Winnenden und die Folgen:Die Waffen sind das Problem

Mick North hat sein Kind bei dem Schulmassaker in Dunblane, Schottland, verloren. Er glaubt: Wer Amokläufe verhindern will, muss den privaten Besitz von Pistolen verbieten. Eine Außenansicht.

Mick North, 61, ist der Vater eines Mädchens, das 1996 bei dem Schulmassaker in Dunblane, Schottland, ermordet wurde. Der Text fußt auf einer Rede, die er am Mittwoch im Rathaus Winnenden hielt.

Winnenden: Debatte um Waffenrecht: Die Waffen sind das Problem, dpa

Spuren des Blutbads in Winnenden: In einer Scheibe sind Einschusslöcher einer großkalibrigen Waffe zu sehen.

(Foto: Foto: dpa)

Ich kann das Entsetzen kaum in Worte fassen, das ich empfand, als ich vom Amoklauf in Winnenden und Wendlingen hörte. Der Amoklauf ereignete sich zwei Tage vor dem dreizehnten Jahrestag des Massakers an der Grundschule im schottischen Dunblane.

Meine fünfjährige Tochter Sophie war eins der 16 Kinder, die an jenem Tag getötet wurden. Auch ihre Lehrerin wurde erschossen. Sie starben alle innerhalb von drei Minuten durch die Hände eines Waffenfreundes, der die Schüsse aus einer Pistole abgab, die sich legal in seinem Besitz befand. Anschließend nahm er sich das Leben. Seit jenem Tag muss ich mit den Folgen eines Amoklaufes leben.

Kampagne für das Verbot von Faustfeuerwaffen

Einer der ersten Gedanken der Familien in Dunblane damals war, dass wir keinem wünschten, das durchzumachen, was uns widerfahren war. Innerhalb von ein paar Wochen hatten wir eine Kampagne für das Verbot des privaten Besitzes von Faustfeuerwaffen gestartet. Dieser Kampagne war Erfolg beschieden. 1997 wurden zwei Gesetze verabschiedet, die gewährleisten, dass es mit sehr wenigen Ausnahmen nicht mehr erlaubt ist, Faustfeuerwaffen zu besitzen. Seither hat es in Großbritannien keinen Amoklauf mehr gegeben.

Das Verbot wurde gegen erbitterte Opposition von Waffenfreunden durchgesetzt. Meiner Erfahrung nach reagiert die Waffenlobby immer auf die gleiche Art auf Amokläufe, ganz gleich, in welchem Land sie passieren. Deren Argumente sind: Der Amoklauf war ein einmaliges Ereignis, und man kann das Verhalten von Verrückten nicht kontrollieren.

Kurzschlussreaktionen sind sinnlos - Gesetzesänderungen dürfen nicht auf Emotionen beruhen. Die meisten Schützen sind gesetzestreue Bürger und würden durch schärfere Waffengesetze stigmatisiert. Nicht der Waffenbesitz ist das Problem, Schuld sind andere Dinge.

Ich möchte darstellen, wie wir solchen Argumenten entgegengetreten sind, weil sie auch von Politikern verwendet werden, von denen viele sich nicht mit einer Waffenlobby anlegen wollen, die gut organisiert ist und über eine Menge Geld verfügt. Mir ist wohl bewusst, dass dies nicht der erste Amoklauf an einer deutschen Schule war.

Massenschießereien sind niemals einmalige Ereignisse. Sie folgen einem bestimmten Muster und kommen in zivilisierten Ländern zu häufig vor. Neun Jahre vor Dunblane hatte es in Großbritannien schon einmal einen Amoklauf in Hungerford gegeben.

Sicherheit geht vor Waffenrecht

Trotz aller Unterschiede gab es auffällige Ähnlichkeiten mit dem in Dunblane. Die Waffen waren im legalen Besitz des Täters, der Mörder war ein fähiger Schütze und Mitglied eines Schützenvereins, und er erschoss sich im Anschluss selbst. Obwohl die Waffengesetze in Großbritannien danach leicht verschärft wurden, wurde in Bezug auf Faustfeuerwaffen nichts unternommen; mit einer solchen Waffe war die Hälfte der Opfer in Hungerford getötet worden. Die Waffengesetze wurden nicht gründlich überdacht, denn man argumentierte, dass die Zeit unmittelbar nach einem Amoklauf nicht der richtige Zeitpunkt dafür wäre.

