Zu Besuch bei einer Oscar-Party:Feiern im anderen Hollywood

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Mehr als 200.000 Menschen arbeiten für die Filmindustrie in Hollywood

(Foto: AFP)

Mehr als 200.000 Menschen arbeiten in der Filmindustrie von Los Angeles. Sie verbringen den Abend nicht im Hollywood and Highland Center, auf dem Sunset Plaza oder im Beverly Hills Hotel. Sie feiern auf privaten Partys - ohne Glamour, dafür mit vielen Geschichten.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich sprechen die Menschen auf dieser Party in West Hollywood auch über diese beiden Fotos. Das eine hatte kurz zuvor Twitter lahmgelegt. Bradley Cooper hatte das Bild geknipst, Ellen DeGeneres es sogleich beim Kurznachrichtendienst hochgeladen und als "best photo ever" bezeichnet. Zu sehen sind auf auf diesem Selfie Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Julia Roberts, Jared Leto, Kevin Spacey, Brad Pitt, Lupita Nyong'o und Angelina Jolie. Das zweite Foto zeigt Brad Pitt, wie er herzhaft in eine Pizza beißt. Auch Chiwetel Ejiofor, Harrison Ford und Kerry Washington hatten sich ein Stück besorgt.

Noch bedeutsamer als die schiere Anzahl an Hollywood-Stars auf diesen Fotos war die Nachricht, die diese beiden Bilder transportieren sollten: Hach, was sind wir doch für verrückte Hühner. Natürlich haben wir wochenlang gehungert, um in die exquisiten Kleider zu passen. Natürlich haben wir uns aufgebrezelt, mit professioneller Hilfe hübsch gemacht und sowohl Posen als auch mögliche Ansprachen geübt - doch eigentlich sind wir doch nur ganz normale Typen, die bei einem Selfie debil in eine Kamera grinsen oder genüsslich Pizza in die Futterluke schieben wie alle anderen.

Doch das stimmt natürlich nicht. Zum einen deshalb, weil normale Menschen in Los Angeles so selten sind wie eine Oscar-Verleihung ohne Nominierung für Meryl Streep. Zum anderen, weil das Selbstporträt keine spontane Aktion ist, sondern von einem der Sponsoren der Veranstaltung geplant worden ist. Und nicht zuletzt ist es der einzige Sinn dieser Academy Awards, das Nicht-Normale dieser 3300 Menschen im Dolby Theater zu feiern.

Nur: Die Filmindustrie in Hollywood besteht aus mehr als 200.000 Menschen, und die verbringen den Abend eben nicht im Hollywood and Highland Center, auf dem Sunset Plaza bei der Party von Vanity Fair oder im Beverly Hills Hotel, wo das Night of 100 Stars Dinner stattfindet. Sie feiern auf privaten Partys - ohne Glamour, dafür mit vielen Geschichten. Wer wissen will, wie Hollywood wirklich ist, der sollte mal eine dieser Feiern besuchen.

Tanzen in Unterwäsche

Gastgeber auf einer dieser Partys ist Michelle Alexander. Sie war Cheerleader und hat bereits vor der Gründung der Pussycat Dolls in Unterwäsche getanzt, mittlerweile arbeitet sie recht erfolgreich als Maskenbildnerin. Ihr Freund Jett Pink war der Hauptdarsteller einer Comedyserie bei Bravo TV, er tritt mittlerweile als Bluessänger in den Clubs von Hollywood und Santa Monica auf. Seine Cousine hat die Kostüme für den Film "Nebraska" entworfen, wurde aber nicht für den Oscar nominiert. "Die Konkurrenz war in diesem Jahr zu stark", sagt Pink.

