Worte der Woche:Von Grammys, Oscars und Atlantis

In seinem etymologischen Lexikon erklärt unser Autor heute Begriffe aus Politik und Kultur.

Wolfgang Koydl

Zwei mehrsilbige Fremdwörter haben in der vergangenen Woche die politische Diskussion in Deutschland beherrscht: die Assimilation und die Integration. Jeder scheint seine Meinung abgegeben zu haben, was dem Zusammenleben der Bürger eher dienlich ist. Wir wollen versuchen, rein sprachlich den Vor- oder Nachteilen des einen oder anderen Prozesses nachzuspüren, und dabei zeigt sich schnell, dass die Integration der Assimilierung eindeutig vorzuziehen ist.

Denn in der Assimilation steckt letztlich ein gutes Stück Verstellungskunst: similis heißt auf lateinisch ähnlich, und ad-simulare bedeutete soviel wie ähnlich machen. Es ist kein Zufall, dass auch der deutsche Simulant aus dieser Ecke stammt - mithin ein Mensch, der nur vorgibt, etwas zu sein.

Viel nobler ist dagegen der etymologische Stammbaum der Integration. Integer ist nicht nur ein deutsches Adjektiv für einen durch und durch anständigen, aufrechten Zeitgenossen; zunächst einmal war es ein lateinisches Adverb mit der Bedeutung von ganz, gänzlich. Wer also etwas (oder jemanden) integriert, der sucht verschiedene Elemente zu einem möglichst harmonischen Ganzen zu verbinden und zeigt dabei ein hohes Maß an Integrität.

Der Vorwurf übrigens, dass Integrationspolitik zur Bildung einer Parallel-Gesellschaft führt, geht sprachwissenschaftlich völlig ins Leere: die Kombination aus griechisch para = neben und allos = ein anderer beschreibt zwei Fremde, die nebeneinander her leben, wobei sich ihre Wege - ähnlich den Parallelen in der Geometrie - frühestens im Unendlichen kreuzen.

Von Grammys, Oscars und Atlantis

Weniger strittig verlief offensichtlich die Wahl des neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Im klassischen Griechenland war ein Bischof nichts anderes als ein Behördenvorsteher: episkopein bedeutete soviel wie überwachen, beaufsichtigen. Hier begegnet uns wieder der alte Bekannte skopein = sehen, den wir vom Teleskop (Weitseher), dem Mikroskop (Kleinseher) oder dem Periskop (Ringsherumseher) kennen. Im Neuen Testament war ein episkopos oft nur ein Ehrenname für einen weisen, alten Mann. Erst später übernahm die Kirche den Begriff für die Vertreter des Mittelbaues in ihrer Hierarchie.

Edler ist da der Kardinal, auch wenn bei seiner Geburt ein bescheidener Gegenstand Pate stand, wie man ihn in jedem Hause findet. Cardo war im Lateinischen die Türangel; doch da von einem solchen Dreh- und Angelpunkt recht häufig viel abhängt, beschrieb man mit dem Adjektiv cardinalis sehr bald etwas Hauptsächliches oder Essentielles. Auch wir kennen diese Bedeutung: Kardinaltugenden, Kardinalfragen und Kardinalzahlen sind schließlich keine Eigenschaften, Aufgaben oder Ziffern, die ausschließlich etwas mit Fürsten der Kirche zu tun hätten. In der Kurie übrigens waren die ersten Kardinäle einfach Priester. Ihren Beinamen erhielten sie, weil sie in Rom wirkten und aus dieser Tatsache ihre Bedeutung schöpften.

Jedes Jahr im Februar und März verleiht die Film- und Unterhaltungswelt ihre Preise und Auszeichnungen: die Grammys für musikalische, die Oscars für schauspielerische und filmische Leistungen. Der Grammy, der seit 1971 verliehen wird, war anfangs viel weniger spritzig und noch nicht abgekürzt der Gramophone Award.

Für jüngere Leser sei hilfreich gesagt, dass es schon vor der Steinzeittechnik der CD noch ältere Tonträger gab. Sie waren schwarz, suppentellergroß und wurden - in ihrer Frühzeit - auf einem Grammophon abgespielt. Dieses Kunstwort entstand im 19. Jahrhundert aus griechisch graphein = schreiben und phonos = der Ton - wie Mega-, Mikro- oder Telefon. Auch umdrehen konnte man das Wort - zu Phonograph. In beiden Fällen war es dasselbe: Ein Apparat, der Worte (und Töne) aufschreiben konnte.

