Wachsfigur geköpft:Hitler und die Schlawiner

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Der Mann, der Hitler köpfte, steht in Berlin vor Gericht: Wie Frank L. zum Helden von Kreuzberg wurde und warum er nun 900 Euro Strafe zahlen muss.

Kathrin Haimerl

Wahrscheinlich muss man diese Geschichte beginnen mit der Kneipe, in der sie ihren Lauf nahm. In der Schönleinstraße in Berlin-Kreuzberg traf sich Frank L. am Vorabend des 5. Juli mit seinen Kumpanen zum Kickern. Die Stammkneipe am Anfang der Schönleinstraße gleich neben dem Sex-Shop trägt den verheißungsvollen Namen "Schlawinchen". Dort irgendwo im Bierdunst der Kneipe hat die Idee in den Köpfen wohl ihren Ausgang genommen.

Wieder zurück in Berlin, allerdings sicher verstaut im Bunker: Die Hitler-Wachsfigur in der Berliner Filiale von Madame Tussauds. (Foto: Foto: ddp)

Die Berliner Zeitung schreibt: Im Schlawinchen treffen sich Kreuzberger Urgesteine, die schon vor Jahrzehnten da waren. So oder so ähnlich dürfte es sich auch mit Frank L., den der Tagesspiegel als "Alt-Punk" beschrieb, und seinen Kumpels verhalten.

Und an diesen Abend vor einem knappen Jahr haben sich die Männer mächtig aufgeregt. Denn am nächsten Tag sollte Adolf Hitler nach Berlin zurückkehren. Als Wachsfigur sollte er Teil der neuen Berliner Filiale von Madame Tussauds Kabinett werden.

Man müsse etwas tun, so die einhellige Meinung am Vorabend im Schlawinchen. Nur - wer traut sich? Da kam Frank L. ins Spiel. "Ich", habe er gesagt, erzählt er später den Medien. Das war dann auch der Moment, der Frank L. später zum Helden von ganz Kreuzberg machte. Über den der Publizist Henrik M. Broder später sagen würde: "Endlich hat ein Hitler-Attentat geklappt."

Ab diesem Zeitpunkt gab es für Frank L. kein zurück mehr. Denn dem Spott seiner Kumpel wollte er nicht ausgesetzt sein.

Vorbei an Bismarck und Marx

Und so wartete er am nächsten Tag völlig unauffällig als Zweiter in der Schlange, bis die Filiale von Madame Tussauds in Berlin ihre Pforten öffnete. Dann zahlte er noch brav den Eintritt von 18,50 Euro. Und daraufhin marschierte er los - zielgerichtet vorbei an Otto von Bismarck, vorbei an Karl Marx, bis in die Ecke, in der die Hitlerfigur griesgrämig hinter ihrem Schreibtisch brütete. Eigentlich sollten Wachmänner dafür sorgen, dass die Figur nicht beschädigt wird.

Schließlich haben Anschläge auf Statuen berühmter Persönlichkeiten immer wieder für Aufregung gesorgt. 2002 etwa köpfte in London ein Mann die Marmorstatue der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Zwei Jahre später wurden die Wachsfiguren von David und Victoria Beckham im Londoner Madame Tussauds beschädigt. Mehrere Bürger hätten sich über das Figuren-Paar als moderne Darstellung von Maria und Josef im Rahmen einer Weihnachtskrippe echauffiert, die katholische Kirche hatte dies als despektierlich kritisiert.

Am 5. Juli 2008 war Frank L. einfach zu schnell für die Wachmänner: Mit einem Satz sprang er über den Schreibtisch - und riss Hitler den Kopf ab. Augenzeugen zufolge schrie er dabei "Nie wieder Krieg!". Seither gehört der Hartz-IV-Empfänger, der früher einmal Polizist war, zu den berühmtesten Kreuzbergern.

Nun stand Frank L. selbst vor Gericht - wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung. Denn bei der Aktion kam es zu einem Gerangel mit den Museumswärtern, zwei wurden leicht verletzt. Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten ist der Kreuzberger nun zu 900 Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Den Schaden an der Wachsfigur hatte die Anklage auf exakt 6325 Euro beziffert. Nach der Attacke hatte Madame Tussauds mitgeteilt, dass die Herstellung einer solchen Figur rund 200.000 Euro kosten würde.

Eigentlich hatte es das Amtsgericht bei einem Strafbefehl über 1800 Euro belassen wollen. Doch Frank L. legte Einspruch ein. Und so kam es in Berlin zu dem Prozess gegen den Hitler-Attentäter. Vor dem Gericht räumte Frank L. die Tat ein. Er erklärte, er habe gegen das kommerzielle Interesse der Ausstellung protestieren wollen. Die Aussteller hätten sich von dem "Dämon Hitler" Profit erhofft.

Hitler selbst ist inzwischen an seinen angestammten Platz bei Madame Tussauds zurückgekehrt. Anders als bei der Eröffnung aber ist er nun aus Sicherheitsgründen durch eine Fensteröffnung in den nachgebauten Bunkerwänden zu sehen. Mit seiner Tat hat Frank L. den Wachs-Hitler also in jene Umgebung zurückgebracht, in der sich der selbsternannte Führer des deutschen Volkes selbst richtete.

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