Zirkus:Traurigste Show der Welt

Nach 146 Jahren gibt der amerikanische Ringling-Zirkus seine letzte Vorstellung. Der Kartenverkauf ging seit Jahren zurück - aber das Aus bedeutete letztlich der Abschied von den Elefanten.

Von Kathrin Werner, New York

Die Elefanten marschierten durch den Midtown-Tunnel, wenn der Zirkus in die Stadt kam. Einer hinter dem anderen, Jumbo, Romeo, April, Asia und wie sie alle hießen, der Tunnel nach Manhattan wirkte plötzlich viel kleiner. Die Elefanten-Parade war ein Ritual und ein Spektakel, das zu Ringling Bros. passte, dem amerikanischen Synonym für Zirkus. 1883, als die New Yorker Angst hatten, dass die Brooklyn Bridge kollabieren könnte, wollte der Co-Gründer des Zirkus, Phineas Taylor Barnum, die Elefanten zum Gewichtstest hinüberschreiten lassen. Die Behörden lehnten ab, 1884 paradierten die Dickhäuter trotzdem über die Brücke.

Jetzt macht Ringling Bros. and Barnum & Bailey dicht. Vor 146 Jahren taten sich der Schausteller Barnum mit dem Zirkusdirektor James Bailey zusammen, um tierische und menschliche Kuriositäten zu präsentieren. Als der Zirkus im Frühling 1871 in New York gastierte, bewarb eine Anzeige in der New York Times "zwei kolossale Zelte" voll mit einer "fantastischen Ansammlung" von "lebenden seltenen wilden Biestern" und "Dan Costellos Mammut-Zirkus". Gleichzeitig zogen fünf Ringling-Brüder eine Varieté-Darbietung auf. 1919 fusionierten dann noch "Die größte Show der Welt" der Ringling-Brüder und "Die größte Show der Erde" des Barnum & Bailey Circus.

Menschen, Tiere und Sensationen reisten in die entlegensten Orte des Landes und brachten die weite Welt in die Provinz. Doch bald gab es andere Freizeitparks und vor allem das Fernsehen - samt Sport-Großereignissen, vor denen sich die amerikanische Familie versammelte. Und Elefanten-Dokumentationen, die zeigten, dass die Tiere keine Kopfstände machen, wenn sie nicht müssen. Kleine Kinder verkleideten sich nicht mehr als Zirkusdirektor und fieberten dem Aufmarsch der Elefanten durch den Midtown Tunnel nicht mehr entgegen. Sie hatten Computerspiele und Smartphones. Die Menschen änderten sich, der Zirkus jedoch blieb gleich. Ein Unternehmen nach dem anderen gab auf, in den USA zuletzt der Big Apple Circus und Cole Bros., gegründet 1884.

Plötzlich fanden die Menschen die Tiere nicht mehr faszinierend, sondern bemitleidenswert

"Versuch mal, einen Drei- oder Vierjährigen zwölf Minuten lang zum Stillsitzen zu bringen", sagte Kenneth Feld, Chef von Feld Entertainment, der Nachrichtenagentur AP. Zwölf Minuten - so lange dauerte die Tiger-Nummer des Ringling Bros. and Barnum & Bailey Zirkus, den das Familienunternehmen Feld Entertainment 1967 gekauft hatte. Zwölf Minuten sind länger als die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Menschen. Die Zuschauer kamen immer weniger wegen des Nervenkitzels, sondern vor allem wegen der Nostalgie in den Zirkus. "Wir wissen, dass Ringling Bros. nicht nur unser Familienunternehmen ist, sondern auch Eure Familientradition", schrieb Feld in einem offenen Brief an die verbliebenen Fans. Eltern brachten ihre Kinder, weil sie selbst einmal von ihren Eltern in den Zirkus gebracht worden waren - doch es wurden immer weniger. Die Ticketverkäufe sanken seit Jahren. Der Zirkus mit 300 Mitarbeitern, der aufwendigen Logistik und den steigenden Saalmieten lohne sich einfach nicht mehr. Und wenn die Ticketpreise weiter stiegen, kämen noch weniger Leute. "Es war eine schwere Geschäftsentscheidung", schrieb Feld.

Den größten Einbruch aber brachte das Ende der Elefanten-Nummer. Einst waren es die grauen Riesen, die die Menschen in den Zirkus lockten. Doch rund um den Erdball stieg die Sorge, dass Kopfstand, Ballett und Ringe-Fangen nicht im Interesse der Tiere sein könnten. Die Tierschutzorganisation Peta und andere Gruppen protestierten heftig gegen den Einsatz der Tiere - gegen alle Zirkusse mit Elefanten, aber insbesondere gegen Ringling, das amerikanische Aushängeschild. Wo auch immer der Zirkus hinkam, standen schon Tierschützer mit Transparenten bereit. Es gab Dutzende Klagen. Peta nannte die Trainingsmethoden grausam, bei denen Stangen und Ketten zum Einsatz kommen. Kalifornien und Rhode Island verboten den Ankus, die Kommandohilfe mit dem Haken an der Seite.

Zwar gewann Ringling Bros. manche Streitigkeiten mit den Tierschützern. 2014 zum Beispiel kassierte der Zirkus nach einem 14-jährigen Rechtsstreit 25 Millionen Dollar von Tierschützern. Angesichts des immer schlechteren Images entschied der Ringling-Zirkus aber dennoch, die Elefanten-Nummer ganz aufzugeben. Die letzten elf tourenden Tiere, von der sechsjährigen April bis zur 48-jährigen Asia, gingen im Mai 2016 in Rente. "Ringling Brothers baut die Elefanten ab. Meine Wenigkeit wird nie wieder hingehen. Sie haben den Tierrechte-Kram wahrscheinlich nur genutzt, um die Kosten zu senken", twitterte Donald Trump 2015, damals Reality-Fernsehstar.

Peta jubilierte. Das Ende "der traurigsten Show der Welt" sei das Resultat von 36 Jahren Protesten. "Alle anderen Zirkusse, Zoos und Aussteller von Wildtieren, einschließlich mariner Freizeitparks wie Seaworld oder Miami Seaquarium, müssen erkennen: Die Gesellschaft hat sich verändert, Augen wurden geöffnet, Menschen haben erkannt, wer diese Tiere sind und dass es falsch ist, sie zu fangen und auszunutzen."

Von Feld Entertainment bleiben ein paar Unterhaltungsshows übrig und ein Zentrum für Zirkuselefanten in Florida namens Center for Elephant Conservation (CEC). Auch gegen das CEC gibt es Proteste, weil nicht alle Tiere im Freiland gehalten werden. Doch insgesamt hat es einen guten Ruf, es arbeitet zusammen mit mehreren Zoos, Naturschutzorganisationen und Genforschern, die nach Krebstherapien suchen. Die letzten Ringling-Elefanten sind im Mai bereits hierhin umgezogen. Auch für die anderen Tiere des Zirkusses, darunter Tiger, Dromedare und Pferde, will Feld Entertainment eine passende neue Heimat suchen. Der letzte gemeinsame Auftritt der verbleibenden wilden Biester und Artisten soll im Juni stattfinden. Dann ist bei Ringling Bros. zum letzten Mal Manege frei für Menschen, Tiere und Sensationen. Nur nicht für Elefanten.

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