Von der Leyen zu Problemfamilien:"Wir dürfen solche Eltern nicht aus den Augen lassen"

Familienministerin Ursula von der Leyen fordert im SZ-Interview verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen von Kindern. "Ihr Schicksal darf nicht davon abhängen, ob sich ein einzelner Mitarbeiter des Jugendamtes besonders engagiert." Bisher hatte von der Leyen solche Untersuchungen skeptisch bewertet.

Felix Berth

SZ: Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens fordert ein Bundesgesetz, das alle Eltern verpflichtet, ihre Kinder zur Vorsorge-Untersuchung zu bringen. Lehnen Sie das ab?

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(Foto: Foto: AP)

Von der Leyen: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg: Zahlreiche Länder laden die Eltern bereits verbindlich zu Untersuchungen ein; wenn Eltern nicht erscheinen, kümmert sich das Jugendamt.

Erfahrungen aus dem Saarland zeigen, dass unbürokratisch nachgehakt wird.

SZ: Nichts anderes fordert Frau Stewens - bloß mit einem Bundesgesetz.

Von der Leyen: Aber das Bundesjustizministerium und das Bundesinnenministerium haben ein klares Votum abgegeben: Es sei nicht verfassungsgemäß.

Man könne nicht hundert Prozent der Eltern verdächtigen, ihre Kinder zu vernachlässigen, um einzelne Kinder zu finden. Deshalb bin ich froh, dass mehr als die Hälfte der Länder die verbindlichen Einladungen zu den Untersuchungen festgeschrieben hat.

Gleichzeitig müssen wir sehen, dass zwischen den einzelnen Untersuchungen bei den Kinderärzten Hunderte von Tagen liegen - hier brauchen wir für schwierige Fälle ein dichteres Netz von Hilfen.

SZ: Wie könnte das aussehen?

Von der Leyen: Wir müssen versuchen, die schwierigen Familien gleich bei der Geburt der Kinder zu erkennen. Denn Anzeichen dafür können Hebammen oder Ärzte schon im Krankenhaus feststellen: Gibt es Alkoholprobleme, ist die Mutter sehr jung und das Kind gar nicht gewollt?

Solche Eltern dürfen wir nicht aus den Augen lassen - sie sollten nach der Geburt engmaschige Unterstützung bekommen und begleitet werden. Um solche Konzepte zu überprüfen, haben wir das Nationale Zentrum für frühe Hilfen aufgebaut; dort sollen die Fehler unseres Systems erkannt und bessere Lösungen entwickelt werden.

SZ: Fehlt das Wissen, oder geht es nicht eher um die Umsetzung? US-Forscher haben doch längst Checklisten erstellt: Drogenerfahrungen, Alkoholismus, Gewalterfahrungen der Eltern sind ein paar der Indikatoren, die zusammen sehr treffsichere Prognosen erlauben.

Von der Leyen: Ich denke, wir haben beide Probleme: Unser Wissen reicht nicht, und es mangelt an der Umsetzung. Gerade Erkenntnisse wie die aus den USA muss man in die Geburtskliniken und Behörden hineintragen, damit in solchen Fällen verbindlich gehandelt wird und das Schicksal der Kinder nicht davon abhängt, ob sich ein einzelner Mitarbeiter besonders engagiert.

Wir wissen doch, dass die Mitarbeiter eines Jugendamts bei einem Besuch nicht nur nach den Kindern fragen sollen, sondern darauf bestehen müssen, die Kinder auch zu sehen. Sonst riskieren sie, dass bestimmte Eltern Lügengeschichten erzählen.

Solche Prinzipien müssen in allen Ämtern berücksichtigt werden. Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen, sondern darum, besser zu schulen, Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Wenn wir nur nach Schuldigen suchen, dauern die notwendigen Veränderungen viel länger.

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