr im Alltag, es sei ihm schlicht zu kompliziert. Er ist auf vielen Fotos der Revolte zu sehen, und er lag auf Sprengstoff, den seine Eltern im Kinderwagen aus ihrer Wohnung schmuggelten, den der italienische Verleger und Untergrundkämpfer Giangiacomo Feltrinelli dort deponiert hatte. Mit so einer Geschichte hat man eine Menge aufzuarbeiten, 2013 schrieb er "Rudi und ich", ein berührendes Buch über die Suche nach sich selbst im Schatten des Vaters.

Marek Dutschke will im Gegesatz zu Rudi die Welt nicht retten

Sein jüngerer Bruder Marek zog mit 21 nach Berlin - auch er, um herauszufinden, wer er ist und wer sein Vater wirklich war. Und auch er hat darüber ein Buch veröffentlicht, bereits 2001: "Spuren meines Vaters". Es ist seine Analyse der damaligen Weltlage und Abrechnung mit den Überbleibseln der Außerparlamentarischen Opposition, der APO.

Wie sein Bruder ist er zweifacher Vater, allerdings kein Sozialist, sondern Mitglied der Grünen, aber "eine Karteileiche". Dabei wirkte sein Name zunächst wie ein Donnerhall bei den Grünen in der Hauptstadt, bei denen er "mit großem Sendungsbewusstsein" 2005 allerdings krachend scheiterte, bei der Listenaufstellung für den Bundestag. ("Young Jesus ist durchgefallen", schrieb damals die taz).

Rudi Dutschke

Familie Dutschke 1970: Gretchen und Rudi mit den beiden ältesten Kindern Polly-Nicole und Hosea-Che.

(Foto: SZ Photo)

Heute sagt er über seine Partei: "Ich habe das Gefühl, die können ganz gut ihre Klientel erreichen, aber jenseits des links-liberalen Bürgertums sehe ich da nicht besonders viel. Falls sie eine linke, soziale Partei sein wollen, dann fehlt da noch was." Ein Linker wie Fraktionschef Anton Hofreiter ("besonders charismatisch ist der nicht") vertrete nur eine Minderheitenmeinung innerhalb der Partei.

Haben Sie linke Gene, Herr Dutschke? Habe er nicht, sagt er und verordnet sich im Vergleich zu seinen Eltern "in the middle of the road". 2013 unterstützte er in Berlin einen CDU-Kandidaten, weil er ihn mochte. Marek denkt nicht in Schubladen, weder stellt er die Systemfrage, noch will er die Welt retten. "So wie mein Leben jetzt ist, kann ich mich nicht als Rebell bezeichnen. Ich bin klassische Samariterkiez-Friedrichshain-Mittelschicht." Der 38-Jährige arbeitet in der Univerwaltung und ist für die Begutachtung ausländischer Studienbewerber zuständig. Er nimmt es mit Humor, wenn er gefragt wird, ob er da mal beruflich hin wollte. "Ich bin zufrieden mit meinem Leben", antwortet er.

Über einen wie den CSU-Politiker Alexander Dobrindt und seine Verdammung der '68er lacht er: "Nichts gegen mehr politische Auseinandersetzung, aber der antiautoritäre Ansatz der Generation meiner Eltern war für Deutschland unglaublich wichtig. Das setzte Energien frei und brachte das Land voran."

"Polly ist Rudi am ähnlichsten", sagt die Mutter

Seine Schwester nennt Dobrindt schlicht und einfach "blöd". Polly-Nicole Dutschke ist seit sechs Jahren Mitglied in Dänemarks stärkster Partei, den Sozialdemokraten. Vergangenes Jahr kandidierte die 48-Jährige erstmals fürs Stadtparlament von Aarhus und scheiterte knapp. "Den Kontakt zu den Sozialdemokraten haben Deutsche in meiner Heimatstadt hergestellt. Ich habe mich nicht aufgestellt, weil ich Rudis Tochter bin, sondern weil ich mit meinem Herzen etwas bewegen möchte. Aber ich war einfach zu spät dran mit meiner Kandidatur, man kannte mich noch nicht. Bei der nächsten Wahl werde ich wieder antreten."

Ihr erster Name stammt aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht. Polly ist die Partnerin des Räuberkönigs Mackie Messer. Sie selbst ist eher bürgerlich, hat drei Kinder, eine 13-jährige Tochter und elfjährige Zwillinge. Mit ihrem Vater hat sie zehn Jahre zusammen in Dänemark verbracht, ging mit ihrer Mutter in die USA und dann wieder zurück nach Aarhus.

Obwohl sie noch ein Kind war, hat er politisch auf sie gewirkt. "Er wollte sicher gern, dass wir drei einmal rot und gute Sozialisten werden, aber er hat uns nicht indoktriniert", sagt sie in einem sehr dänisch-amerikanisch eingefärbten Deutsch. "Er hat uns gelehrt, was richtig oder falsch ist, warum wir das eine tun und das andere lieber lassen sollen. Ich habe von ihm gelernt, wie ich reflektieren und denken soll. Unsere Eltern wollten jedenfalls, dass wir sozial und gut zu Menschen sind." Ihr "liebevoller, guter Vater" hat "immer 100 Prozent für uns Kinder gegeben, wenn er da war", sagt sie. "Auch für Deutschland war er gut. Rudi war ein Vater für die Demokratie."

Polly wollte eigentlich mal Designerin werden, wurde dann aber Krankenschwester. Heute leitet sie in Aarhus ein Altenheim mit 31 Wohnungen, die von 30 Mitarbeitern betreut und versorgt werden - ein exzellenter Personalschlüssel. Sie will bewusst andere Wege gehen. "Auch im Altersheim ist man immer noch ein Mensch. Selbst mit 80 oder 90 Jahren will man ein gutes Leben haben, nicht viel anders als mit 40 oder 50." Damit es ihnen gut geht, "ist es notwendig, dass auch meine Mitarbeiter zufrieden sind. Und die sollen dies ausstrahlen. Es ist viel zu machen!"

"Ihre Erinnerungen sind anders als meine"

Ihre quirlige Mutter hat mit 76 Jahren noch keine Pläne, ob sie mal zu ihr ziehen wird. Seit 2009 lebt sie wieder in Berlin, der Stadt, die das Schicksal der Dutschkes so stark bestimmte. "Ihre Erinnerungen sind anders als meine", sagt sie über ihre Kinder. Gemeinsam ist ihnen die Erinnerung an eine gleichberechtigte Ehe, viele Freiheiten, daran, wie Rudi mit ihnen tobte, Blödsinn machte und es oft Spaghetti gab, weil weder sie noch Rudi gut kochen konnte.

Alle haben seine braunen Augen, ihren hellen Teint, die Tochter spricht wie die Mutter, die Söhne erbten den Singsang ihres Vaters und sehen ihm verteufelt ähnlich. Gretchen aber sagt: "Polly ist Rudi am ähnlichsten - vor allem aber Asker, einer ihrer Zwillinge. Manchmal sehe ich Rudi in ihm."

Was bleibt von ihm in seinen Kindern? "Alle setzen sich für besseres Leben ein. Ihnen allen gemein ist ihre Liebe zu den Menschen, und dass man Unterdrückung oder Beleidigungen nicht akzeptieren darf." Sie selbst wünscht sich Rot-Rot-Grün an der Macht. Zumindest privat hat sie gerade ihr Ideal beisammen: Sozialdemokratie, Sozialistische Volkspartei und Grüne. Evolution eben, statt Revolution.

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