Kokain am Hamburger Hafen:Jagd nach dem weißen Pulver

LKW Weißraum

In der Containerprüfanlage in Waltershof können ganze LKW durch eine riesige Röntgen-Anlage geschickt und durchleuchtet werden. So entdecken die Zollfahnder auch Schmuggelgut hinter Stahlplatten.

(Foto: Zoll)
  • Als einer der größten Häfen Europas ist der Hamburger Hafen auch Umschlagplatz für illegale Waren.
  • Immer wieder gelingen dem Zoll dort spektakuläre Funde, etwa von großen Mengen Kokain.
  • Trotzdem können die Beamten nur einen Bruchteil der angelieferten Container durchsuchen.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Das Zeug kann überall stecken, das wissen die Jäger. Draußen an Deck, in Türmen von Containern. Drinnen in Schränken oder Hohlräumen, hinter Stahlverstrebungen, unter doppelten Böden, im Ankerkettenkasten. Oder vielleicht unter dieser Eisenplatte, die da gerade abgeschraubt wird?

Bei der Jagd auf Schmuggelware wurden schon allerlei bizarre Verstecke entdeckt, auch hier, im Hamburger Welthafen. "Hundertprozentig ist das nicht zu kontrollieren", sagt der Zollhauptsekretär Marco H. und klettert hinab in den Ballasttank der Vera Rambow.

Die Razzien sind Routine

Der Einsatztrupp KE26 vom Hauptzollamt Hamburg-Hafen startet früh zu dieser Mission. Es ist kalt und klar, die tiefe Sonne funkelt auf der Elbe, die Riesenschiffe, die Kräne und die massenhaft hochgeschichteten Container am Eurogate bilden das Panorama eines der größten Terminals dieser Art in Europa. Ein Hotspot der Globalisierung und der deutschen Exportwirtschaft, gleich neben dem Elbtunnel und der A 7. Für die Profis vom Hauptzollamt ist dies eine ganz normale Inspektion auf der Suche nach allem, was verzollt werden muss oder was gar nicht rein darf nach Deutschland und in die EU. Zum Beispiel Kokain.

Die Vera Rambow ist häufig in Hamburg, solche Razzien sind auch ohne konkreten Verdacht Routine. Das Containerschiff ist ein Zulieferer, ein sogenannter Feeder, und kam durch den Nordostseekanal, später geht's zurück Richtung Skandinavien und Baltikum. Mit seinen 168 Metern Länge, 27 Metern Breite und 1420 Standardcontainern ist es eine kleine Nummer, wenn man andere Pötte am Eurogate oder Burchardkai sieht. Nebenan liegt die MSC Beatrice, Flagge Panama, 366 mal 51 Meter, 14 000 Container. Oder die MSC Erica, Flagge Liberia, 399 mal 59 Meter, 20 000 Stahlboxen.

Geschossen und verfolgt wird eher in Filmen

Wie checkt man all diese Kolosse auf verbotene Ladung wie diesen unfassbar wertvollen,weißen Stoff? Die Kontrolleure der KE26 kommen in Mannschaftsstärke über die Gangway an Bord, die Besatzung besteht aus 15 Seeleuten aus den Philippinen, der Ukraine oder Deutschland.

Die meisten der Fahnder tragen Pistolen im Halfter und eine kugelsichere Weste, Zoll steht darauf. Am Gurt klemmen außerdem Funkgerät, Pfefferspray, Handschellen. Geschossen und verfolgt wird eher in Filmen, aber man weiß ja nie, es könnte im Ernstfall um sehr viel Geld gehen. Um illegal eingeführte Waffen, Zigaretten oder Alkohol, um gefälschte Turnschuhe oder gepanschtes Parfüm - oder eben um Kokain.

Hamburgs Hafen ist die Nummer 18 der Welt und in Europa die Nummer drei nach Rotterdam und Antwerpen. Ein paar Zahlen: 9 000 Schiffe im Jahr, 2300 Güterzüge (und noch mehr Lastwagen) pro Woche, 136,5 Millionen Tonnen Güter und 8,8 Millionen Container alleine 2017. Auf der anderen Seite wird nach Schätzungen der UN weltweit Kokain für mindestens 88 Milliarden Euro gehandelt.

Der Stoff kommt bevorzugt auf dem Seeweg in die EU

Kokain ist längst mehr als eine Luxusdroge, es ist Teil des Welthandels. Sehr klar beschrieben beispielsweise im Buch "Zero Zero Zero" von Roberto Saviano. Untertitel: "Wie Kokain die Welt beherrscht." Ein Buch der in Mexiko bedrohten Journalistin Ana Lília Pérez trägt den Titel "Kokainmeere", auch Hamburg kommt darin vor.

Die Routen in diesem Wettkampf zwischen Staat und Mafia führen aus Kolumbien, Peru oder Bolivien über Brasilien und andere Ausfalltore Lateinamerikas bevorzugt auf dem Seeweg auch in die EU - nach den USA der zweitgrößte Markt für Koks. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen vermutet, dass in der EU 2017 Kokain für 5,7 Milliarden Euro unter die Kunden gebracht wurde, trotz 87 000 gemeldeter Sicherstellungen.

Die großen Häfen sind Drehkreuze in beide Richtungen

Udo Storch, Zollfahndung

"Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, aber wir schrecken ab, weil wir Flagge zeigen."

Hamburg ist ein Drehkreuz, Bremerhaven ebenfalls, Antwerpen oder Rotterdam erst recht. Über solche Häfen gelangen Drogen nach Norden und in die wachsenden Märkte des Ostens. In umgekehrter Richtung werden Opiate, Amphetamine oder Chemikalien zur Kokainproduktion verschickt.

