Wilderei von Elefanten in Kenia:Jäger und Gejagte

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Wildhüter verbrennen im Nationalpark Zakouma (Tschad) Stoßzähne.

(Foto: Marco Longari/AFP)

Der Handel mit Elfenbein und Nashornpulver floriert wie lange nicht mehr. In Kenia versuchen Wildhüter, das Leben der Tiere zu retten und greifen zum letzten Mittel: Gewalt.

Von Tobias Zick, Nairobi, und Marlene Weiß

Das Rasseln des Motors verstummt, der Geländewagen bleibt unter dem Sternenhimmel stehen, und durchs Fenster dringen der Duft von warmem, trockenem Gras und das ferne Lachen einer Hyäne. Dass der Mond immer höher steigt und die Savanne in ein nebliges Licht hüllt, ist für Timothy Mwanzia kein Anlass zu romantischen Anwandlungen: "Wenn der Mond scheint, ist es für uns am gefährlichsten", murmelt der schmale junge Mann, "dann bewegen diese Leute sich am sichersten."

Kenia, Meru National Park, eine Nacht im Juni. Timothy Mwanzia, das Maschinengewehr zwischen den Knien, lauscht aus dem Autofenster in die Wildnis; nach verdächtigen Bewegungen, nach eventuellen Gewehrschüssen. Er ist staatlicher Wildhüter und zuständig für das Nashorn-Schutzgebiet innerhalb des Nationalparks. Ein Knochenjob; brütende Hitze, Tsetse-Fliegen, zu wenig Personal, die Männer schieben Tag- und Nachtschichten hintereinander, schlafen zwischendurch nur ein paar Stunden. "Ohne Leidenschaft kannst du das hier nicht machen", sagt er, der sich selbst als streng gläubiger Christ bezeichnet; seine Aufgabe sieht er darin, "Gottes Schöpfung zu schützen. Diese Tiere sind ja ansonsten wehrlos."

Zwei Wilderer sind den Hütern gerade entwischt. Zwei weitere haben mit ihrem Leben bezahlt

Was für Leute wie ihn schützenswerte Geschöpfe sind, ist für andere höchst wertvolles Rohmaterial auf einem boomenden Weltmarkt. Diese anderen sind neuerdings immer besser organisiert, ausgerüstet, bewaffnet. Mit Nachtsichtgeräten, mit automatischen Waffen; russische AK-47 oder amerikanische M-16, und deshalb hat der Job, den die Männer hier machen, nur noch wenig mit dem zu tun, was sie sich am Anfang ihrer Karriere träumen ließen. "Wenn wir heute einem Wilderer begegnen", sagt Timothy Mwanzia, "müssen wir ihn eliminieren, ehe er auf uns schießt. Bisher waren wir dabei noch meistens die Gewinner."

Meru, sein Arbeitsort, ist so etwas wie ein Synonym für Wilderei in Kenia. In den 1980er-Jahren plünderten somalische Banden, die aus ihren im Osten angrenzenden Siedlungsgebieten einfielen, den Nationalpark fast ungehemmt; die Erlöse flossen über die Grenze nach Somalia, um Waffen für verschiedene Milizen im dortigen Bürgerkrieg zu finanzieren. Die Nashörner, für die der Park berühmt war, wurden so komplett ausgerottet - und die Wilderer erschossen auch mehrere Touristen sowie, im benachbarten Kora-Nationalpark, den prominenten Löwenforscher George Adamson. Das Paradies von Meru, so schien es, war ein für alle mal Vergangenheit.

Doch dann griff die Wildschutzbehörde, mit Unterstützung aus Europa und Amerika, in beispielloser Entschlossenheit durch, baute Zäune und stockte ihr Personal auf, und sie errichtete innerhalb des Parks ein nochmals umzäuntes Schutzgebiet für Nashörner. Tiere, die aus anderen Regionen des Landes hergebracht worden sind, können sich hier seither wieder vermehren - und inzwischen sind es 55 weiße Nashörner und 22 der selteneren schwarzen Art, und erst vor sechs Wochen ist wieder ein Neugeborenes dazugekommen. Ein Naturschatz, der Begehrlichkeiten weckt wie kaum ein anderer. "Wir versuchen, das Beste aus dem zu machen, was wir haben", sagt Timothy Mwanzia. "Aber es wäre schon schön, wenn wir zum Beispiel Nachtsichtgeräte und modernere Funkgeräte hätten. Damit wir technisch mit dem Gegner mithalten könnten."

