Inzest zwischen Geschwistern:Hitzige Debatte über Vorstoß des Ethikrats

Der Ethikrat hat mitgeteilt, dass Sex zwischen Geschwistern nicht mehr strafbar sein sollte. Eine ernsthafte und vorurteilsfreie Debatte sollte das anstoßen. Doch die kocht jetzt hoch.

Von Christina Berndt

Eine ernsthafte, vorurteilsfreie Diskussion wollte der Deutsche Ethikrat über das schwierige Thema Inzest anstoßen. Doch mit Offenheit ist es so eine Sache, wenn das zu behandelnde Sujet ein Tabu berührt. Kurz nachdem der Ethikrat am Mittwoch seine Stellungnahme veröffentlicht hatte, wonach der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Geschwistern künftig nicht mehr unter Strafe gestellt werden sollte, gab es die ersten Kommentare auf der Facebook-Seite des Gremiums: "Wie krank seid ihr eigentlich????? Schämt euch und so was nennt sich Ethikrat???? Ich nenne das pervers!!!", schrieb da jemand. "Empfehlung zum Geschwistersex??? -> Der Ethikrat gehört ins Gefängnis !!!", ein anderer.

Christiane Woopen war sich darüber im Klaren, dass dieses Votum auch Widerspruch erzeugen würde. Von den Facebook-Kommentaren ist die Vorsitzende des Ethikrats, der Bundesregierung und Bundesrat in ethisch schwierigen Fragen berät, trotzdem erschüttert: "Wir hatten uns gewünscht, mehr Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung wecken zu können."

Auch auf politischer Ebene hat die Diskussion mitunter ein kaum höheres Niveau erreicht: Das Votum des Ethikrats sei "absolut untragbar", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der Bild: "Inzest unter Geschwistern steht nicht ohne Grund unter Strafe." Erbkrankheiten und Behinderungen der Kinder seien die Folge. "Der Ethikrat muss sich fragen, ob er seinem Namen und Auftrag mit diesem sittenwidrigen Vorstoß noch gerecht wird", sagte Mayer.

"Ich würde nicht dafür plädieren, den Paragrafen heute einzuführen"

Das genetische Argument gilt in Fachkreisen indes längst als obsolet. Das Risiko für Krankheit oder Behinderung ist für Kinder aus einer Inzestbeziehung zwar erhöht. Es ist aber deutlich niedriger als in Familien mit manchen Erbkrankheiten: "Einem Paar, das ein Kind mit Mukoviszidose hat, würde niemand weitere Kinder verbieten", sagt die Medizinethikerin Woopen.

Auch die Minderheit von neun Mitgliedern des 25-köpfigen Ethikrats, die sich gegen die Straffreiheit ausgesprochen hat, distanziert sich vom genetischen Argument. "Der Ethikrat war sich darin einig, dass dieses Argument fallen gelassen werden muss", sagt Wolfram Höfling, einer der neun, die ein abweichendes Votum unterzeichnet haben. Danach soll der "Inzestparagraf" (§ 173 StGB) erhalten bleiben, der für Sex mit Schwester oder Bruder bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug vorsieht.

"Ich würde nicht dafür plädieren, den Paragrafen heute einzuführen, wenn es ihn nicht gäbe", erläutert Höfling. "Aber ihn jetzt abzuschaffen, halte ich für das falsche Signal." Recht stabilisiere eine Gesellschaft. "Das heißt aber auch, dass die Änderung der Rechtslage zur Destabilisierung führen kann", sagt der Staatsrechtler. Den Unterzeichnern des Minderheitenvotums gehe es um den Schutz der Familie. "Eine Rollendiffusion führt zu gestörten Kommunikationsstrukturen in Familien", sagt Höfling. Dies gelte es zu verhindern.

Der Leidensdruck der Betroffenen ist groß

Allerdings kommt es zu Fällen einvernehmlichen Inzests unter Geschwistern wohl nur, wenn diese eben nicht in einer Familie aufgewachsen sind. "Nach allem, was man heute über solche Paare weiß, haben sie sich erst als Erwachsene kennengelernt", sagt Christiane Woopen. Vertrautheit ist ein Liebestöter, wie auch die Simpua-Ehen in Taiwan zeigen: Einander versprochene Kleinkinder wachsen dort gemeinsam im Haus des Bräutigams auf. Die Ehen bleiben häufig kinderlos.

Einvernehmlicher Geschwister-Inzest wird damit kaum ein Massenphänomen werden, selbst wenn er eines Tages womöglich straffrei bleiben wird. Die Betroffenen aber leiden erheblich - unter Gewissensbissen, aber vor allem unter der Strafandrohung, die sie erpressbar macht. "Viele Paare werden von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt. Dabei geht es manchmal auch um Erbstreitigkeiten", erzählt der Rechtsanwalt Endrik Wilhelm, der einen Betroffenen 2008 vor dem Bundesverfassungsgericht und 2012 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertrat. Doch beide Gerichte waren der Auffassung, der Inzestparagraf sei verfassungskonform.

Den Betroffenen nützt es also wenig, wenn die Vertreter des Minderheitenvotums im Ethikrat nun vorschlagen, Staatsanwälte sollten in solchen Fällen einfach nicht tätig werden. "Es ist keine Lösung, mit der die Betroffenen zufrieden sein können", räumt auch Wolfram Höfling ein. "In diesen tragischen Fällen, in denen Verwandte mit Anzeige drohen, wird es für die Staatsanwaltschaft tatsächlich schwer sein, nichts zu tun."

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