Zeitgeschichte:Zoff im Zoll

Joschka Fischer

Wilde Zeiten: Joschka Fischer bei einer Frankfurter Demo im Mai 1974.

(Foto: Manfred Rehm/dpa)

Eigentlich geht es nur um drei fotokopierte Zettel mit wenig Inhalt. Warum die angebliche Polizeiakte aus Joschka Fischers Putztruppen-Zeit dennoch für Aufregung sorgt - und welche Rolle eine Behörde dabei spielt.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Rouven Pons hat einen Wunsch. Der Mann ist promovierter Historiker, inzwischen Oberrat im Landesarchiv in Wiesbaden, betraut mit der Sammlung bedeutsamer Dokumente. Eine Unterlage aus der jüngsten hessischen Historie hätte Pons allzu gern in seinen Händen: Die angeblich 30 Jahre verschwundene und nun angeblich wieder aufgetauchte Polizeiakte des einstigen Frankfurter Straßenkämpfers und späteren Außenministers Joschka Fischer. "Die würde uns schon sehr interessieren", sagt der auch für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Archivar.

Es gibt nur ein Problem: Die Akte ist gar keine Akte, sondern besteht aus drei fotokopierten Zetteln eines erkennungsdienstlichen Protokolls. Dennoch ist sie Anlass für einen seltsamen Behördenstreit.

Am Freitag vergangener Woche meldete die Bild-Zeitung einen aufsehenerregenden Fund: Zollbeamte am Frankfurter Flughafen hätten einen herrenlosen Koffer entdeckt. Darin befinde sich die Polizeiakte Fischers aus Zeiten der Frankfurter "Putztruppe", einer Polit-Schlägerbande, die, grob gesagt, aus Spontis, Krawallmachern und Hasch-Rebellen bestand. Regelmäßig mischte die Putztruppe die Stadt auf, man warf Steine und prügelte sich mit der Polizei. Am 10. Mai 1976 machten Fischer und seine Jungs in Frankfurt wieder Bambule, es flogen Brandsätze, einer traf den Polizeibeamten Jürgen Weber, der dabei fast verbrannt wäre. Etliche Mitglieder wurden hernach festgenommen, auch Fischer, damals 28 Jahre alt.

Streng genommen ist die Akte gar keine Akte. Es sind drei Zettel, auf denen nichts Neues steht

Das erkennungsdienstliche Protokoll zu Fischer gibt eher wenig her: Fotos, Fingerabdrücke, Angaben zur Person. Seine Antworten auf die Fragen nach dem Verantwortlichen für den fatalen Brandsatz-Anschlag finden sich in dem Protokoll nicht. Er hat damals bestritten, je einen Molotow-Cocktails geworfen zu haben, und tut dies heute noch. Der Schuldige wurde nie gefunden. Der angebliche Aktenfund bringt also keinerlei neue Erkenntnisse in dieser alten Sache, die Fischer vor etlichen Jahren schwer zu schaffen machte. 2001 wurde auch im Bundestag über die militante Vergangenheit Fischers debattiert.

Inzwischen ist der Mann im politischen Ruhestand, hat eine Beratungsfirma in Berlin und reist durch die Welt. Über die Putztruppe regt sich kein Mensch mehr auf, Tempi passati. Nichts Neues also?

Falsch. In der Geschichte über den angeblichen Dokumentenfund verbirgt sich tatsächlich eine Affäre. Die hat allerdings überhaupt nichts mit Fischer, sondern einem offenkundig ziemlich schlechten Klima im Frankfurter Hauptzollamt zu tun.

In jüngster Zeit hatten sich via Bild Mitarbeiter anonym über den Behördenleiter beschwert. Auch der Fischer-Bericht enthielt einen schwerwiegenden Vorwurf gegen den Zoll-Chef. Die Zöllner hätten die Zettel aus dem Koffer an Journalisten gegeben, um zu verhindern, dass die "Zoll-Behördenleitung die Dokumente endgültig verschwinden lässt", hieß es.

Ein Behördenchef, der fremde Unterlagen vernichtet? Das wäre ein kleiner Skandal. Die Zettel, jedenfalls im Original, gehören dem Land Hessen. Die Zollamtsleitung erfuhr, wie ein Gewährsmann der Süddeutschen Zeitung berichtet, aus der Zeitung von dem angeblichen Aktenfund. Sollten es tatsächlich Flughafenzöllner gewesen sein, die die Dokumente entdeckten, verschwiegen sie die Angelegenheit vor ihrem Vorgesetzten. Unangenehme Angelegenheit, sagt der Gewährsmann.

Das Original des Protokolls samt anderer Akten der hessischen Sicherheitsbehörden über Fischer sind nach wie vor verschwunden. Bis 1985 lagen sie bei der Polizei, dann ließ sie der damalige Ministerpräsident Holger Börner (SPD) in die Staatskanzlei bringen; er wollte auf Nummer sicher gehen, bevor er Fischer 1985 zum ersten grünen Umweltminister Deutschlands ernannte. Wo aber sind die Unterlagen? Polizei, Landeskriminalamt, das Innenministerium in Wiesbaden und die Staatskanzlei beteuern, sie besäßen sie nicht und hätten sie, wenn es anders wäre, vorschriftsmäßig dem Landesarchiv angeboten. Nicht mal eine Kopie der drei Zettel existiert. Der Wunsch des Historikers Pons wird wohl unerfüllt bleiben.

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