In zehn Jahren könnte ein Fünftel der Elefantenherden in Afrika ausgelöscht sein

Laut den Vereinten Nationen profitieren in jüngster Zeit zunehmend internationale Verbrecher- und Terroristenbanden vom Handel mit Nashorn und Elfenbein; die somalische Al-Shabaab-Miliz, die ugandische "Lord's Resistance Army", die sudanesischen Janjaweed-Milizen. All dies summiert sich zur schwersten Wildereikrise in Afrika seit Jahrzehnten, und es bringt in vielen Regionen des Kontinents Elefanten und Nashörner an den Rand der Vernichtung. Mehr als 1000 Nashörner wurden 2013 gewildert, bei insgesamt nur etwa 25 000 Tieren. Und wenn die Elefantenwilderei so weitergeht, könnte in zehn Jahren ein Fünftel der Herden in Afrika ausgelöscht sein, befürchtet die internationale Naturschutzorganisation IUCN - zuletzt wurden jährlich geschätzt 30 000 Elefanten gewildert. Schon jetzt verschwinden die Tiere mancherorts. Im Kilombero-Schutzgebiet in Tansania etwa hatte man 2002 noch mehr als 2000 Elefanten gezählt. Ende 2013 sollte wieder gezählt werden. Das scheiterte daran, dass sich kein einziger Elefant mehr fand, den man hätte zählen können.

Es ist fast wieder wie in den Achtzigerjahren, als die Wilderei die Zahl der Elefanten in Afrika halbierte, von etwa 1,3 Millionen auf 600 000. Um die Tiere zu retten, entschieden die Unterzeichner-Staaten des Cites-Artenschutzabkommens deshalb 1989, den internationalen Handel mit afrikanischem Elfenbein zu ächten. Der Handel mit Nashorn-Produkten war schon seit 1977 verboten, aber wie in Kenia wurde der Schutz erst in den Neunzigern wirklich durchgesetzt. Es schien zu funktionieren, die Wilderei brach ein, der Handel auch. Aber in den vergangenen Jahren ist beides zurückgekehrt, so blutig und so grausam wie eh und je. Und neben die Armut in Afrika ist eine weitere treibende Kraft getreten: der wachsende Reichtum in Asien - und damit die Nachfrage nach Luxusartikeln wie Nashornpulver und Elfenbein.

"China ist in Afrika präsenter als je zuvor", sagt Tom Milliken, Elefanten- und Nashorn-Experte des Artenschutz-Netzwerks Traffic, das den weltweiten Handel beobachtet: "Viele der organisierten Verbrecherbanden, die die Wilderei kontrollieren, sind in asiatischer Hand, sie werden von Chinesen, Vietnamesen oder Thais geleitet." Lange wurde etwa Elfenbein vor allem aus Häfen in West- und Zentralafrika ausgeführt. Inzwischen hat sich der Handel nach Osten verschoben. Aus den Häfen von Mombasa in Kenia oder Daressalam in Tansania gelangt tonnenweise Elfenbein über Hongkong, Malaysia oder Vietnam vor allem nach China und Thailand, wo es ein begehrtes Statussymbol ist - das sich dort immer mehr Menschen leisten können. Nashornpulver ist auch in Vietnam gefragt. "Die Wilderei-Mafia ist immer einen Schritt voraus", sagt Milliken. "Wir können nur versuchen, ihr Risiko so sehr zu vergrößern, dass es sich nicht mehr lohnt."

Welche Dimensionen das Problem angenommen hat, zeigt sich immer wieder schlaglichtartig, wie etwa Anfang Juni in Kenias Übersee-Hafenstadt Mombasa: Ein Team von Wildhütern und Polizei beschlagnahmte eine Ladung von mehr als zwei Tonnen Elfenbein - insgesamt 228 Stoßzähne, Herkunft unklar. "Kenia ist selbst nicht nur Schauplatz von Wilderei", sagt Paul Muya, Sprecher der Wildschutzbehörde KWS in Nairobi, "sondern auch ein Haupt-Transitland. In unserer Nachbarschaft haben die bewaffneten Konflikte zugenommen: Somalia, Kongo, Südsudan, Zentralafrikanische Republik." Wer aus den Kriegsgebieten Elfenbein auf den Weltmarkt exportieren will, steuert mit einiger Wahrscheinlichkeit früher oder später auf Mombasa zu. Da zeigt sich dann, wie begrenzt die Macht der Wildhüter ist: "Wir sind für den Schutz innerhalb der Nationalparks und Reservate zuständig", sagt Paul Muya, "es ist nicht unsere Aufgabe, Häfen zu sichern und die Verbreitung von Waffen einzudämmen."