Es gibt auf dieser Party keinen Champagner, keine Mini-Schoko-Oscars und kein feinstes Fleisch wie auf dem Governors Ball ein paar Stockwerke über dem Dolby Theater, wo 1500 Oscar-Gäste nach der Verleihung feiern und wo sich Bradley Cooper von Starkoch Wolfgang Puck ein Steak zubereiten lässt. Es gibt Bier und - ja, wirklich - Pizza. Wenn man so durch das schnucklige Haus spaziert, dann trifft man auf Gäste, bei denen man das Gefühl hat, sie von irgendwo her zu kennen. Das tut man tatsächlich, nicht wenige verdienen ihr Geld mit Auftritten in Werbefilmen, TV-Serien oder Musikvideos. Ebenfalls unter den Gästen: Anwälte, Zimmerer, Elektriker und vor allem Musiker. Einer, der nur "Papa Joe" genannt werden möchte, schnappt sich in jeder Werbepause die Gitarre und stimmt Lieder an: zuerst "Ordinary Love" von U2, dann "Ring of Fire" von Johnny Cash, später "Happy" von Pharrell Williams. Sieben Partygäste sind übrigens im 24-Stunden-Video von "Happy" zu sehen.

Man diskutiert über die nominierten Filme, über die Kleider der Stars und die unglaublich langweiligen Interviews auf dem Roten Teppich. Ganz normal also - und doch beweisen die Gäste durch kleine Anekdoten, dass sie zu dieser gewaltigen Industrie gehören. Als Jennifer Aniston eingeblendet wird, erklärt eine, dass die Schauspielerin nun Extensions tragen würde, weil sie sich ihre Haare offenbar durch zu viel Chemie ruiniert habe. Ein anderer beschwert sich darüber, dass Brad Pitt es nicht für nötig gehalten habe, sein Stuntdouble aus "World War Z" zur Premiere des Films einzuladen. Dafür finden alle Bill Murray klasse, er würde selbst einen Kabelträger mit Respekt behandeln. Es ist auffällig, dass jeder gerne eine Geschichte erzählen will, die noch nicht in einem Promimagazin stand, dieses Wissen ist eine Währung in Hollywood. Wer in seinem Lebenslauf nicht unbedingt die Verwandtschaft zu einer mächtigen Person vermerken kann, der muss damit werben, möglichst viele Menschen zu kennen - und offensichtlich kennt man einen Promi dann, wenn man möglichst viele Geschichten über ihn erzählen kann.

"Ich habe alles verloren"

Es ist das andere, das weniger schicke Hollywood, das auf dieser Party zu beobachten ist: Sie sind mittendrin, aber irgendwie doch nicht dabei - und sie haben andere Probleme als die Menschen in Smoking und Abendkleidern. Auch darüber wird gesprochen: Weil immer mehr Produktionen in andere Länder oder Bundesstaaten verlegt werden, sind in den vergangenen acht Jahren mehr als 16.000 Jobs verschwunden. "Ich habe alles verloren", sagt Tom Capizzi. Er hat 16 Jahre lang als Techniker in Hollywood gearbeitet, im vergangenen Jahr wurde er entlassen und ist seitdem arbeitslos: "Es tut weh, diese Filme zu sehen und zu wissen, dass sie woanders produziert werden." Er hat tagsüber auf dem Hollywood Boulevard protestiert und hofft nun, dass der neue Filmzar Ken Ziffren den Exodus aufhält und er wieder beauftragt wird.

Grundsätzlich ist die Stimmung auf dieser Party jedoch äußerst fröhlich. Vor allem über den Faux Pas von Ellen DeGeneres amüsieren sich die Gäste köstlich. Den Selfie mit den vielen Stars erstellt die Moderatorin nämlich mit einem Smartphone der Firma Samsung, einer der Sponsoren der Veranstaltung. Backstage jedoch, das zeigen andere Twitter-Einträge, verwendet die Moderatorin ganz offensichtlich ein Apple-Gerät. "Ist das peinlich", sagt einer der Gäste. Peinlich, gewiss, aber irgendwie auch herrlich normal.

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