Westgate-Anschlag:Somalia ist ein internationales Problem

Gekommen, um zu töten: Die Grausamkeiten im Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi waren nicht nur ein Angriff auf Kenia. Sie waren auch ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft, die das Problem Somalia nicht in den Griff bekommt.

Ein Kommentar von Tobias Zick, Nairobi

Ein Dutzend oder mehr Attentäter stürmen ein Einkaufszentrum, werfen Granaten, schießen Erwachsene und Kinder nieder. Sie sind gekommen, um zu töten, massenweise und mit spektakulärer Grausamkeit; das folgende Geiseldrama ziehen sie quälend in die Länge. Was sich im Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi abgespielt hat, war ein Angriff nicht nur auf Kenia, sondern auch auf die internationale Gemeinschaft, deren Vertreter - UN-Mitarbeiter, Diplomaten, Entwicklungshelfer - das Westgate als eine Art Oase inmitten der aufgewühlten Region Ostafrika frequentierten.

Die somalische Islamistenmiliz al-Shabaab, die hinter dem Anschlag steckt, zeigt sich ihrerseits als international aufgestellt: Ein Kommandeur, der per Telefoninterview das Gemetzel rechtfertigt, spricht geschliffenes britisches Englisch, und ersten Erkenntnissen zufolge sind unter den Attentätern wohl auch Männer mit US-amerikanischen und britischen Pässen. So ist erneut deutlich geworden, was lange verdrängt wurde: Das Problem Somalia ist ein internationales Problem.

Für das Nachbarland Kenia ist dies alles andere als eine neue Erkenntnis. Sehr viele Somalis haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg ihr Land verlassen. Ein Großteil von ihnen lebt in Kenia; in riesigen Flüchtlingslagern in der Wüste und in Eastleigh, einem Stadtteil von Nairobi, der auch Little Mogadishu genannt wird. Es ist eine Art ausgelagerte zweite Hauptstadt Somalias. Hier haben in der Heimat bedrohte Politiker und Journalisten Zuflucht gefunden, hier bauen somalische Geschäftsleute glitzernde Hotels - und hier rekrutiert al-Shabaab unter den Abertausenden jungen, perspektivlosen Flüchtlingen neue Kämpfer für ihren Terrorkrieg im Nachbarland. Seit zwei Jahren kämpfen kenianische Truppen in Somalia gegen die Islamisten, und es ist geradezu erstaunlich, dass ein Vergeltungsattentat im Herzen Kenias, wie jetzt im Westgate, nicht schon viel früher verübt worden ist.

Hässliche Details vom Flughafenbrand

Die kenianischen, ugandischen und burundischen Truppen, die in Somalia gegen die mit al-Qaida verbündeten Milizen kämpfen, tun dies auch im Interesse Europas und der USA. Der Westen unterstützt die afrikanische Militärmission Amisom in Somalia deshalb finanziell und durch Ausbildung. Er will aber keine eigenen Soldaten mehr in das Land schicken, seit im Oktober 1993 Milizen über Mogadischu zwei US-Hubschrauber abschossen und die Überlebenden am Boden massakrierten. Die rund 17 000 Amisom-Soldaten heute haben nicht einmal einen Kampfhubschrauber zur Verfügung, und sie kommen aus Ländern, die selbst reichlich interne Probleme haben.

Dass die kenianischen Behörden nicht in der Lage waren, das Westgate-Attentat zu verhindern, wirft nun reichlich Fragen auf - etwa betreffs der Polizei, die von wuchernder Korruption geschwächt ist. Nachdem im August der internationale Flughafen von Nairobi niederbrannte, wurden mehrere Polizisten festgenommen, weil sie in dem Chaos Geschäfte geplündert haben sollen statt zu helfen. Es sind solche hässlichen Details, die Zweifel daran wecken, ob Kenia und andere Staaten der Region nun wirklich, nach dem Vorbild der asiatischen Tigerstaaten, als "Löwen" zum Sprung ansetzen, wie es Ökonomen angesichts zweistelliger Wachstumszahlen derzeit gern prophezeien.

Es gibt einzelne Orte, an denen sich das Wirtschaftswachstum der Region manifestiert, und eine schillernde, moderne Shoppingmall wie das Westgate gehört zu den symbolträchtigsten dieser Orte. Das Attentat dieser Tage zeigt nun auch: Ohne gute Regierungsführung, ohne politische Stabilität und Sicherheit bieten die schönen Wirtschaftsdaten allein keinen Anlass für Jubel in Ostafrika.

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