Wie schwer es allerdings selbst in einem Industrieland ist, die Wildereiware abzufangen, kann man am Frankfurter Flughafen besichtigen. Die Asservatenkammer des dortigen Zolls ist ein Kabinett der Geschmacklosigkeiten: eine ausgeweidete Krokodilleiche, Flaschen mit eingelegter Kobra. Und Elfenbein, schränkeweise. Ganze Stoßzähne und unzählige Schnitzereien. Köpfe, Tierfiguren, Schmuck; immer wieder Elefanten aus totem Elefant. In einem Koffer fanden die Zollbeamten vor einigen Jahren an die tausend Schmuckstücke, geschätzter Marktwert 163 000 Euro. Die Strafen für Elfenbeinschmuggel, ob wissentlich oder aus Dummheit, reichen von kleinen Geldbußen bis Freiheitsentzug, aber das schreckt Schmuggler kaum ab.

Ganze Stoßzähne per Mausklick ordern

Etwas später, in einer riesigen Halle im Untergeschoss des Flughafens: Ein Flug aus Südamerika ist gelandet. Ein Gepäckwagen kommt, zwei Arbeiter laden die Koffer aus und stellen sie in zwei langen Reihen auf. "Tolle Arbeitsbedingungen", sagt Zollhunde-Lehrwart Dieter Keller stolz, der das Ganze beobachtet, einen Pappbecher mit fadem Kaffee in der Hand. Er meint die Arbeitsbedingungen des Schäferhunds, den eine sportliche Frau in T-Shirt und Uniformhose an den Koffern entlangführt - anderswo müssen die Suchhunde auf dem Gepäckband herumspringen, der pure Stress. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei, die Zollbeamten öffnen zwei Koffer. Fehlalarm, im Koffer ist nichts, jedenfalls nicht das Rauschgift, auf das der Hund trainiert ist. Wer Elfenbein, Nashorn-Horn, Schlangen oder Ähnliches transportiert, hätte an diesem Tag gute Chancen: Denn die Artenschutz-Spürhunde Amy und Uno, vor einigen Jahren von Kellers Gruppe als erste in Deutschland auf geschützte Tierarten abgerichtet, sind nicht da - auch Hundeführer haben mal Urlaub oder Fortbildung, und mit ihnen fehlen die Hunde. Heute also weniger Artenschutz-Kontrolle.

"Das ist immer ein Schlupfloch, um frisch gewildertes Elfenbein unterzujubeln"

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Einer der kenianischen Elefanten, die ähnlich gefährdet sind wie die Nashörner.

(Foto: Roberto Schmidt/AFP)

Der Kampf um Afrikas Tierwelt wird ohnehin nicht am Frankfurter Flughafen entschieden, denn Europa ist weder ein großer Markt noch ein entscheidendes Transitgebiet für Nashornpulver oder illegales Elfenbein. Eine Rolle im globalen Elfenbein-Karussell spielt der Kontinent trotzdem: Die EU ist der mit Abstand größte Exporteur von legalem Elfenbein, das aus Jahrgängen vor 1976 stammt - bevor afrikanische Elefanten überhaupt international geschützt wurden. Für solches Elfenbein hat das Cites-Abkommen eine Ausnahmeklausel. Mehr als 20 000 Elfenbein-Gegenstände und 564 ganze Stoßzähne verließen zwischen 2003 und 2012 auf legalem Wege die EU, und der Handel nimmt zu. Das Elfenbein kommt meist von Privatleuten, viele von ihnen Rentner, die einst in einer der europäischen Kolonien in Afrika lebten. Der Handel wird streng überwacht, ist aber erlaubt: Die Elefanten sind schließlich schon lange tot. Naturschützer sind trotzdem dagegen. "Das ist immer ein Schlupfloch, um frisch gewildertes Elfenbein unterzujubeln und als legal zu verkaufen", sagt Daniela Freyer von Pro Wildlife. In den USA ist daher nahezu jeglicher Elfenbeinhandel seit Kurzem verboten.

In Bonn hat eine Firma namens Ox-Gallstone ihren Sitz, sie ist laut Selbstporträt auf Rohstoffe für die chinesische Medizin spezialisiert und verkauft obskure Dinge wie Rindergallensteine, getrocknete Rentierschwänze, Horn des vor Jahrtausenden ausgestorbenen Wollhaar-Nashorns, das sich immer wieder im tauenden sibirischen Permafrost findet - und altes Elfenbein. Zeitweise wurden im Online-Shop sogar ganze Stoßzähne angeboten, für bis zu 11 000 Euro. Zu Elfenbein-Fragen könne man nichts sagen, heißt es per E-Mail dennoch. Die Konkurrenz in den Niederlanden dagegen, Dentex-Trading, ist deutlich offener. Die Website wirbt mit Bildern von glücklichen Elefantenherden; der Export von legalem Elfenbein nach Fernost, dem sich die Firma widmet, sei "ein kleiner Schritt, diesen großartigen Tieren zu helfen". Das Telefon nimmt ein freundlicher Mann ab, der gerne die Firmenphilosophie erklärt. Die Wilderei-Krise sei schrecklich, aber was sich ändern müsse, sei die Haltung der Kunden. "Sie müssen verstehen, dass da ein lebender Elefant für sie getötet wurde". Ob der Kunde das wirklich leichter versteht, wenn er Elfenbein einfach so kaufen kann? Solche Fragen stellt man sich bei Dentex offenbar nicht: "Die Nachfrage ist da, das ist eben so."

