Vierfachmord von Eislingen:Der Richter als Türsteher

Die Morde von Eislingen lösten Entsetzen aus. Im Prozess lässt das Landgericht Ulm nur einzelne Journalisten per Losverfahren zu. Darf es das? Das Verfassungsgericht sagt ja - der Fall geht weiter.

H. Holzhaider

Es gibt nicht viele Verbrechen, die solches Entsetzen und solche Ratlosigkeit auslösen wie dieses: Ein 19-Jähriger erschießt, gemeinsam mit einem gleichaltrigen Freund, seinen Vater, seine Mutter und seine beiden älteren Schwestern. Eine scheinbar heile Familie in der schwäbischen Kleinstadt Eislingen, gehobener Mittelstand, nichts deutete auf eine Zerrüttung hin, die eine so entsetzliche Tat auslösen könnte.

Am Montag begann vor dem Landgericht in Ulm der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Täter. Das Medieninteresse ist erwartungsgemäß groß: Man möchte wissen, was da passiert ist, was in den Köpfen und in den Seelen dieser beiden jungen Männer vor sich gegangen ist. Der Gerichtssaal, in dem die 6. Große Jugendkammer unter dem Vorsitzenden Richter Gerd Gugenhan verhandelt, hat etwa 80 Sitzplätze, es wäre genug Platz für alle Berichterstatter.

Aber die meisten dieser Plätze bleiben leer. Nur neun Medienvertretern hat der Vorsitzende gestattet, den Prozess zu beobachten. Die Nachrichtenagentur dpa darf hinein, AP und ddp müssen draußenbleiben. Die Stuttgarter Nachrichten dürfen berichten, die Stuttgarter Zeitung nicht. Die Redakteure des Spiegel und des Stern werden eingelassen, die Süddeutsche Zeitung bleibt ebenso ausgesperrt wie die Frankfurter Allgemeine und die Bild-Zeitung. Die ARD, vertreten durch den SWR, ist drin, das ZDF nicht.

Ein Skandal mit höchstrichterlichem Segen

Eine Farce? Ein skandalöser Verstoß gegen die Pressefreiheit? Man kann es so sehen, aber wenn, dann ist es ein Skandal mit höchstrichterlichem Segen. Das Bundesverfassungsgericht hat Beschwerden der Nachrichtenagentur AP und der Süddeutschen Zeitung gegen die äußerst ungewöhnliche Pressepolitik des Vorsitzenden Richters Gugenhan wegen "mangelnder Erfolgsaussicht" nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) schreibt vor, dass Verhandlungen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren, grundsätzlich nicht öffentlich stattfinden. Andreas H. und Frederik B., die mutmaßlichen Täter von Eislingen, waren aber schon 18, als sie die tödlichen Schüsse abgaben. Trotzdem richtet sich das Verfahren nach dem JGG - die Staatsanwaltschaft hat nämlich mit den Morden auch noch mehrere Einbruchdiebstähle angeklagt, und die fallen teilweise in eine Zeit, als die Angeklagten noch jugendlich waren.

In Anbetracht dieser Umstände und des öffentlichen Aufsehens entschloss sich Richter Gugenhan, Journalisten zur eigentlich nicht öffentlichen Verhandlung zuzulassen - aber nur einige wenige. Warum ausgerechnet neun, das bleibt sein Geheimnis. Warum nicht 15 oder 25? Ein sachlicher Grund ist dafür nicht erkennbar.

Gugenhan teilte die sich bewerbenden Journalisten in drei Gruppen - regionale Printmedien, überregionale Printmedien und Agenturen, Rundfunk- und Fernsehanstalten - und ließ durch den Pressesprecher des Landgerichts aus jeder Gruppe drei Teilnehmer auslosen. Die anderen hatten eben Pech gehabt.

"Entweder alle oder keiner"

Natürlich hagelte es Protest. "Entweder muss man alle zulassen oder keinen", sagt AP-Chefredakteur Peter M. Gehrig. "Auf dem hart umkämpften Agenturmarkt bedeutet dieses Verfahren eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung." Die Verfassungsbeschwerden von AP und Süddeutscher Zeitung blieben gleichwohl ohne Erfolg.

Aus "jugendpädagogischen Gründen und letztlich auch zur Wahrheitsfindung" sei im Jugendgerichtsverfahren eine "jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre" zu schaffen, die auch eine "zahlenmäßige Beschränkung ausnahmsweise zugelassener Pressekorrespondenten" rechtfertige, heißt es in der Begründung.

Der Fall ist aber noch nicht erledigt. Eine Verfassungsbeschwerde von ddp wurde zwar auch abgewiesen, aber nur, weil die Agentur den Rechtsweg - Beschwerde beim Landgericht - nicht ausgeschöpft hatte. "Unser Argument, dass das Losverfahren eine unzumutbare Ungleichbehandlung gleichwertiger Konkurrenten darstellt, hat das Verfassungsgericht indirekt als durchaus erfolgversprechend bezeichnet", sagt ddp-Chefredakteur Joachim Widmann. Er will jetzt den Rechtsweg nachholen und dann noch einmal nach Karlsruhe ziehen.

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