Winnenden:Offene Wunden

Die Mutter von Tim K., dem Amokschützen von Winnenden, muss nicht für die Folgen der Tat ihres Sohnes haften.

Von Josef Kelnberger

Der Amoklauf von München hat in Winnenden schmerzliche Erinnerungen geweckt. Sie gehöre nicht zu den Leuten, die erleichtert seien, dass es sich "nur" um einen Amoklauf und nicht um einen Terrorakt handle, sagte in mehreren Interviews Gisela Mayer, die vor sieben Jahren ihre Tochter verloren hat und nun Sprecherin der "Stiftung gegen Gewalt an Schulen" ist. Dass der Münchner Täter sich offenbar den Amoklauf von Winnenden zum Vorbild nahm, sei umso schmerzlicher. Ohnehin werden alte Wunden immer wieder aufgerissen durch die juristische Aufarbeitung der Tat vom 11. März 2009.

Seit Mittwoch steht fest: Die Mutter von Tim K., der 15 Menschen und am Ende sich selbst erschoss, haftet nicht für die Behandlungskosten von Opfern und Hinterbliebenen. Wie das Oberlandesgericht Stuttgart mitteilte, hat die Unfallkasse Baden-Württemberg ihre Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts wegen "offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht" zurückgezogen. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht sei der Mutter nicht nachzuweisen.

Ursprünglich berief sich die Unfallkasse auf die Erinnerung eines Kriminalbeamten, der am Tag der Tat mit Ute K. gesprochen hatte: "Diese Scheißwaffen", habe die Mutter gerufen und den Eindruck erweckt, sie habe gewusst, dass ihr Mann eine Pistole unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrte. Doch ließ sich dieser Verdacht nicht erhärten. Zudem gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter eine "erhöhte Aufsichtspflicht" gegenüber ihrem psychisch labilen Sohn hatte, der zur Tatzeit fast 18 Jahre alt war.

Allein haftbar ist damit Jörg K., der Vater. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Angesichts der Schmerzensgeld-Zahlungen sei er am Ende seiner finanziellen Möglichkeiten angekommen, ließ er durch seine Anwälte mitteilen. Schadenersatzforderungen der Stadt Winnenden hat in einem Vergleich seine Versicherung übernommen, sie zahlt 400 000 Euro. Auch gegenüber der Unfallkasse ist der Vater zahlungspflichtig, die Höhe ist noch strittig.

Über die Vermögensverhältnisse des Ehepaars, das anonym lebt, wird häufig spekuliert. Im April versuchte Jörg K. vergeblich, Schadenersatz von der psychiatrischen Klinik zu erstreiten, die seinen Sohn untersucht hatte. Tim K. berichtete einer Ärztin von Tötungsfantasien. Die Diagnose lautete, wie im Fall des Münchner Amokläufers, "soziale Phobie". Das Gericht hielt sie zwar für oberflächlich - Gutachter gehen von einer Persönlichkeitsstörung aus -, doch erkannte es keine groben Behandlungsfehler.

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