Wunder-Prüfungen:Feste Regeln für das Unerklärliche

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Voraussetzung für eine Selig- oder Heiligsprechung ist eine Wundertätigkeit - "Prüfungen wie in einem Gerichtsverfahren"

Von Christiane Kohl

Das Vatikan-Büro, in dem die Wunder geprüft werden, könnte nüchterner kaum aussehen: Pater Peter Gumpel sitzt zwischen schmucklosen weißen Wänden, eingerahmt von unscheinbaren grauen Aktenschränken. Darin hat der Geistliche, der als Relator (Berichterstatter) in der Kongregation für die Heiligsprechungen tätig ist, neben anderem Krankenakten, Röntgenbilder und klinische Berichte gestapelt - weltliches Beweismaterial, das zur kirchlichen Anerkennung eines Wunders herangezogen werden muss.

Seit vielen Jahrzehnten ist der Jesuitenpater mit den Prüfverfahren zu den Heilig- und Seligsprechungen befasst, da musste schon so manches Wunder auf seine Stichhaltigkeit überprüft werden. Und Gumpel legt Wert darauf zu sagen, dass diese Prüfung durchaus kritisch ausfällt: "Wir erkennen nun wirklich nicht alles an. 90 Prozent dessen, was uns als Wunder vorgelegt wird, fällt sofort unter den Tisch."

Zumeist handelt es sich um unerklärliche Heilungsprozesse, die als wundersam empfunden wurden. Wird im Zusammenhang mit einer Heiligsprechung, der so genannten Kanonisation, der Antrag auf Anerkennung eines Wunders gestellt, ziehen Gumpel und seine Kollegen stets Sachverständige zu Rate: Theologen, Juristen und Mediziner. Diese wälzen die Unterlagen, lesen Zeugenaussagen und betrachten Röntgenbilder, um schließlich mit wissenschaftlicher Exaktheit über den jeweiligen Fall zu urteilen - ganz gleich, ob es sich um einen Kandidaten aus dem 18.Jahrhundert handelt oder um den vergleichsweise aktuellen Fall eines erst in der letzten Jahrzehnten Verstorbenen.

Die Expertisen sind Teil jener komplizierten "Causa", die Gumpel und seine Kollegen akribisch wie eine Kriminalermittlung führen: die Verfahren dauern meist viele Jahrzehnte, und ihr schwierigstes Element ist nicht selten der Nachweis des Wunders ist.

Nach einem Kirchengesetz von 1588 sind die Voraussetzungen zur Beförderung in den Heiligenstand genauestens geregelt. Demnach können Märtyrer selig gesprochen werden, die wegen ihrer religiösen Überzeugung umgebracht wurden. Soll jedoch, was häufiger vorkommt, ein seit längerem Verblichener selig gesprochen werden, weil er sich zu Lebzeiten durch besondere "heroische Tugenden" im Sinne des christlichen Glaubens hervorgetan hat, dann bedarf es neben dem Nachweis dieser Tugenden mindestens eines Wunders, das der Betreffende bewirkt haben muss. Wird später gar eine Heiligsprechung anvisiert, muss ein weiteres Wunder nachgewiesen werden, das freilich erst nach der Seligsprechung stattgefunden haben darf.

Der Vatikan zählt derzeit 476 Heilige und 1320 Selige. Bei weitem die meisten von ihnen wurden in den letzten 25 Jahren von Papst Johannes Paul II in den himmlischen Stand gehoben. Das lässt ahnen, wie viel Pater Gumpel und seine Kollegen zu tun haben. Etwa 35 Mitarbeiter, so Gumpel, sind ständig als "fester Stab" der Kongregation mit Kanonisationen und Wunderprüfungen beschäftigt.

Hinzu kommen etwa 60 juristische und theologische "Consultoren", die bei Bedarf hinzugezogen werden, sowie noch einmal rund 60 Mediziner. Zunächst sind die Theologen und Juristen gefragt. Professor Walter Brandmüller ist einer von ihnen. "Das geht", berichtet der Kirchengelehrte, "bei unseren Prüfungen wie in einem Gerichtsverfahren zu."

So wurde beispielsweise mittels langwieriger Nachfragen festgestellt, dass im süditalienischen Salerno eine krebskranke Frau durch Fürbitten des mittlerweile heilig gesprochenen Pater Pio geheilt worden sei, der schon zu Lebzeiten durch medizinisch unerklärliche Wundmale aufgefallen war. Und erst kürzlich erließ der Vatikan ein Dekret, wonach selbst der letzte österreichische Kaiser Karl I. ein Wunder vollbracht haben soll.

Seit Jahren hatte Karls Nachkomme Otto von Habsburg zäh an der "Causa" des Königs gearbeitet, der 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, nur für kurze Zeit den österreichischen Thron bestiegen hatte. Die Prüfung seiner "heroischen Tugenden" war bereits im vergangenen Jahr abgeschlossen; jetzt wurde im Vatikan offiziell bestätigt, dass der bereits als 34-Jähriger Verstorbene auch eine Wunderheilung an einer brasilianischen Nonne bewirkt haben soll: Die gläubige Frau wurde angeblich von ihren Krampfadern befreit.

Bis 1983 waren für Seligsprechungen bis zu vier Wunder nötig, bei einer Heiligsprechung noch einmal drei. Johannes Paul II. ließ die Zahl der erforderlichen Wunder reduzieren. Doch das dürfte Pater Gumpel die Arbeit kaum erleichtern. Neuerdings werden immer wieder Zweifel an der Echtheit eines Wunders laut. So gab es erst kürzlich Diskussionen um die Wunderheilkräfte der Mutter Teresa.

Der Vatikan schreibt der mildtätigen Schwester aus Kalkutta, die vor wenigen Monaten gleichsam im Eiltempo selig gesprochen wurde, die plötzliche Genesung einer an Eierstockkrebs erkrankten Frau zu.

Entsprechendes hatte auch die fünfköpfige Oberste Ärztekommission anerkannt, welche die "Causa" der Schwester begutachtete. In Indien aber wurden Zweifel angemeldet: Die behandelnden Ärzte schrieben die glückliche Heilung von dem Unterleibstumor mehr ihrer verabreichten Medikamentendosis zu als den angeblichen Wunderkräften der toten Schwester, die durch ein Medaillon auf dem Bauch der Kranken übertragen worden seien.

Die Vatikanprüfer versuchen, ein Wunder stets mit streng naturwissenschaftlichen Methoden zu fassen. So verlangen beispielsweise die vom Vatikan bemühten medizinischen "Consultoren" den Einsatz modernster Diagnosegeräte. Doch damit, fürchtet Pater Gumpel, bestehe die Gefahr eines Heiligengefälles zwischen armen und reichen Ländern: Wer Geld für teure Geräte habe, könne auch eher ein Wunder nachweisen.

Andererseits geht es aber gerade darum, das mit medizinischen Mitteln nicht begreifbare Element einer Heilung herauszuarbeiten - ein Widerspruch, der kaum zu überwinden ist. Pater Gumpel jedenfalls würde gern auf die Wunderprüfung verzichten. Die Forderung danach sei schließlich "kein göttliches Gesetz, sondern ein kirchliches."

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