Vergewaltigungsvorwurf gegen Lehrer:"Von vorne bis hinten erfunden"

Es stand die Aussage einer jungen, weinenden Frau gegen die eines leicht aufbrausenden Mannes, der zu viel trank. Das Gericht glaubte dem vermeintlichen Opfer - und verurteilte den Lehrer Horst A. 2002 wegen Vergewaltigung zu einer Gefängnisstrafe. Doch die Richter saßen offenbar einer notorischen Lügnerin auf.

Marc Widmann

Sein Leben werde sich jetzt "um 360 Grad ändern", hofft Horst A., er werde nicht länger durch die Hölle gehen. Fünf Jahre lang saß der Biologielehrer im Gefängnis, weil er eine Kollegin vergewaltigt haben soll, damals in der großen Pause im August 2002.

Lehrer vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen

Horst A. (rechts) stellt sich nach dem Freispruch den Fragen der Journalisten: Fünf Jahre saß der Biologielehrer im Gefängnis - verurteilt für die vermeintliche Vergewaltigung einer Kollegin.

(Foto: dapd)

Er habe sie im Biologie-Vorbereitungsraum der Schule im hessischen Reichelsheim missbraucht, so erzählte es die damals 36-jährige Heidi K. Die Richter am Darmstädter Landgericht glaubten ihr. Sie glaubten dieser jungen, weinenden Frau und nicht dem sechs Jahre älteren, leicht aufbrausenden Mann, der zu viel trank.

Es war offenbar ein Fehlurteil.

Jetzt, zehn Jahre nach der angeblichen Tat, wird Horst A. entschädigt. Er bekommt 20 Euro für jeden Tag, den er zu Unrecht hinter Gittern saß, 38.000 Euro insgesamt. Das Kasseler Landgericht hat ihn freigesprochen wegen erwiesener Unschuld.

Die Richter glauben, dass Heidi K. die Tat "von vorne bis hinten erfunden hat". Sie habe Lügen gezielt eingesetzt, "um berufliche Vorteile zu erzielen". Womöglich hatte sie es schlicht auf den Posten des Kollegen abgesehen. Im neuen Prozess kam heraus, dass die ehrgeizige Pädagogin ziemlich oft log in ihrem Leben, dass sie "die aberwitzigsten Geschichten erzählte", wie der Richter sagte.

Nur rechnete sie wohl nicht mit Anwälten wie Hartmut Lierow. Er erfuhr über seine Schwester von dem eigentlich längst abgeschlossenen Fall, sie ist Frauenbeauftragte für Lehrkräfte im Odenwald. Sie kannte Heidi K. und ihr fielen immer mehr Merkwürdigkeiten auf. Der Anwalt ging ihnen nach, er tauchte immer tiefer ein ins Leben von Heidi K. und stieß auf viel Falsches.

Viel Falsches

Die Lehrerin behauptete nicht nur, Horst A. habe sie vergewaltigt. Später erzählte sie auch, sie habe eine Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren, was nicht stimmte. Oder dass sie einen behinderten Freund pflegen müsse, was auch erfunden war.

Dann beschuldigte sie Kollegen, sie hätten sie vergiftet. Der Anwalt sammelte und brachte Horst A. dazu, noch einmal vor Gericht zu ziehen mit den neuen Informationen.

Es gibt keine Zeugen für den angeblichen Vorfall im Biologie-Zimmer, es gibt nur die Aussagen von Heidi K. und ihr seltsames Verhalten. Nach der angeblichen Vergewaltigung ging sie mit Kollegen zum Pizzaessen und angeblich sogar zum Tennisspielen. Einer Amtsärztin, bei der sie zwei Tage später zur Routineuntersuchung war, sagte sie kein Wort.

Am Ende waren die Beweise so dünn, die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit so stark, dass nun selbst der Staatsanwalt auf Freispruch für Horst A. plädierte.

Die Anwältin von Heidi K. hält das Urteil indes "für einen Schlag ins Gesicht jeder vergewaltigten Frau". Alle Lügengeschichten lassen sich für sie damit erklären, dass Heidi K. seit der Tat traumatisiert sei. Sie prüft eine Revision.

Dabei laufen gegen die Lehrerin bereits Ermittlungen - wegen Freiheitsberaubung.

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