Zugunglück bei Santiago de Compostela:Spanien fahndet nach Ursachen

Alle warten auf die Blackbox: Am Tag nach dem schweren Zugunglück im Nordwesten Spaniens forschen die Behörden nach der Ursache. Ob überhöhte Geschwindigkeit schuld ist, dass der Zug mit 220 Passagieren an Bord entgleiste, soll eine Vernehmung des Lokführers zeigen. Ein Wissenschaftler entlastet das Personal allerdings.

Von Karin Janker

War es technisches Versagen oder ein Fehler des Lokführers? Ist der Zug tatsächlich mit 190 statt der erlaubten 80 Stundenkilometer in die gefährliche Kurve gerast? Wer ist Schuld am Tod von mindestens 80 Menschen? Das fragt Spanien am Tag nach dem Zugunglück in der Nähe von Santiago de Compostela sich selbst - und vor allem das staatliche Eisenbahnunternehmen Renfe.

Wichtige Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen dürfte die Blackbox aus dem Alvia-Schnellzug liefern. Wie die Zeitung El País berichtet, werde das Aufzeichnungsgerät derzeit von den zuständigen Justizbehörden ausgewertet. Nach Informationen des spanischen Verkehrsministeriums werde von der Blackbox auch die Geschwindigkeit gespeichert. Das könnte Rückschlüsse darüber erlauben, ob zutrifft, was Medien spekulieren: dass der Zug entgleist ist, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit in eine enge Kurve fuhr.

Zuvor hatten spanische Medien wie El País einen Lokführer zitiert, der angeblich per Funk zugab, mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kurve gefahren zu sein. Inzwischen wurde auch bekannt, dass die Ermittlungsbehörden den Lokführer als Verdächtigen vernehmen. Der Fahrer selbst hatte bei dem Unfall nur leichte Verletzungen erlitten und befindet sich derzeit noch in einem Krankenhaus.

Vollständige Opferliste für den Abend angekündigt

Der Generalsekretär der Lokführer-Gewerkschaft Semaf, Juan Jesús García Fraile, sagte der spanischen Nachrichtenagentur Efe, dass für den Unfall "eine Summe von Umständen" verantwortlich sein müsste.

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Der spanische Premier Mariano Rajoy (im Bild rechts) am Ort des Zugunglücks.

(Foto: AFP)

Auch Antonio Ruiz de Elvira, Physikprofessor an der Universidad de Alcalá de Henares, entlastet der Zeitung El Mundo zufolge das Zugpersonal. Menschliches Versagen sei nicht die Hauptursache gewesen, obwohl das vermutlich eine wichtige Rolle gespielt habe. Der Physiker nimmt dagegen das spanische Eisenbahnunternehmen in die Verantwortung: Sämtlich Züge und Schienen müssten mit Sensoren ausgestattet werden, die automatisch die Geschwindigkeit regeln, damit solche Zwischenfälle in Zukunft ausgeschlossen werden könnten.

Das Zugunglück ist das schwerste in Spanien seit 40 Jahren und das erste, das auf einer spanischen Hochgeschwindigkeitsstrecke Leben forderte. Insgesamt starben bei dem Unglück mindestens 80 Menschen. Eine vollständige Liste der Opfer wurde von den Justizbehörden für Donnerstagabend angekündigt.

Die Zahl der Verletzten verkündete die Regierung der autonomen Regierung Galicien am Donnerstagnachmittag via Twitter. 95 Menschen würden demnach in Krankenhäusern behandelt, von ihnen befänden sich 32 in kritischem Zustand. Vier der Verletzten sind offenbar Kinder. Insgesamt sind bei dem Unglück etwa 178 Menschen verletzt worden.

Spanien ruft dreitägige Staatstrauer aus

In ganz Spanien folgten Menschen am Tag nach der Katastrophe dem Aufruf zum Blutspenden. Die galicische Regierung bedankte sich per Twitter für die Solidarität und berichtete, dass dank der spontanen Spenden genug Blut für die Verletzten zur Verfügung stehe.

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy besuchte am Donnerstag den Unglücksort. Rajoy, der selbst aus Santiago de Compostela stammt, sprach mit Rettungskräften, die weiter mit den Bergungsarbeiten beschäftigt waren. Die Region Galicien rief eine siebentägige Trauer für die Opfer aus. König Juan Carlos und der Thronfolger Felipe sagten am Donnerstag alle offiziellen Termine ab.

In der Stadt Santiago de Compostela, die weltweit durch den dort endenden Jakobsweg als Pilgerstätte bekannt ist, liefen zum Unglückszeitpunkt die Vorbereitungen für das Jakobsfest. Nach der Katastrophe wurden die Feierlichkeiten abgesagt. Für ganz Spanien wurde eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erschüttert. In einem Beileidstelegramm an Rajoy sprach Merkel den Spaniern ihre Anteilnahme aus. Die Bilder von der Unglücksstelle "lassen das entsetzliche Leid nur erahnen", schrieb Merkel. Ob sich möglicherweise auch Deutsche in dem Zug befanden, war zunächst unklar.

Papst Franziskus rief in Brasilien, wo er sich seit Montag aufhält, zum Gebet für die Opfer des Unglücks auf. Das Kirchenoberhaupt sei "den Familien in ihrem Schmerz nahe", sagte Vatikansprecher Federico Lombardi.

Mit Material von dpa.

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