Wiesenhof:Inferno am Feiertag

Nach dem schweren Brand in der Wiesenhof-Niederlassung in Lohne rätselt die Polizei über die Ursache. Sicher ist nur: Hier wird längere Zeit kein Hähnchen mehr geschlachtet werden.

Von Peter Burghardt, Lohne

Am Tag eins nach dem Inferno fällt wie bestellt Regen auf Lohne und die zerstörte Geflügelfabrik, letzter Qualm mischt sich in treibende Wolken. Ein ätzender Geruch wabert über den Massen betrieb der Firma Wiesenhof, aus verkohlten Trümmern ragen schiefe Stahlträger. Am Ostermontag war der Brand ausgebrochen, es sah zwischendurch aus wie die Apokalypse, wie ein havariertes Atomkraftwerk ohne Reaktor.

550 Meter hoch reichte die Rauchsäule in den Himmel, in der Umgebung musste sogar ein Fußballspiel abgebrochen werden. So ein Feuer habe es im Landkreis Vechta seit dem Krieg nicht mehr gegeben, berichtet ein Sprecher der Polizei. Verletzt wurden trotzdem nur ein Feuerwehrmann und ein Angestellter, beide leicht. Angeblich kamen keine lebenden Tiere zu Schaden, es war ja Feiertag, deshalb wurde nicht produziert. Offiziell weiß bisher niemand, weshalb die Anlage am Stadtrand von Lohne so mächtig Feuer fing. Es werde in alle Richtungen ermittelt, heißt es. Sicher ist, dass die gewaltigen Hallen für die Anlieferung und Verarbeitung von Hühnern rasend schnell brannten. Hunderte Feuerwehrleute löschen noch am Dienstag übrige Brandnester, Experten erkunden die Ruine, Fachkräfte räumen mit schwerem Gerät Reste beiseite. Sicher ist auch, dass der finanzielle Schaden gewaltig ist, er wird auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt. So bald können hier keine Hähnchen mehr zerlegt werden: Manche der 1200 Mitarbeiter von Lohne würden in anderen Wiesenhof-Niederlassungen eingesetzt, sagte eine Konzernsprecherin am Dienstag, einem Teil werde gekündigt. Rund 450 der 1200 Beschäftigten sind Leiharbeiter und Beschäftigte mit einem Werksvertrag. Es traf nicht zum ersten Mal den größten Hähnchenschlachter Deutschlands, von dem auch aus anderen Gründen immer mal wieder die Rede ist.

370 000 Hühner täglich wurden zuletzt allein an den Eingängen zur Lohner Niederlassung abgeliefert und später eingeschweißt ausgeliefert, das sind im Jahr 100 Millionen Hühner. Ganz, als Keule, Brust, Filet oder was sonst so alles in den Kühltruhen der Supermärkte landet. Zweimal pro Woche wird in einem Bereich des Komplexes auch direkt verkauft, "Oldenburger Geflügelspezialitäten" steht da. Bald sollte die Produktion in dieser Niederlassung von Wiesenhof sogar auf 430 000 Exemplare pro Werktag gesteigert werden, das wären dann jährlich fast 120 Millionen Hühnchen - viel mehr als die Bundesrepublik Menschen zählt.

Aktuelles Lexikon: Löschschaum

Wenn Wasser nicht ausreicht, um einen Brand zu löschen, setzt die Feuerwehr Schaum ein. Wie in der Badewanne oder im Spülbecken entsteht der durch ein Schaummittel im Wasser und zugemischte Luft. Je nach Schaummittelmenge entsteht ein schwerer oder leichter Schaum. Schwerschaum kann wie Wasser auch über weitere Distanzen versprüht werden, er legt sich als gasundurchlässiger Deckel über brennbare Flüssigkeiten und Oberflächen und bleibt besser als jedes andere Löschmittel auch eine Weile lang an Wänden kleben. Leichtschaum hingegen eignet sich eher, um damit Räume zu fluten. Auch beim Brand des Geflügelproduzenten Wiesenhof im niedersächsischen Lohne kam Schaum zum Einsatz, um immer wieder aufflackernde Brandherde zu löschen. Durch den Schaumzusatz sinkt die Oberflächenspannung des Wassers und das Löschmittel kann tiefer und schneller in brennbare Materialien eindringen und so auch besser kleinste Brandherde erreichen. Nachteil: Man muss mehr sauber machen, wenn die Feuerwehr mit Schaum angerückt ist, und manche Zusätze sind nicht unbedingt umweltfreundlich. Meist werden Mehrbereichsschaummittel zugemischt, die sich zu jeder gewünschten Schaumart verarbeiten lassen. Laut Deutschem Feuerwehrverband werden zwar noch immer die meisten Brände mit Wasser gelöscht, doch steige die Zahl der Einsätze mit Löschschaum. Hanno Charisius

Die Pläne waren von der Gewerbeaufsicht erst kürzlich genehmigt worden, dabei hatten 50 Bewohner von Lohne Einspruch eingelegt. Dem NDR zufolge soll Wiesenhof allerdings eine neue Wasseraufbereitungsanlage errichten und dafür sorgen, dass sich Lärm und Gerüche in Grenzen halten. Auch eine Straße will der Betreiber offenbar ausbauen. Nun ist der Schlachthof mit den großen Plänen binnen weniger Stunden zum Schlachtfeld verkommen, und es war wohl Glück, dass am Ostermontag kaum ein Mensch in der Fabrik war und kein Geflügel herbeigekarrt wurde. Allerdings fiel Wiesenhof zuletzt öfter auf. Erst am Samstag hatte das Unternehmen in Lohne Ammoniak-Alarm ausgerufen und die Frühschicht nach Hause geschickt. Wegen der gleichen Chemikalie, die in Lebensmittelbetrieben zur Kühlung eingesetzt wird, hatte es am selben Standort 2008 schon einen Unfall mit 25 leicht und zwölf schwer Verletzten gegeben, und 2011 ereignete sich an gleicher Stelle bereits ein teurer Brand. Bei Wiesenhof in Rietberg bei Gütersloh waren 2012 ebenfalls durch ätzendes Ammoniak vier Menschen leicht verletzt worden. Und im Februar 2015 verwüstete ein Großfeuer die Niederlassung in Bogen bei Straubing, woraufhin mehr als einem Drittel der Angestellten gekündigt wurde. Im Herbst soll es in Bogen nun wieder weiter gehen mit der Hähnchenproduktion. Doch Tierschützer protestierten dort im vergangenen Februar gegen den Wiederaufbau - umstritten ist Wiesenhof wie die mehrheitliche Massentierindustrie schon längst. Mehrmals wurde über angebliche Tierquälerei oder Ausbeutung bei Subunternehmen berichtet, zum Beispiel 2011 in der ARD-Reportage "Das System Wiesenhof". Das Geschäft läuft dennoch prächtig: Im vergangen Jahr verkaufte der Konzern PHW, zu dem die Marke Wiesenhof gehört, 689 609 Tonnen Geflügelprodukte und setzte 2,38 Milliarden Euro um. Zudem ist Wiesenhof Trikotsponsor des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen.

In Lohne sind vor allem einige Nachbarn eher keine Freunde des Giganten, der sich immer mehr ausbreiten will und nun furchterregend in Flammen stand. "Hier mag die fast keiner", sagt ein Anwohner, der seinen Namen nicht nennen mag. Die Politik verstehe sich ausgezeichnet mit Wiesenhof, berichtet der Landwirt. "Wir haben nichts davon."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: