Villingen-Schwenningen:Einblick in ein Milieu, in dem wegen der Flüchtlinge Goldgräberstimmung herrscht

Im Januar flog eine Handgranate auf das Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen. Dahinter steckt ein Streit zwischen Sicherheitsunternehmen. Jetzt beginnt der Prozess.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Rupert Kubon, der SPD-Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen, hat vergangene Woche in einem bemerkenswerten Interview kritisiert, in seiner Stadt hielten sich zu wenige Flüchtlinge auf. Tatsächlich: zu wenige. Er verwies auf die Ertrinkenden im Mittelmeer, auf das Leid in Syrien. Die Reaktionen? Kubon sagt, er habe einige Post "im üblichen unflätigen, dummen Ton" erhalten. Ansonsten hält er die Art, wie seine Kommune mit dem Thema umgeht, für völlig normal. Es sind ohnehin nur noch knapp 800 Asylbewerber in der Stadt am Rand des Schwarzwalds untergebracht, unauffällig mit Ausnahme einiger unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die Erstaufnahmestelle mit derzeit 91 belegten Plätzen (Kapazität: 1136) wird demnächst geschlossen.

Und die Handgranate? Weit weg. "Kein Thema mehr", sagt Kubon.

Vor dem Landgericht Konstanz beginnt an diesem Donnerstag der Prozess gegen sechs Männer, die Anfang des Jahres Kubons Stadt bundesweit in Verruf gebracht haben. Die Anklage: versuchter Mord, versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Es war die Nacht auf den 29. Januar, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise: Eine Handgranate, aus einem Auto heraus geworfen, flog in Richtung einer Asylbewerberunterkunft in Villingen und landete unversehrt neben dem Container, in dem sich drei Wachleute aufhielten. Die Polizei brachte die Granate zur kontrollierten Explosion. Eine neue Stufe der Gewalt gegen Flüchtlinge? In ganz Deutschland war die Empörung groß. Doch bald wurde klar: Die Tat galt den Wachleuten.

Die Granate sprechen lassen

Ein Streit zwischen Sicherheitsunternehmen liegt dem Anschlag zugrunde. Offenbar gab es Gebietsabsprachen, die nicht eingehalten wurden. Zwei Firmenbetreiber, die einen Auftrag verloren hatten, wollten laut Staatsanwalt "Druck ausüben" auf die Konkurrenz und beauftragten drei Männer, die Granate für sie sprechen zu lassen. Der sechste Angeklagte soll schon in der Nacht zuvor ausgerückt, aber aus Angst vor möglichen Zeugen wieder abgezogen sein.

Ob die Granate, Typ M52, mit einem Zünder versehen war, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Staatsanwaltschaft glaubt den Angeklagten aber nachweisen zu können, dass sie davon ausgingen, die Waffe sei "scharf" gewesen. Indem sie die Granate direkt an den Container heran warfen, hätten sie den Tod der Wachleute in Kauf genommen. Die Männer, zwischen 23 und 37 Jahre alt, stammen alle aus der Region rund um Villingen-Schwenningen.

Der Prozess wird einen Einblick geben in ein Milieu, in dem wegen des Flüchtlingszustroms Goldgräberstimmung ausgebrochen war. Über Nacht mussten zahlreiche Wachleute für neue Unterkünfte gefunden werden, die Aufträge gingen nicht immer an seriöse Firmen. Im Fall Villingen geriet auch das Unternehmen ins Visier der Polizei, deren Wachleute Ziel des Anschlags waren. Bei Hausdurchsuchungen wurden laut Staatsanwaltschaft "fehlerhafte Abrechnungen" gefunden. Das für die Villinger Unterkunft zuständige Regierungspräsidium Freiburg hat der Firma fristlos gekündigt.

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