Zehn Jahre nach Hurrikan "Katrina":Apokalypse gestern

  • Am 29. August 2005 traf Katrina, ein Jahrhundert-Wirbelsturm, auf die amerikanische Golfküste. Keine Stadt wurde so hart getroffen wie New Orleans.
  • US-Präsident Barack Obama wird am Donnerstag dort eine Rede halten.

Von Nicolas Richter

Im französischen Viertel herrscht längst wieder die ortstypische Ballermann-Stimmung, die Touristen kaufen Voodoo-Puppen oder betrinken sich mit Hingabe, in der legendären Preservation Hall improvisieren die Jazz-Virtuosen, als hätte es nie einen Sturm gegeben. Es wird viel von Auferstehung geredet in diesen Tagen. US-Präsident Barack Obama wird an diesem Donnerstag Bürger besuchen, die ihre Häuser wieder aufgebaut haben, und er wird, wie das Weiße Haus mitteilt, eine Rede halten über die "Wiedergeburt" dieser gebeutelten Region.

New Orleans ist tatsächlich auferstanden in dem Jahrzehnt seit der Apokalypse. Am 29. August 2005 traf Katrina, ein Jahrhundert-Wirbelsturm, auf die amerikanische Golfküste, und das Satellitenbild dieser Naturgewalt, wie sie den halben Golf von Mexiko bedeckt und auf Louisiana und Mississippi zuwirbelt, ist auch zehn Jahre später noch beängstigend.

Keine Stadt wurde so hart getroffen wie New Orleans: Als die Dämme schließlich brachen unter den Wassermassen, die der Sturm ins Landesinnere schob, lief die Stadt voll, besonders der "Lower Ninth Ward", wo das Wasser bis zu den Dächern der zumeist ebenerdigen Häuser stand. Der damalige Bürgermeister Ray Nagin hatte zwar angeordnet, die Stadt vollständig zu evakuieren, aber Tausende arme Menschen, deren Sozialhilfeguthaben gegen Monatsende aufgebraucht war, konnten sich Bus und Hotel nicht leisten. Katrina hat dann, jenseits unvorstellbarer materieller Zerstörung, insgesamt 1800 Menschenleben gefordert.

Die Schulen sind heute besser als vor dem Sturm

Wie nach allen Katastrophen beschwört Amerika heute seinen Kampfgeist und Überlebenswillen. Obama wird in New Orleans von Menschen erzählen, die einander helfen, die allen Widrigkeiten trotzen. Zweifellos ist das ein großer Teil der Geschichte. Manche sagen, New Orleans habe nicht nur überlebt, sondern sei über sich hinausgewachsen. "Die Stadt ist heute stärker und besser als vor dem Sturm", sagt Mitch Landrieu, der Bürgermeister.

Zwar ist die Zahl der Einwohner um mehr als 130 000 und die der Wohnungen und Häuser um knapp 40 000 gesunken. Doch soll es immerhin jenen besser gehen, die geblieben oder zurückgekehrt sind. Private Initiativen, Spenden und staatliche Hilfen haben dafür gesorgt, dass die einst vernachlässigten Schulen heute mehr leisten als früher, Steuerrabatte und Subventionen haben junge Unternehmer angezogen, auch aus der Technologiebranche.

Aber der zehnte Jahrestag am Samstag erinnert nicht nur an Willenskraft, Hilfsbereitschaft und Erfindungsreichtum, sondern auch an staatliches Versagen und eine Ungerechtigkeit, die noch immer die US-Gesellschaft durchzieht. In New Orleans hat es die armen und überwiegend schwarzen Einwohner - wie so oft in Amerika - am härtesten getroffen. Das zeigt allein die Entwicklung der Einwohnerzahlen im gebeutelten "Lower Ninth Ward": Während im Jahr 2000 noch 14 000 Menschen dort lebten, sind es jetzt nur noch knapp 3000.

Heute wie damals sind die Bewohner fast ausschließlich schwarz, viele leben von Sozialhilfe, sind umgeben von Kriminalität und Gewalt. Während der Staat Milliarden gezahlt hat und unzählige Freiwillige beim Wiederaufbau geholfen haben, klagen Bewohner noch immer darüber, dass sie keine Zuschüsse bekommen für Renovierungen. "Wir sind nicht dort, wo wir nach zehn Jahren sein wollten, und wir sind nicht dort, wo wir nach zehn Jahren sein sollten", sagt Stadtrat James Gray.

Darum ist "Katrina" ein Symbol für einen überforderten Staat

Katrina hat nicht nur Häuser und Menschenleben vernichtet, sondern ist auch ein Symbol geblieben für einen überforderten Staat. Diese Inkompetenz ging weit über den ungeschickten Auftritt des damaligen Präsidenten George W. Bush hinaus, der sich nach der Katastrophe in seinem Flugzeug fotografieren ließ, wie er aus dem Fenster auf die zerstörte Stadt herabblickte. 80 Prozent von New Orleans standen da unter Wasser, Zehntausende flehten auf ihren Hausdächern um Hilfe, bis zu 20 000 harrten im Stadion, dem Superdome, ohne Nahrung und Wasser, Zehntausende sammelten sich auf dem Messegelände, ohne dass die Katastrophenschützer von ihnen wussten.

Zwischen den Behörden in Louisiana und der Hauptstadt Washington kam es zu tagelangem Kompetenzgerangel und zahlreichen Kommunikationspannen. Und während das Wasser anderswo an der Küste rasch abfloss, verharrte New Orleans in einer dunklen Kloake voll hungriger, plündernder, verzweifelter Menschen. Während Amerika damals fremde Länder eroberte, scheiterte der Staat auf seinem eigenen Gebiet.

Bush hat die Pannen untersuchen lassen, und es fanden sich viele. Eine der Ursachen war, dass die Bundesbehörde für Katastrophenschutz zugunsten der Terrorabwehr ausgebootet und herabgestuft worden war. Die US-Armee musste zugeben, dass ihre Dämme in New Orleans veraltet und brüchig waren; aus Geldmangel hatte man notwendige Reparaturen nie erledigt, obwohl man nach der letzten Katastrophe im Jahr 1965 doch alles besser machen wollte. Katrina wird auch in Jahrzehnten noch dafür stehen, dass man sich auf den Staat nicht verlassen kann, wenn man ihn am dringendsten braucht.

In der Wiedergeburt von New Orleans, die in diesen Tagen gefeiert wird, liegt ein gefährliches Versprechen: dass man so viel gelernt hat aus der Katastrophe, dass sie sich nie wiederholen kann. Aber verschiedene Studien warnen, dass auch die neuen Dämme einem neuen Jahrhundertsturm wie Katrina nicht standhalten könnten. Denn die Festivitäten und Versprechen ändern eben nichts daran, dass die Stadt New Orleans noch immer unter dem Meeresspiegel liegt.

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