Vermisste Passagiere:Kreuzfahrt ins Ungewisse

Auf der "Queen Elizabeth 2" ist vor vier Wochen eine Hamburgerin verschwunden - einer von vielen ungeklärten Fällen.

Tanja Rest

Ein Bademeister hält es für denkbar, "dass Ihre liebe Mutter im Swimmingpool verunglückt ist" und schlägt vor, die Ansaugrohre zu überprüfen. Eine Frau rät zur Lektüre von Hera Linds "Mord an Bord" - "vielleicht finden Sie darin eine denkbare Lösung".

Kreuzfahrt Vermisste Queen Elizabeth Reise Kriminalfälle

Die "Queen Elizabeth 2" ist eines der größten und schnellsten Passagierschiffe der Welt

(Foto: Foto: AFP)

Auch eine Passagierin hat sich gemeldet auf der Website der Hamburger Familie L. Sie könne einfach nicht verstehen, "warum sie an Bord keine Fotos aufgehängt haben - dann hätten sich die Leute doch daran erinnert, ob sie Ihre Mutter noch gesehen haben". Sie selbst habe auf einem anderen Deck gewohnt, an jenem Tag also leider nichts beobachtet.

Es war der 30. Dezember 2006, und an Bord des Kreuzfahrtschiffs Queen Elizabeth 2 wollte Sabine L. den Morgen mit einem Bad im Pool beginnen.

Nie vom Casino zurückgekommen

In aller Frühe stand sie auf Deck 5 also auf, ließ ihren Mann schlafen und verließ die Kabine 5167. Das ist das Letzte, was man von der 62-jährigen Hamburgerin noch mit einiger Sicherheit weiß, denn seither ist sie verschwunden.

Oder Christopher Paul Caldwell, 36: Am 23. Juli 2004 wollte er im Casino noch weiterspielen, während seine Verlobte zu Bett ging. Er verschwand spurlos.

Die Erklärung liegt nahe, dass die meisten Vermissten über die Reling gefallen sind, zumal einige von ihnen Alkohol getrunken hatten. Es gibt aber auch Fälle wie den der 37-jährigen Amerikanerin Annette Mizener.

Sie verschwand in der Nacht des 4. Dezember 2004 vom Luxusliner The Pride; getrunken hatte sie gar nichts. Gefunden wurde ihre Geldbörse, an der allerdings die Perlen fehlten. Später stellten die Ermittler fest, dass eine Überwachungskamera der Pride mit einem Karton abgedeckt worden war.

Ideale Bedingungen für Verbrechen

Die Kreuzfahrtindustrie hat darauf hingewiesen, dass es auf ihren Schiffen mit jährlich knapp 15 Millionen Passagieren viel weniger Kriminalfälle gebe als anderswo.

Allerdings gibt es dort auch keine Polizei im üblichen Sinne, obwohl die Bedingungen für Verbrechen geradezu ideal sind: Wohlhabende Menschen im Zustand der Sorglosigkeit bewohnen einen gewaltigen und extrem unübersichtlichen Mikrokosmos, der von Kameras nie ganz abgefilmt werden kann.

Die Queen Elizabeth 2, auf der Sabine L. durch den Atlantik kreuzte, ist ein vielstöckiger, 294 Meter langer Koloss, der etwa dreitausend Menschen Platz bietet.

Der Londoner Guardian zitierte vergangene Woche den US-Abgeordneten Christopher Says, der sich mit dem Thema beschäftigt hat: "Ein Kreuzfahrtschiff ist wie eine kleine Stadt. Aber dort kennen die Einwohner das Risiko - und keiner geht in einer Stadt über Bord, ohne dass man jemals wieder von ihm hört." Eine Kreuzfahrt sei der "perfekte Weg, um das perfekte Verbrechen zu verüben".

Kritik an Reederei

Familie L. hat indes die Reaktionen der Crew und der in Southampton ansässigen Reederei Cunard kritisiert. Der Kapitän habe sich nach dem Verschwinden von Sabine L. nicht blicken lassen - "nach wie vor besteht der Eindruck, dass die Reederei weniger an einer Klärung als an einer ,Beruhigung" der Angelegenheit gelegen ist", sagt Sven-Oliver Spethmann, der Anwalt der Familie.

"Aus den persönlichen und familiären Lebensumständen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, die für einen Freitod sprechen könnten", so Spethmann. "Die Familie hält einen Unfall wie auch ein Verbrechen für am wahrscheinlichsten."

Familie L. hat inzwischen eine Seite im Internet eingerichtet (www.qe2missing.de). Sabine L. sei "sportlich und bei guter Gesundheit gewesen", heißt es da.

Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens habe sich das Schiff zwischen Madeira und Southampton in portugiesischen oder internationalen Gewässern befunden. Nun suche man nach Zeugen, die die Mutter noch gesehen haben.

Elf Beiträge sind bisher eingegangen, in den meisten Fällen Beileidsbekundungen. "Es gibt keinen Hinweis auf ihren Verbleib", schreiben die verzweifelten Angehörigen.

In drei Jahren 24 Verschollene

Bei aller "Traumschiff"-Idylle, die man gerade in Deutschland mit einer Kreuzfahrt verbinden mag: Vermisstenfälle auf hoher See sind gar nicht so selten. Allein zwischen Januar 2003 und März 2006, heißt es in einem Bericht für den US-Kongress, gingen auf Luxuslinern mindestens 24 Passagiere spurlos verloren. Seither kamen nochmals gut ein Dutzend Vermisstenfälle hinzu.

Die Leidensgeschichten der betroffenen Familien sind auf der Internet-Plattform internationalcruisevictims.org dokumentiert: die Geschichte des 22-jährigen James Christopher Scavone zum Beispiel, der in der Nacht des 5. Juli 1999 in der Borddisko zu seinen Freunden sagte, er wolle schnell auf die Toilette gehen - und nie wieder gesehen wurde.

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