Wiederaufbau in den Abruzzen:Dem Beben folgt die Mafia

Wie das organisierte Verbrechen vom Notstand profitiert: Experten warnen, dass die Millionen für den Wiederaufbau in den Abruzzen nicht bei den Opfern ankommen.

Stefan Ulrich

Die Italiener nennen sie "sciacalli", "Schakale", die Plünderer, die sich an der Not anderer Menschen bereichern. Die Obdachlosen nach dem Erdbeben in den Abruzzen laufen nun Gefahr, gleich zweimal ausgenommen zu werden: jetzt, da sich Beutemacher in ihren unbewohnbaren Häusern bedienen; dann in ein paar Wochen, wenn der Wiederaufbau beginnt.

Wiederaufbau in den Abruzzen: Dem Beben folgt die Mafia, AP

Die Heimat, ein Trümmerhaufen: Onna, ein italienisches Bergdorf in den Abruzzen, hat das Erdbeben besonders schwer getroffen.

(Foto: Foto: AP)

Darauf lauert bereits die Mafia. Sie nährt sich gut in Notstandszeiten, wenn Millionen Euro rasch ausgegeben werden müssen und die Kontrollen oberflächlich sind. Da lassen sich leicht Ausschreibungen manipulieren und Bauaufträge abgreifen. Giuseppe Pisanu, der Chef der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, warnt: "Die Cosa Nostra, die 'Ndrangheta und die Camorra sind bereits in den Abruzzen angekommen. Sie zielen mit Sicherheit auf den Wiederaufbau ab."

Als Beispiel nennt Pisanu die Missstände nach dem Erdbeben 1996 in Umbrien: "Damals zogen ganze 'Ndrangheta-Familien dorthin, um sich am Aufbau zu beteiligen." Noch schlimmer ging es nach dem Beben 1980 in der Irpinia bei Neapel zu. Geld floss genug, doch viel zu wenig kam bei den Opfern an, weil es Camorra-Clans, korrupte Lokalpolitiker und ehrlose Unternehmer abgeschöpften. Noch heute hausen Tausende Menschen der Iripina in Notunterkünften.

Beim Neuanfang in den Abruzzen will Italien die Fehler der Vergangenheit vermeiden und die "Schakale" aussperren: Piero Grasso, der nationale Anti-Mafia-Staatsanwalt, ernannte jetzt einen Sonderpool aus vier erfahrenen Staatsanwälten.

Sie sollen die Behörden in den Abruzzen beraten und überwachen, dass die Mafiosi bei den Ausschreibungen für die Wohnhäuser, Schulen, Kliniken und Verwaltungsgebäude nicht an Aufträge kommen. "Wir möchten verhindern, dass sich die Plünderer der Häuser in Plünderer der Kassen des Staates verwandeln", sagte Grasso.

Alfredo Rossini, der oberste Staatsanwalt der zerstörten Abruzzen-Hauptstadt L'Aquila, sagt, in seiner Region seien bereits früher Verdächtige wegen "mafiöser Unterwanderung" verhaftet worden. Nun würden sich zahlreiche Firmen aus ganz Italien und Europa um die Aufbau-Verträge bewerben. "Da müssen wir darauf achten, dass keine mit schmutzigen Händen dabei sind."

Derzeit sind Rossini und seine Kollegen auch damit beschäftigt, Schuldige für die vielen Toten und Zerstörungen des Bebens vom 6. April zu finden. Rossini ließ bereits zahlreiche Gebäude beschlagnahmen. Offensichtlich wurden in den Abruzzen massiv Bauvorschriften verletzt, ungeeignetes Material wie Meeressand benutzt, Gutachten missachtet und Kontrollen unterlassen. "Die Italiener wollen die Wahrheit wissen, sie verlangen Gerechtigkeit", sagt Rossini.

Das nehmen jedoch nicht alle so wichtig. Silvio Berlusconi meinte bei einem Besuch in den Abruzzen, man möge ruhig ermitteln, dürfe darüber aber keine Zeit für den Aufbau verlieren. Außerdem sollten die Ermittlungen nicht die Zeitungen füllen. Dann witzelte der Premier, sein Vater habe gesagt, wenn einer Böses tun wolle, habe er drei Möglichkeiten. Er könne Krimineller, Staatsanwalt oder Zahnarzt werden. Zahnarzt falle heute weg, denn es gebe ja Narkose.

Berlusconi beliebte wieder mal zu spaßen. Aufbauhilfe für die Justiz leistet er damit kaum.

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