Winnenden-Prozess:"Er ging mit seiner Waffe um wie ein Profi"

Im Prozess gegen den Vater des Amoktäters von Winnenden hat ein überlebendes Opfer ausgesagt. Der 17-jährige Tim K. könnte ein weiteres Massaker geplant haben.

Was der heute 43-Jährige während der zweistündigen Geiselfahrt durchgemacht hat, kann wohl niemand erfassen: Zwei Stunden lang saß der 17 Jahre alte Amoktäter Tim K., der kurz zuvor in Winnenden 15 Menschen getötet hatte, in seinem Wagen, hielt ihm fast die ganze Fahrt über die Waffe an den Kopf. Noch heute leide er an Schlafstörungen, sagte der entführte Autofahrer an diesem Dienstag im Prozess gegen den Vater von Tim K. vor dem Landgericht Stuttgart aus.

Winnenden Shocked After School Shooting

"Soll ich rausgehen, ein bisschen schießen und ein bisschen Spaß haben?" Der entführte Autofahrer schildert die zweistündige Geiselfahrt mit dem Amoktäter Tim K.  

(Foto: Getty Images)

Bei der Befragung des Zeugen kam auch heraus: Offenbar plante Tim K. nach seiner Bluttat in der Albertville-Realschule in Winnenden ein weiteres Massaker. Er habe in seiner alten Schule gerade Menschen umgebracht und dies sei "für heute noch nicht alles", soll der 17-jährige Täter auf seiner Flucht nach Wendlingen gesagt haben.

Der Zeuge berichtete, dass er am Tattag auf seine Frau gewartet hatte. Der Täter sei hinten in sein Auto gestiegen, habe ihm eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt: "Schnell weg von hier". Auch während der Fahrt habe er die meiste Zeit die Pistole auf ihn gerichtet. "Er ging mit seiner Waffe um wie ein Profi", sagte der gelernte KfZ-Mechaniker. Er fügte hinzu, dass sich Tim K. offensichtlich "auf die nächste Schießerei vorbereitete". Auf die Frage, warum er Menschen umbringen wolle, soll der 17-Jährige geantwortet haben: "So als Spaß".

Der Vater von Tim K. muss sich seit Mitte September vor Gericht verantworten, weil er laut Anklage seinem Sohn Zugriff auf eine erlaubnispflichtige Schusswaffe sowie Munition ermöglicht hat. Der 17 Jahre alte Schüler hatte am 11. März 2009 bei einem Amoklauf in Winnenden und seiner anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen und dann sich selbst getötet.

"Verdammt, die sind schnell"

Der Amoktäter habe sich während der gesamten Fahrt "aggressiv verhalten", aber auch aufgeregt und nervös gewirkt. Als dem Fluchtauto in Winnenden der erste Polizeiwagen mit Blaulicht entgegenkamen, habe Tim K. gesagt: "Verdammt, die sind schnell. Nicht einmal fünf Minuten, und die sind schon hier. Aber ich war schneller."

Zu Beginn der etwa zweistündigen Fahrt versucht der Autofahrer nach eigenen Angaben, durch Lichthupe die Aufmerksamkeit von vorbeifahrenden Polizeiwagen zu ziehen, was jedoch nicht gelang. Während der Fahrt habe er immer wieder über Flucht nachgedacht. "Ich habe überlegt, dass ich vor einen Baum fahre. Aber dann dachte ich: Wer kümmert sich um meine Kinder", sagte der Entführte, der mehrfach um Fassung rang.

Anschließend sollen sie auf Anweisung des Amoktäters die Stadt verlassen haben und durch Stuttgart gefahren sein. Bei einem Stau auf der Autobahn 81 bei Sindelfingen soll der Täter zunehmend nervöser geworden sein und seine Geisel gefragt haben: "Soll ich rausgehen, ein bisschen schießen und ein bisschen Spaß haben?". Dem Fahrer zufolge sei ihm aber gelungen, Tim K. zu beruhigen.

Posttraumatische Belastungsstörung

Zudem soll er sich darüber geärgert haben, dass er sein Messer nicht mehr bei sich hatte. Die Fahrt ging nach der Zeugenaussage über Tübingen nach Wendlingen weiter. Dort lenkte der entführte Fahrer kurz nach der Zufahrt zur Autobahn 8 plötzlich nach rechts und sprang aus dem Auto, wie er sagte. Anschließend flüchtete er und informierte die die Polizei.

Der 43-Jährige leidet heute noch unter den Folgen der Entführung. Nach seinen Angaben wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Über einen Monat lang wurde er in einer psychosomatischen Klinik behandelt, teilweise stationär. Bis heute nimmt er Medikamente ein und leidet an Schlafstörungen.

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