Von den Nazis getrennt:Frau findet nach mehr als 70 Jahren ihre Mutter

Mutter und Tochter finden sich nach 70 Jahren Trennung

Familientreffen nach mehr als 70 Jahren: Mutter Gianna hält einen Bildband mit Fotos der Familie ihrer Tochter Margot Bachmann in den Händen.

(Foto: dpa)
  • Nach mehr als 70 Jahren Trennung hat eine Frau aus Deutschland ihre italienische Mutter getroffen.
  • Die Italienerin war als Zwangsarbeiterin in Deutschland. 1944 wurde sie schwanger, der Vater war ein verheirateter deutscher Soldat.
  • Die Nazis entzogen ihr kurz nach der Geburt des Kindes die Vormundschaft. Die Frau ging nach Italien zurück und lebte offenbar in der Annahme, ihre Tochter sei tot.

Jahrzehntelang getrennt

Nach mehr als 70 Jahren Trennung hat eine Frau aus der Nähe von Frankfurt am Main ihre italienische Mutter wiedergefunden. Die heute 91 Jahre alte Italienerin war während des Nationalsozialismus Zwangsarbeiterin und hatte eine Beziehung mit einem verheirateten deutschen Soldaten, wie der Internationale Suchdienst ITS im hessischen Bad Arolsen mitteilte.

Es ist das Jahr 1944, der Zweite Weltkrieg tobt in Europa. Die italienische Zwangsarbeiterin Gianna verliebt sich in einen deutschen Soldaten, daraus geht ihre Tochter Margot hervor. Die Nazis entziehen ihr kurz nach der Geburt die Vormundschaft. Nach dem Ende des Krieges geht Gianna nach Italien zurück. "Sie haben mir gesagt, dass sie umgebracht wurde und ich habe es geglaubt, weil sie sonst nach dem Krieg zu mir zurückgekehrt wäre", sagt Gianna. Tochter Margot Bachmann aber kommt zunächst ins Heim und wächst dann mit Halbgeschwistern auf, denn ihr Vater war bereits verheiratet. Der Vater habe ihr jahrelang verboten, nach ihrer Mutter zu suchen, sagte Bachmann einer italienischen Zeitung.

"Jetzt bin ich überglücklich"

Die Tochter wusste, dass ihre Mutter Italienerin war, sie dachte aber ihrerseits, dass diese tot sei. Erst im vergangenen Jahr, nach dem Tod ihres Vaters, startete Bachmann die Suche, um mehr über ihre Familiengeschichte zu erfahren. Über den ITS fand sie schließlich die Frau in Novellara, einer Kleinstadt in Norditalien. "Nie hätte ich zu hoffen gewagt, sie jemals in die Arme schließen zu dürfen.", zitierte der ITS die 1944 geborene Bachmann.

Bei einem Treffen vor wenigen Tagen lernten Bachmann und ihre Familie die Mutter und weitere Verwandte kennen. Es wurde gemeinsam Sekt getrunken; Geschenke und Familienfotos wurden ausgetauscht, wie das italienische Rote Kreuz berichtete. Die Mutter hatte ihre Tochter ursprünglich Margarita genannt, nach ihrer Lieblingsschauspielerin Rita Hayworth. Beim Wiedersehen habe sie nicht geweint. "Ich habe schon zu viele Tränen vergossen, heute will ich lachen", sagt die alte Frau. Sie planen bereits das nächste gemeinsame Treffen.

Wie der ITS Gianna fand

"Heutzutage ist es außerordentlich selten, dass sich Eltern und Kinder wiederfinden, die durch das NS-Regime getrennt wurden. Denn viele der NS-Überlebenden sind inzwischen verstorben", sagte ITS-Mitarbeiterin Friederike Scharlau, die das erste Familientreffen begleitet hat. Der ITS ist ein Archiv- und Dokumentationszentrum über Verfolgung zur Nazizeit und die befreiten Überlebenden.

Nach ersten eigenen Recherchen hatte sich Margot Bachmann an das Rote Kreuz gewandt, das die Anfrage an den ITS weitergab. Beim ITS lagern 30 Millionen Dokumente aus Konzentrationslagern, Ghettos und Gestapo-Gefängnissen sowie Unterlagen über die Zwangsarbeit und die Migration infolge des Zweiten Weltkrieges - und auch etwas über die Mutter von Margot Bachmann. "Wir hatten Unterlagen über die Mutter im Archiv", sagt Scharlau.

Es sei Glück gewesen, dass die Frau nie ihren Nachnamen geändert habe. Zudem gab es auch ein aktuelles Dokument über die Mutter: eine Anfrage aus Italien an die deutsche Rentenversicherung zur Anrechnung von Zeiten als Zwangsarbeiterin in der Nazizeit. So konnte die Adresse der 91-Jährigen ermittelt werden.

Italienische Zwangsarbeiter im Deutschen Reich

Im Deutschen Reich arbeiteten zwischen 1938 und 1945 insgesamt fast eine Million Italiener, wie der Regensburger Wirtschafts- und Sozialgeschichts-Professor Mark Spoerer erläutert. Sie kamen zunächst entweder - mehr oder weniger - freiwillig oder wurden vom italienischen Staat zwangsverpflichtet. Im Herbst 1944 wurden zudem italienische Kriegsgefangene in den Status von Zivilarbeitern versetzt, die für die Nazis arbeiten mussten.

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