Weihnachten bis Lichtmess:Fröhliche Dreinachten

Weihnachten

Ja, ist denn heut noch Weihnachten? Im Erzgebirge bis vor kurzem schon, im Rest der Welt, wie hier in Berlin, seit Dezember nicht mehr.

(Foto: Getty Images)

Im erzgebirgischen Zwönitz feiern die Einwohner drei Heilige Abende im Jahr - mit großem Erfolg und Besucherrekorden bis in den Februar hinein. Nun ziehen die Nachbarorte nach, doch der Zwönitzer Bürgermeister will sich nicht die Butter vom Stollen nehmen lassen.

Von Cornelius Pollmer, Zwönitz

Das Missgeschick ereignet sich am frühen Sonntagabend auf dem Marktplatz in Zwönitz. Etwas dusselig tritt man von der Bratwurstbude zurück, der Fuß trifft einen Alten, sein Glühwein schwappt über und wird zum Brühwein. Oh, das tut mir wirklich leid. Der Alte wischt seinen Arm trocken, Zorn und Röte steigen ihm ins Gesicht, er überlegt. Dann verfliegt der Grimm, er sagt: "Ach, heute ist Weihnachten."

Damit liegt er insofern falsch, als auch im Erzgebirge der gregorianische Kalender gilt und mittlerweile den Monat Februar des Jahres 2014 erreicht hat. Andererseits steht das Rathaus ja wirklich noch immer funkelnd in der Dämmerung, eingeschnürt von Ranken aus Lichterketten. Knapp 3000 Menschen sind an Mariä Lichtmess auf den Markt gekommen. Die Birnen am Weihnachtsbaum glühen wie am ersten Advent, und am Stand vom Partyservice Hübner gibt es ein großes public chewing mit Riesenbratwürsten. Vor der Bühne auf der anderen Seite steht ein kleiner Junge mit einem Polarbärenrucksack und staunt, als wäre ihm gerade der Leibhaftige erschienen oder wenigstens ein Coca-Cola-Truck.

Dabei steht da oben nur Wolfgang Triebert, der Bürgermeister. Triebert begrüßt alle Zugereisten, darunter "die Chemnitzer, die wollen heute einfach mal mit uns ablichteln" - dann geht es weiter im Programm, zwischen Blasmusik und Kinderchor kommt ein Gedicht zum Vortrag: "Mer traffen uns heit und hier, Ihr Leit, weil se nu wirklich vorbei ist - de Weihnachtszeit".

Tradition aus der Not der Wirtsleute heraus?

Im Manuskript ist nur ein Wort unterstrichen, das "wirklich". Und da gibt auch Wolfgang Triebert sein Wort, nach dem dritten Heiligen Abend ist selbst in Zwönitz die Weihnachtszeit vorbei. Den ersten feiern sie hier wie überall am 24. Dezember, den zweiten am Abend vor Hochneujahr, und den dritten eben zu Mariä Lichtmess. "50 Prozent davon sind Tradition, 50 Prozent Kommerz", sagt Triebert, aber das ist wohlwollend geschätzt und zwar zu Gunsten der ersten 50 Prozent.

Irgendworauf geht die Februar-Weihnacht in Zwönitz natürlich zurück, auf die Landwirte vielleicht oder die Bergleute, im Wesentlichen aber auf Trieberts Amtsvorgänger. "Zu DDR-Zeiten gab's die Feier nicht, da wollte der Staat alles unter Kontrolle haben - auch Weihnachten", sagt Triebert. Mitte der Neunziger führte sein Vorgänger die dritte Weihnacht wieder ein. Er berief sich auf die Tradition vor Ort und den liturgischen Kalender im Allgemeinen sowie auf die Nöte der Wirtshäuser im Besonderen.

Nun sind die Gaststätten zu Lichtmess voll. Auch zu der Kombination aus Bratwurst und Hirsebrei dürfte neben dem Gedanken an die Tradition jener an die Marge geführt haben. Die Stadt verkauft indes Postkarten und Gewitterkerzen, sie bietet Stadtführungen an und gab in diesem Jahr auch dem Gewerbeverein statt, der darum gebeten hatte, an diesem Sonntag im Februar die Geschäfte öffnen zu dürfen. Weil doch Weihnachten ist.

Nachbarorte kopieren das Erfolgsmodell

Im letzten Jahr standen die Leute zum Teil länger als 30 Minuten für einen Glühwein an, die Stadt rüstete daraufhin noch einmal auf. Am Sonntag nun vermeldete Wolfgang Triebert Besucherrekord, so viele wie in diesem Jahr kamen noch nie zur Lichtmess nach Zwönitz. Und auch wenn der 2. Februar im nächsten Jahr ein Montag sein wird, sagt Triebert schon jetzt, man werde "keinen einzigen Schritt zurück" machen. Weihnachten muss verteidigt werden, und Triebert will sich nicht die Butter vom Stollen nehmen lassen.

Andere Orte versuchen inzwischen, den späten wie hohen Tag gleichsam zu besetzen. Als Wolfgang Triebert am Samstag die Freie Presse aufschlug, da konnte er in den Ankündigungen wieder sehen, wer schon alles nachgezogen hat: Stollberg, Schwarzenberg, Annaberg. Aber Tradition könne man nicht einfach so kopieren, sagt Triebert, "und in Stollberg, da läuft das mit Cheerleadern und Karnevalsvereinen ab, das muss es ja nun nicht sein".

Das ist der Grat, den Triebert und die anderen Bürgermeister zu bewandern haben: Das Weihnachtswunderland Erzgebirge lässt sich nur dann im Februar noch einmal urbar machen, wenn man den Schwibbogen nicht überspannt. Die Versuchung dazu ist groß, in einer ländlichen Gegend, der gegen viele Härten der demografischen Entwicklung und um das Interesse von Touristen zu kämpfen hat. Da ist es eigentlich nur eine sagenhaft irre wie schlüssige Idee, im Februar noch einmal den Christbaum leuchten zu lassen.

Jetzt aber endlich: "Licht aus!"

Um 18 Uhr erlischt auch dieser. Hinter der Bühne angelt sich ein Bergmann die Reste einer Bratwurst aus den Zähnen, vorne sagt Wolfgang Triebert, man wolle nun endlich "die Lichter verlöschen". Er wartet noch einen Moment, dann ruft er "Licht aus!" und es kommt der große Blackout: Weihnachtsbaum, Rathaus, Pyramide, alles verschwindet in der Dunkelheit. Hinter dem Vorhang eines Fensters am Markt sieht man noch den Fernseher flackern, ein Weihnachtsverweiger tigert allein durch seine Wohnung.

Es beginnt zu schneien, Menschen ziehen in herrlicher Ruhe durch schmale Gassen in die Wirtshäuser wie zur Christvesper. Hier und da schaukelt noch ein Herrnhuter Stern im leichten Wind, Nachtwächter touren durch die Gaststätten und verweisen auf die nahende Sperrstunde. Sieben Monate dauert es nun, dann beginnt der Marathon von Neuem. Ab September gebe es in den Supermärkten die ersten Weihnachtsmänner, sagt Triebert, da dürfte das Verhältnis von Tradition und Kommerz dann noch mal ein ganz anderes sein. All dies bleibt eine Frage des Blickwinkels und Weihnachten natürlich das Fest der Liebe. Dieser, sagen die Nachtwächter bei ihrem Auszug aus dem Gasthof Zwönitz, "gebührt ein voller Becher. Prost und zum Wohl, Ihr alten Zecher."

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