Zoo:Gorilla Harambe wäre auch in Deutschland abgeschossen worden

Harambe, a 17-year-old gorilla at the Cincinnati Zoo

Harambe, ein 17 Jahre alter Gorilla wurde im Zoo von Cincinnati erschossen, nachdem ein kleiner Junge zu ihm ins Gehege gefallen war.

(Foto: REUTERS)

In einem Tierpark in den USA ist ein Kind ins Affen-Gehege gefallen, ein Tier wurde daraufhin erschossen. Welche Notfallpläne gibt es in deutschen Zoos? Zwei Experten berichten.

Von Felicitas Kock

Ein kleiner Junge steht im Wassergraben eines Gorillageheges, neben ihm ein riesiger Silberrücken. Plötzlich greift das Tier nach dem Bein des Dreijährigen, zieht ihn durchs Wasser und stellt ihn wieder auf die Füße. Ganz einfach, als handele es sich um Spielzeug. Die Bilder aus dem Zoo der US-Stadt Cincinnati gingen um die Welt und lösten in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung aus. Gegen die Eltern, die nicht besser auf ihren Sohn aufgepasst hatten - und gegen den Park, der den Affen erschoss.

"Ein tragischer Fall. Es war sehr ergreifend für mich, das Video zu sehen", sagt Volker Homes. Der Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten in Deutschland (Vdz) hat immer wieder mit Zoo-Gorillas zu tun. Wunderbare Tiere, sagt er, "aber das Verhalten kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern." Und: Den Affen hätte in einem deutschen Tierpark wohl ein ähnliches Schicksal ereilt.

Jeder Zoo hat Notfallpläne für den äußerst seltenen Fall, dass ein Besucher ins Gehege gerät oder ein Bewohner ausbricht. Die Tiere werden dafür in drei Kategorien unterteilt - vom harmlosen Meerschweinchen (Kategorie 1) bis zum potenziell gefährlichen Elefanten (Kategorie 3). Für jede Gruppe gibt es einen eigenen Plan. Zur Kategorie 3 gehören auch sämtliche Menschenaffen, "weil sie auf jeden Fall stärker sind als der stärkste Mensch", so Homes.

Die Notfallpläne und regelmäßigen Trainings können nur als Orientierungshilfe dienen für konkrete Gefahrensituationen, die sich am Ende doch deutlich voneinander unterscheiden. Welches Tier ist involviert? Was macht es? Wie verhält sich der beteiligte Mensch? Welche Auswege stehen zur Verfügung? Fragen, die in jedem Fall neu erwogen werden müssen - und das innerhalb weniger Minuten.

Eine Betäubung ist keine Option

"Zunächst wird immer versucht, Tier und Mensch zu trennen", sagt Homes. Das sei wohl auch in Cincinnati passiert. "Die zwei Weibchen, die auch im Gehege waren, sind wohl weggelockt worden, aber der Silberrücken ist leider geblieben." Dann stehe das Menschenleben klar über dem Tierleben - auch wenn Tierschützer auf der ganzen Welt sich nun aufregen.

Eine Betäubung ist in der Regel keine Option. Bis sie wirkt, können zwanzig bis dreißig Minuten vergehen - und was in dieser Zeit passiert, ist nicht vorherzusehen. "Die Tiere mögen keine Betäubungen. Ihre Erfahrung sagt ihnen, dass sie dann vom Tierarzt behandelt oder irgendwo hingebracht werden, das gefällt ihnen nicht", sagt Homes. Es kann also durchaus sein, dass eine Betäubung ein Tier erst richtig wütend macht. Und wenn ein Gorilla aufgeregt ist, sagt Homes, könne es auch sein, dass die Betäubung gar nicht wirkt - oder dass der Tierarzt sie besonders stark dosiert und das Tier am Ende durch das Betäubungsmittel stirbt.

Gelingt es nicht, das Tier vom Menschen zu trennen, bleibt also nur der Abschuss. In der Regel ist zu jeder Tages- und Nachtzeit mindestens eine Person im Zoo, die diesen vornehmen kann. Meistens der Tierarzt oder der Zoodirektor.

Im Jahr 2012 musste Theo Pagel zur Waffe greifen. Der Direktor des Kölner Zoos war gerade auf dem Weg in seine Wohnung im Tierpark, als klar wurde, dass eine Pflegerin fälschlicherweise ins Tigergehege gegangen war, obwohl sich das Raubtier dort aufhielt. Die Frau hatte eine Sicherheitsschleuse nicht ordnungsgemäß geschlossen. Den Fehler bezahlte sie mit ihrem Leben, genau wie der Tiger.

"Wir machen den Job, um Tiger zu retten, nicht, um sie zu erschießen"

"Die Entscheidung zum Abschuss haben wir sehr schnell getroffen", sagt Pagel. Er sei zu dem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass die Mitarbeiterin noch am Leben sei. Die Polizei habe dringend zum Abschuss geraten, eine Narkose sei wegen der langsamen Wirkung verworfen worden. Im Kölner Zoo haben neun Mitarbeiter die Berechtigung und das nötige Training, ein Tier zu erschießen. Pagel griff selbst zur Waffe.

Im Gespräch mit dem Kölner Express sprach er damals vom schwärzesten Tag seines Lebens. "Das war nicht schön", sagt er heute. Eine langjährige Mitarbeiterin sei gestorben. Als Leiter eines Zoos hänge man außerdem an den Tieren. "Wir machen den Job, um Tiger zu retten, nicht, um sie zu erschießen". Immerhin, er könne nun davon ausgehen, dass er das nicht noch einmal erleben müsse: In der 156-jährigen Geschichte des Kölner Zoos mussten bislang drei Tiere erschossen werden.

Die andere Lösung - höhere Zäune, eine noch bessere Abschirmung der Tiere, damit niemand in das Gehege gelangen kann - findet Pagel schwierig. Genau wie Volker Homes: "Es wird sichergestellt, dass niemand, wirklich niemand, aus Versehen in das Gehege kommt", sagt der Geschäftsführer des Vdz. Wenn jemand aber, aus welchem Grund auch immer, dort eindringen wolle, schaffe er das in der Regel auch. Im Jahr 2009 etwa kletterte eine geistig verwirrte Frau im Berliner Zoo über die Absperrung ins Eisbärengehege. Sie wurde von den Tieren schwer verletzt, ehe Pfleger die Bären mit Stangen vertreiben konnten.

Die Zäune im Tierpark sind oft nicht hoch, Wassergräben schmal und seicht. "Unser Auftrag ist ja, den Leuten die Tiere nahezubringen. Sie sollen sie mit möglichst vielen Sinnen erleben, sollen die Tiere sehen, hören, riechen können", sagt Homes. Überall hohe Begrenzungen anzubringen widerspreche daher dem Grundgedanken des Zoos.

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