Sehr viel undurchsichtiger ist die Genese des Oscars. Es gibt mehrere Schöpfungsmythen, von denen zwei wiedergegeben werden sollen. Die eine besagt, dass die Schauspielerin Bette Davies die Statuette des nackten Muskelmannes nach ihrem ersten Ehemann Harmond Oscar Nelson benannte.

Häufiger hört man freilich die Geschichte von Margaret Herrick, der ersten Chefsekretärin der amerikanischen Filmakademie, welche die Auszeichnung verleiht. Als sie die Figur zum ersten Mal sah, soll sie ausgerufen haben: "Der sieht ja aus wie mein Onkel Oscar!" Ein zufällig anwesender Journalist machte daraus - in berufsbedingter Übertreibung - gleich "mehrere Angestellte, die das Standbild zärtlich Oscar nennen".

Der Oscar wurde vom ersten Tag an in der Filmmetropole Hollywood verliehen, die heute ein Teil der ausufernden Stadtlandschaft von Los Angeles ist. Wie viele andere Orte in den Vereinigten Staaten weiß man auch bei Hollywood genau, wer dem Ort in welchem Jahr aus welchem Grund den Namen gab. Hier war es der aus Kanada stammende Bodenspekulant und Bauunternehmer H.J. Whitley, der von 1847 bis 1931 lebte und der mehr als 140 Städte in den US-Bundesstaaten Nord- und Süd-Dakota, Texas, Oklahoma und Kalifornien erschloss, gründete und taufte.

Einer dieser Orte war Hollywood, dessen Name auf romantische Weise zustande kam: Im Jahre 1886 waren Whitley und seine Frau Gigi in den Flitterwochen in Kalifornien. Bei einem Ausflug zum sogenannten Cahuenga Peak kamen sie zu der Hügelkette, auf deren Kamm heute die weltberühmten Buchstaben H-O-L-L-Y-W-O-O-D stehen. (Als sie 1923 aufgestellt wurden, buchstabierten sie noch Hollywood-Land und waren ein Reklameplakat für ein Bauprojekt. Das -land verschwand erst 1949.) Der Hang war über und über mit rotbeerigen Kalifornischen Stechpalmen (englisch holly) bewachsen, die fast so etwas wie ein Wäldchen (wood) bildeten. Whitley und Gigi mussten nur die Wörter koppeln, und Hollywood war geboren.

Eher einfallslos denn romantisch ist der Name der Republik Ost-Timor (oder in der amtlichen portugiesischen Form Timor-Leste, was auch nichts anderes bedeutet), auf deren Präsident und Premier Anschläge verübt wurden. Timur bedeutet auf Malaiisch/Indonesisch nämlich ganz schlicht Osten, womit das Land genau genommen Ost-Ost heißt. Im Sprachgebrauch der ehemaligen indonesischen Besatzer wird das noch augenfälliger. Dort nennt man den ehemaligen Landesteil Timor Timur, den östlichen Osten. Meist freilich verwendet man eine putzige Abkürzung: Tim-Tim.

Tief in Mythologie und Legenden wiederum hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa gegriffen, als sie ihre Raumfähre Atlantis nannte. So hieß der erstmals von dem griechischen Philosophen Plato erwähnte sagenumwobene Kontinent, der im Atlantik (woher er seinen Namen hat) versunken sein soll. Der Ozean wiederum trägt den Namen des Atlas-Gebirges in Marokko. Und der Berg heißt nach dem mythischen griechischen Titanen Atlas, der von den Göttern dazu verurteilt wurde, den Himmel auf seinen Schultern zu tragen. Die marokkanische Atlantikküste war offensichtlich ein geeigneter Standpunkt.

Atlas schien übrigens von Anbeginn für diese Aufgabe prädestiniert gewesen zu sein. Sein Name entspringt dem Verb tlenai = tragen und heißt einfach "Träger". Doch warum tragen der gute alte Diercke-Schulatlas und alle anderen gebundenen Kartenwerke den Namen dieses abgestraften Titanen? Ganz einfach: auf der Titelseite von Gerhard Mercators 1585 veröffentlichtem ersten Atlanten befand sich ein Kupferstich des Himmelsträgers. Man kann sich denken, was geschah. Aus "Gib mir mal das Buch mit dem Atlas" wurde "Gib mir mal den Atlas".

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