Wenn ein Container mit Schrott aus Curaçao auffällt, wie im Januar 2017, wird er durch die Containerprüfanlage am Zollamt Waltershof gleich um die Ecke gefahren, ein gigantischer Röntgenapparat hinter dicken Wänden. Schaut man dort auf die Bilder und lässt sie sich erklären, dann sieht man, dass sich hinter Bleiplatten und Gewirr noch etwas anderes verbarg als Altmetall. 717 Kilo reines Kokain, auf der Straße 145 Millionen Euro teuer. Umso dramatischer wurde die Sache wegen einer Geiselnahme am holländischen Bestimmungsort. Die Polizei dort griff nach wochenlanger Observation zu und erwischte Hintermänner, ein seltener Coup.

Die Nachfrage muss hoch sein

Juli 2017: Hamburgs Zoll präsentierte in einer schwer gesicherten Kaserne 3,8 Tonnen Kokain. Stadtrekord. Aufgespürt im Frühling 2017 in acht Containern aus Paraguay und einem aus Uruguay, zwischen Futtermitteln und Holzkohle, adressiert nach Belgien. Bunte Päckchen im Kiloformat, steinhart gepresst und mit den in der Szene bekannten Zeichen der Drogenkartelle versehen. Der Wert: etwa 800 Millionen Euro, damit hätte sich die Elbphilharmonie bezahlen lassen.

Die Beute wurde verbrannt, die Preise für Kokain stiegen dennoch nur ganz kurz. Die Lieferungen werden immer größer, die Schmuggler immer dreister. "Im Moment werden wir überschwemmt", sagt ein erfahrener Zollexperte. "Die Nachfrage muss wahnsinnig hoch sein."

Und das Angebot auch, trotz des Friedensvertrages mit der Farc-Guerilla blühen die Kokafelder nicht zuletzt in Kolumbien. Die Händler sind Organisationen mit einer Logistik wie Konzerne, mit internationalen Netzwerken. Sie haben ihre Leute überall und kennen alle Tricks, von der Geldwäsche bis zur Kleindealerei. Geheime Verladetechniken tragen Namen wie rip off oder rip on, Pakete werden in Sporttaschen hinter Containertüren verstaut oder mit Peilsendern noch auf dem Meer über Bord geworfen. Im vergangenen Jahr wurden eingeschweißte Kokaintafeln an ostfriesischen Inseln angeschwemmt.

Oft helfen Hinweise aus internationaler Zusammenarbeit

Kokain am Hamburger Hafen: Wenn die Beamten ein riesige Schiff durchsuchen, treffen sie dort auf wenige Mitarbeiter, die häufig ahnunglos sind, was die Container geladen haben.

Wenn die Beamten ein riesige Schiff durchsuchen, treffen sie dort auf wenige Mitarbeiter, die häufig ahnunglos sind, was die Container geladen haben.

(Foto: Zoll)

Besonders beliebt sind Bananendampfer aus Südamerika, da schauen die Risikoanalysten des Hamburger Zolls genau auf Routen und Papiere. Kürzlich wurde wieder eine umfangreiche Menge Kokain erwischt, zwischen Früchten aus Mittelamerika, Einzelheiten sollen vorerst geheim bleiben. Ein andermal fand sich Koks in Oldtimern uruguayischer Herkunft, die Jäger finden aber auch mal eine ausgestopfte Antilope.

An der Wand des Spezialisten, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, weil man ja nie weiß, wer die Zeitung liest, hängen Fotos besonders ausgefallener und dennoch aufgedeckter Methoden. Eine davon: Heroinmandeln. Mit weißem Pulver gefüllte Mandeln aus Afghanistan. "Absolut genial", sagt er. Im Zweifel kommen Spürhunde und die Containerprüfanlage zum Einsatz - auf die Spur führen oft Hinweise aus grenzübergreifender Zusammenarbeit, Zufall oder "das Bauchgefühl, wenn man merkt, da passt was nicht", sagt Stephan Meyns, Sprecher und Ermittler beim Hauptzollamt Hamburg-Hafen. "Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, aber wir schrecken ab, weil wir Flagge zeigen", meint sein Kollege Udo Storch. Gewöhnlich wissen Reedereien und Besatzungen selbst nicht, wer was Verbotenes wo in Container gepackt hat.

Diesmal finden die Zöllner nichts

Aufgestöbert wird trotz Röntgen oder Endoskop nur ein Bruchteil. "Wir laufen der Gegenseite naturgemäß immer ein bisschen hinterher", sagt Torsten Ahrens, Chef der Hamburger Schiffskontrolleure. Sie können nicht jede Banane inspizieren und von den fast neun Millionen Containern nur ein paar Tausend. Die Zollwache bräuchte sonst ein Heer an Fahndern, sie würde den Hafen ruinieren und den globalen Warenverkehr lahmlegen.

Fast drei Stunden lang laufen sie auf der Vera Rambow die Treppen rauf und runter, in den warmen Maschinenraum, auf die Brücke, zu den eisigen Containern. Ein Knochenjob mit Beamtengehalt, ohne Prämien und in der Regel ohne spektakuläre Funde, aber mit dem Reiz, vielleicht doch die große Entdeckung zu machen. Alles im Dienst von Gesetz und Steuerzahlern. Marco H. steigt mit Helm und Taschenlampe wieder aus dem Balasttank der Vera Rambow, gesichert vom Kollegen und beobachtet vom ukrainischen Schiffsoffizier. Auch da unten ist nichts.

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