Aber vielleicht ist der Kunde ja auch so dabei umzudenken. Artenschutz gehört zu den meistdiskutierten Themen auf Sina Weibo, dem chinesischen Twitter; inzwischen engagieren sich auch ein paar chinesische Popstars für Elefanten und Nashörner. Selbst die Behörden in China scheinen einigermaßen motiviert zu sein: In letzter Zeit wurden harte Strafen gegen Schmuggler verhängt und viele Elfenbein-Läden wegen gefälschter Papiere geschlossen. Und Artenschutz-Spürhunde sind nun auch am Flughafen Guangzhou im Einsatz, Dieter Keller vom Frankfurter Zoll hat seine chinesischen Kollegen beraten.

Im Meru-Nationalpark, Kenia, senkt sich die Sonne, und Chefwildhüter Kenneth Ochieng, ein massiver Mann mit mitreißendem Lachen, steigt in sein zweisitziges Flugzeug, Typ "Husky", zur Abendpatrouille. Auch dies jedesmal ein Wagnis, in einem anderen Park, in dem er früher stationiert war, hat mal ein Wilderer sein Flugzeug mit dem Schnellfeuergewehr beschossen. Die Maschine hebt ab, von oben tut sich ein Blick über endlose Buschsavanne auf roter Erde auf; eine Elefantenherde im Abendlicht. Ein Fluss, das Ufer gesäumt von hohen grünen Bäumen: "Das ist die Grenze des Parks", sagt Ochieng, "und gleich dahinter, diese Hütten mit den Grasdächern: Da haben somalische Viehhirten ihr Lager aufgeschlagen. Die bereiten uns reichlich Kopfschmerzen." Immer wieder kommt es vor, dass die Hirten ihr Vieh zum Tränken an den Fluss führen - und dann in den Park vordringen. Und im Windschatten von Hirten, die möglicherweise nur ahnungslos sind, tummeln sich gern Wilderer mit ziemlich konkreten Plänen.

"Dort unten zum Beispiel", sagt Ochieng im Tiefflug über einen Schotterpiste, "da haben wir vor ein paar Wochen zwei Wilderer erlegt." Die Wildhüter hatten im Mondlicht Schüsse gehört und daraufhin mehrere Hinterhalte gelegt. In einen davon gerieten dann die Täter, sie hatten das Horn eines Tieres namens Lala dabei, das sie mit Maschinengewehrsalven auf der Stelle hingerichtet hatten; Lala war erst zweieinhalb Jahre alt, das Horn entsprechend klein. Ein weiteres Tier namens Baiteri verendete nach zwei Wochen an seinen Verletzungen. Die Wilderer ereilte dann ein ähnliches Schicksal: Einer von ihnen starb im Kugelhagel der Wildhüter, ein zweiter erlag Tage später seinen Schusswunden. "Zwei von deren Komplizen", sagt Kenneth Ochieng, "sind uns allerdings leider entwischt."

Dass er und seine Männer die Wilderei nur im Zaum halten, aber nicht ausräumen können, weiß auch Kenneth Ochieng: Wenn man einerseits die Tiere immer effizienter schützt, andererseits die Nachfrage aber gleich hoch bleibt, dann steigen die Preise nur noch mehr - und damit auch die Entschlossenheit der Wilderer. "Auf die Dauer hilft nur Aufklärung", sagt er: "Irgend jemand muss die Asiaten ein für alle mal davon überzeugen, dass Nashornpulver kein Aphrodisiakum enthält." Bis dahin blieben nur kompromissloses Vorgehen und am besten noch schärfere Strafen: lebenslange Haft für jeden, der sich der Wilderei schuldig macht; ohne - wie bisher - die Möglichkeit, sich durch eine Geldstrafe freizukaufen. "Ich weiß, das würde die Menschenrechtsgruppen bei euch in Europa wieder auf die Palme bringen", sagt er. "Aber die Jungs, mit denen wir hier zu tun haben, lassen sich durch gutes Zureden nicht beeindrucken."

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