Vulkan:Heilige Quelle der Angst

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Japan fürchtet, dass der Fujiyama nach 300 Jahren wieder seine Asche auf Tokio wirft.

Von Axel Bojanowski

Es gibt ihn mit Kirschblüten und mit Tempeln; es gibt ihn auch mit Schnellzügen und Hochhäusern - nur mit glühender Lava und beißendem Rauch gibt es keine Fotos vom Fujiyama, dem höchsten Berg Japans.

Bei einem Ausbruch drohen noch höhere finanzielle Schäden als beim Erdbeben von Kobe 1995. (Foto: Foto: dpa)

Er wird als Göttersitz verehrt, ist Schauplatz von Legenden und Sinnbild der Schönheit des Landes. Dass es sich beim Fujiyama aber um einen aktiven Vulkan handelt, wurde ignoriert - bis vor vier Jahren auf einmal Erdbeben den Berg schüttelten.

Sie waren nicht stark, Stärke zwei auf der Richterskala, aber sie nahmen plötzlich zu. Von ein paar Erschütterungen im Monat auf über 100 im Mai 2001. Seither ist ihre Zahl wieder zurückgegangen.

Dennoch sind die Stöße für den Vulkanologen Setsuya Nakada von der Universität Tokio ein Zeichen dafür, dass Magma in den Kegel aufsteigt. Es drückt Gestein auseinander und lässt die Erde erzittern.

Umgehend legte die japanische Regierung ein Forschungsprogramm im Wert von vier Millionen Euro auf - aus Angst, der heilige Berg könnte sich in ein Lava speiendes Monster verwandeln.

Katastrophale Folgen

Denn ein Ausbruch hätte für Tokio mit seinen 20 Millionen Einwohnern katastrophale Folgen. Allerdings mussten die Wissenschaftler bei der Erforschung des Vulkans vor vier Jahren fast von vorne anfangen, weil sich kaum jemand für den Fujiyama als Feuerberg interessiert hatte.

Inzwischen ist "Fuji-san", wie der Vulkan in Japan ehrfürchtig genannt wird, geradezu hektisch verkabelt worden wie ein Patient auf der Intensivstation: Thermometer, Seismographen, Gasmesser, Infrarotstationen, Neigungsmesser und andere Geräte überwachen den Berg.

600 Meter tief sind Bohrgestänge in die Flanken des Vulkans gedrungen. Sie förderten Beunruhigendes zutage: Die bei früheren Eruptionen abgelagerte Lava ist ein Gemisch aus harmloser Basaltlava und explosiver Andesit- und Dazitlava, berichten Geologen um Toshitsugu Fujii von der Universität Tokio.

Es gebe wohl mehrere Lavaquellen, erklärt der Forscher. Weitere Studien ergaben, dass der Vulkan früher an unterschiedlichen Stellen ausgebrochen war. Das macht es noch schwieriger, Risikobereiche bei einer Eruption festzulegen.

Beim letzten Ausbruch des Fujiyama vor knapp 300 Jahren im Dezember 1707, regnete zwei Wochen lang Asche auf das 100 Kilometer entfernte Tokio. "Ein erneuter Ausbruch würde Flughäfen, Bahnen, Straßen, Elektrizitätswerke, Lebensmittellieferungen und Mobiltelefone lahm legen. Es drohen noch höhere finanzielle Schäden als beim Erdbeben von Kobe 1995", sagt der Vulkanologe HansUlrich Schmincke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften der Universität Kiel.

Neben Tokio sind auch die Millionenstädte Nagoya, Kyoto und Yokohama bedroht. Besonders betroffen wäre die nähere Umgebung des Bergs, wo jährlich 20 Millionen Menschen Urlaub machen.

Wie bei vergangenen Ausbrüchen könnten 800 Grad heiße Glutlawinen zu Tal rasen: ein Gemisch aus Lava, Asche und Steinen, das auf heißem Dampf wie auf einem Luftkissen gleitet und schneller ist als ein Formel-1-Rennwagen.

Das Geheimnis der Schönheit

Die Kegelform des Fujiyama ist nahezu perfekt. Andere Vulkane, die sich wie der Fujiyama über der Grenze von Erdplatten erheben, sind zerklüfteter und kleiner. Ihr Magma ist zähflüssig und gashaltig und explodiert, wenn es durch die Oberfläche bricht.

Vulkane an Plattengrenzen weisen daher fast immer schwere Narben auf - nur der 3776Meter hohe Fujiyama nicht. Das Geheimnis seiner Ebenmäßigkeit haben jüngst Forscher um Koki Aizawa von der Universität Kyoto gelüftet: Der Berg, der den Shintoisten heilig ist, liegt nicht direkt über einer Plattengrenze, sondern gerade noch auf der philippinischen Erdplatte.

Seine majestätische Schönheit verdanke er einem Riss in der philippinischen Platte in 30 Kilometer Tiefe, so die Forscher. Durch den Riss quellen große Mengen dünnflüssigen Magmas, das sich bei Ausbrüchen gleichmäßig zu allen Seiten des Schlotes ergossen hat. Deshalb sei der Fujiyama so mächtig und wohlgeformt.

Aufschluss über die Beschaffenheit des Vulkan-Untergrunds erhielten die Forscher durch Messungen des elektrischen Widerstands. Doch auch die Schönheit von Vulkanen ist vergänglich. "Der nächste Ausbruch wird am Fujiyama schwere Narben hinterlassen. Möglicherweise kollabiert ein Teil des Bergs", sagt Richard Arculus, Vulkanologe an der Universität Canberra in Australien.

Dass sich im Fujiyama wieder Magma und Gase stauen, ist unstrittig. In der Vergangenheit suchte sich der Druck regelmäßig ein Ventil - alle 300 bis 500 Jahre. Seit seiner letzten Eruption 1707 könnte sich also genug Material für einen neuen Ausbruch angesammelt haben.

Um dem Magmareservoir auf die Spur zu kommen, durchleuchtete der Tokioter Vulkanologe Nakada den Berg: Er ließ mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff detonieren und die dadurch ausgelösten Druckwellen mit Detektoren registrieren.

Solche Detektoren hat Nakadas Team in drei Bohrlöchern an der Nordost-Flanke des Fujiyama installiert. Mit ihrer Hilfe können die Forscher errechnen, wo sich die Magmakammern befinden, weil Druckwellen den Fels deutlich schneller durchlaufen als das zähflüssige Magma.

Die Sprengungen am heiligen Berg wurden von den Shintoisten nur toleriert, weil sie unterhalb des Gipfels stattfanden, berichtet Nakada. Noch ist die Auswertung der Daten nicht abgeschlossen. Für die Errichtung eines Überwachungsnetzes bleibe jedenfalls genug Zeit.

Wirklich bedrohlich werde es erst, wenn die Vulkanspitze anschwelle und die Temperaturen im Schlot anstiegen. Die aus dem Vulkan strömenden heißen Dämpfe haben sich bereits erwärmt.

Indes bezweifelt vor allem die Tourismusbranche einen bevorstehenden Ausbruch des Vulkans. Sie argwöhnt, die Erdbeben zeigten nur, dass der heilige Berg zürne, weil Wanderer dort tonnenweise Müll hinterlassen.

Der Wandel des Fujiyama lässt jedenfalls niemanden kalt. Bisher hofften viele Japaner durch Besteigen des Bergs ihre Ängste loszuwerden. In Zukunft könnte der Fujiyama selbst zur Quelle der Angst werden.

© SZ vom 12. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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