Verschüttete Bergleute in Chile:"Ich bin in der Mine und kann nicht entkommen"

Schlafstörungen, Albträume, Depressionen: Zwei Jahre ist es her, dass in Chile 33 Bergarbeiter aus einem 700 Meter tiefen Schacht geborgen wurden. Nach ihrer Rettung waren die chilenischen Kumpel Helden. Heute sind sie Opfer.

Peter Burghardt, Buenos Aires

In Südamerikas Winter 2010 nahm ein Mann 700 Meter unter der Erde ein Stück kariertes Papier und einen roten Stift. "Es geht uns gut in dem Schutzraum - die 33", schrieb José Ojeda im fahlen Schein seiner Bergarbeiterlampe. Am 5. August 2010 waren Ojeda und 32 Kollegen in der Kupfermine San José im chilenischen Norden verschüttet worden. Als sie hörten, dass über ihnen gebohrt wurde, verfasste er das Lebenszeichen.

Am 22. August wurde der Zettel durch eine Sonde in die Atacama-Wüste hinauf geschickt. Chiles Präsident Sebastián Piñera verlas die Botschaft vor Kameras, es folgte die meist gesehene Rettungsaktion der Geschichte. Nach 69 Tagen, am 13. Oktober 2010, wurde Ojeda in der raumschiffartigen Kapsel Fénix 2 durch den schmalen Schacht gezogen. 12 Minuten und 13 Sekunden dauerte seine Rückkehr ans Licht. Jetzt, zwei Jahre danach, geht es ihm weniger gut.

Kürzlich wurde das zweite Jubiläum der Befreiung begangen, doch der Autor aus der Tiefe hat sich in eine psychiatrische Klinik in Santiago de Chile einweisen lassen. Er leidet unter Schlafstörungen und Depressionen, besonders schlimm seien diese Jahrestage. "Da kommen alle Erinnerungen an das Bergwerk zurück", sagte José Ojeda der Zeitung El Mercurio. "Das hat sich wie mit Feuer eingebrannt. Ich schlief täglich 20 Minuten, manchmal vier Stunden. Jetzt, mit den Tabletten, schlafe ich von 22.30 bis um sieben Uhr. Aber wenn die Tabletten nicht wirken, dann beginnen dieselben Albträume. Ich bin in der Mine und kann von dort nicht entkommen."

Posttraumatischer Stress nennt sich das Symptom. "Das war eine extreme und sehr intensive Erfahrung", erläutert der Psychiater Rodrigo Gillibrand, der Ojeda und andere behandelt. Unten plagte sie die Angst vor dem Tod. 17 Tage lang lebten die Eingeschlossenen von ein paar Löffeln Thunfisch aus den Dosen der Notration, ein bisschen Milch, modrigem Wasser und vager Hoffnung. José Ojeda, heute 48 Jahre alt, hatte schon in dieser Höhle Probleme einzuschlafen. "Ich blieb 24 Stunden wach, schlief 20 Minuten und war wieder auf den Beinen. Ich lief herum und suchte etwas, Lärm oder irgendwas." Oben wurde es dann mit einem Mal hell und laut, es wartete die Weltpresse. Wer hält das aus?

Elvis Presley aus der Mine

Interviews, Reisen. Disneyland, Hollywood, Akropolis. Da kam die Seele kaum mit. Zu den tragischen Beispielen zählt auch Edison Peña, der im Untergrund gejoggt war und gesungen hatte. Den Elvis Presley aus der Mine gab er nachher sogar in David Lettermans US-Show, besuchte Graceland und quälte sich durch den New- York-Marathon. Bald machte die Meldung von seinem Zusammenbruch die Runde.

Der Läufer und Sänger soff und nahm Drogen und landete zum Entzug in einem Hospital. "Der andere Peña war nur eine Marionette von was weiß ich, der Medien", sagte er im September 2011. "Er fuhr in einem Fahrzeug, das nur das Gaspedal kannte. Der andere ist wie ein Gorilla, bei allem Respekt vor Gorillas. Ohne Verstand, ohne Horizont, ohne Grenzen." Es sei wie ein Kampf zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Schnell wurde es still um Edison Peña und die anderen.

Wer vor einem Jahr nach Copiapó fuhr, wo viele der Kumpel wohnen, der traf auf offenbar Gesunde wie Osmán Araya, halbwegs Fidele wie Omar Reygadas und ziemlich Angeschlagene wie den traurigen Bolivianer Carlos Mamani. Manche haben Jobs, einige sogar wieder in Minen, viele sind arbeitslos. Gemeinsam wollen sie Devotionalien unter dem Titel "Die 33 des Wunders" verkaufen. Schichtführer Luis Urzúa wurde von Papst Benedikt XVI. zum "Jahr des Glaubens" in den Vatikan eingeladen. Beim zweiten Fest im Präsidentenpalast La Moneda kamen nur drei von 33 zu dem ebenso PR-freudigen wie unbeliebten und politisch erfolglosen Staatschef Piñera, unter ihnen der überdrehte Entertainer Mario Sepúlveda.

Die meisten der ehemals Gefeierten wollen nichts mehr wissen von den Mächtigen, unter deren Ägide das Sterben in den Minen weitergeht wie zuvor. José Ojedas Schriftstück lagert in einem Safe.

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