Winnenden und die Folgen: Mick North gemeinsam mit seiner Tochter, die 1996 bei dem Schulmassaker in Dunblane ums Leben kam.

Mick North gemeinsam mit seiner Tochter, die 1996 bei dem Schulmassaker in Dunblane ums Leben kam.

(Foto: Foto: oh)

Das war falsch. Ich bin mir sicher, dass unsere Kinder noch leben würden, wenn damals Faustfeuerwaffen einer strengeren Kontrolle unterworfen worden wären. Denn: Amokläufe werden meistens mit legalen Waffen ausgeführt, die für Täter, welche immer schon Interesse an Waffen gezeigt haben, leicht zugänglich sind.

Wenn es auch stimmt, dass die meisten Waffenbesitzer gesetzestreue Bürger sind, bedeutet das nicht, dass wir den Schaden, den nur einer oder zwei von ihnen dem Rest der Gesellschaft zufügen können, ignorieren dürfen. Ein allgemeines Recht auf Waffenbesitz darf es nicht geben, wenn dieses die Sicherheit unserer Gemeinschaft deutlich gefährdet.

Politiker ergeben sich zu leicht dem Argument, dass die Waffen nicht das Problem sind, dass andere Faktoren Schuld sind. Die Schuld wird dann den Hobbys des Täters zugeschoben, seinen kulturellen Orientierungen. Zum Beispiel der Art Filme, die er sich anschaut, der Musik, die er hört oder der Internetseiten, die er besucht.

Während diese Dinge rückblickend einen Einblick in seine Einstellung und seine Motive vermitteln können, sind sie nicht die Ursache, die ihn in die Lage versetzt hat, zu töten. Auf der ganzen Welt spielen junge Männer gewalttätige Videospiele - aber nur die Menschen töten, welche Zugang zu Waffen haben. Niemand ist je von einem Videospiel getötet worden. Wenn eine gestörte Person leicht an Waffen herankommt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie sie benutzen und sich an der Gesellschaft rächen wird.

Unsere geliebten Kinder - wie auch Ihre - wurden mit einer Faustfeuerwaffe getötet, der Waffe, mit der in zivilisierten Ländern die meisten Morde begangen werden. Sie ist leicht zu verstecken und kraftvoll, und viele Schüsse können in kurzer Zeit abgefeuert werden.

Es muss Priorität sein, sich um diese Waffen zu kümmern, statt um Paintball-Pistolen, die mit Farbpatronen schießen. Ich finde zwar auch, dass Paintball ein Hobby ist, das nicht betrieben werden sollte - aber Paintball zu verbieten, anstatt den Besitz von Faustfeuerwaffen, wird ein erneutes Massaker nicht verhindern. Es lenkt nur vom eigentlichen Problem ab.

In Großbritannien hören wir von den Gegnern eines Faustfeuerwaffen-Verbots, dass Verbrecher immer an Waffen herankommen würden. Aber Amokläufer sind nicht die Menschen, die man normalerweise als Verbrecher betrachtet. Und die Familien in Dunblane haben nie behauptet, dass ein Verbot von Faustfeuerwaffen jegliche Tat vermeiden würde.

Aber wir waren davon überzeugt, dass es einen Unterschied machen würde. Und das hat es getan: In den vergangenen fünf Jahren sind bewaffnete Taten deutlich zurückgegangen. 2008 wurden etwa 40 Menschen in Großbritannien mit einer Faustfeuerwaffe erschossen, die niedrigste Zahl seit mindestens 20 Jahren. Und wie ich schon sagte, seit Dunblane hat es keinen Amoklauf mehr gegeben.

Traurigerweise handeln Regierungen erst, wenn etwas Schreckliches geschehen ist. Häufig genug bedarf es mehr als eines solchen Ereignisses. Deutschland hat schon zu viele Amokläufe in Schulen erleiden müssen. Es ist an der Zeit für Ihre Regierung zu handeln und aufzuhören, so zu tun, als ob die Waffenbesitzer in der Lage wären, sich gut genug zu kontrollieren, als könnte so etwas nicht wieder passieren.

Gehen Sie sicher, dass Ihre Regierung sich mit dem wahren Problem auseinandersetzt - nicht mit den Pistolen, die Farbkugeln verschießen, sondern mit den Waffen, die töten. Der Waffenbesitz muss so kontrolliert werden, dass es den Bedürfnissen aller Rechnung trägt.

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