Vergewaltigung von Männern in Kriegsgebieten:Die unaussprechliche Katastrophe

Sexuelle Gewalt als Waffe kommt fast überall dort zum Einsatz, wo sich Menschen bekriegen. Opfer sind in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem Frauen - doch auch Männer werden systematisch vergewaltigt. Einer von ihnen ist der Kongolese Charles Kasereka: die Geschichte eines Mannes, der an seinem Martyrium zerbrochen ist.

Arne Perras, Kampala

Sein Leben war voller Musik. Getanzt wurde in Goma ja immer, auch in Zeiten des Krieges. Charles Kasereka besaß ein kleines Studio in der Stadt. Er hat die Songs der Künstler in Ostkongo aufgenommen und auf CDs gebrannt. Er mochte seinen Job. Das war vorher.

Soldaten im Kongo

Sexuelle Gewalt gegen Männer in Krisenregionen ist weit verbreitet, wie neuere Studien aus der Demokratischen Republik Kongo und Liberia zeigen. Der Kongolese Charles Kasereka wurde von Soldaten vergewaltigt. (Im Bild: kongolesische Militärs)

(Foto: AFP)

Jetzt ist nachher. Kasereka, ein Mann mit schwarzer Rappermütze und Rastalocken, sitzt gekrümmt auf einem Gartenstuhl. Den Blick aus seinen rot unterlaufenen Augen hat er fest auf den Boden gerichtet. Er presst die Lippen zusammen. Nicht einmal die Lieder aus der kongolesischen Heimat, die er produzierte, nicht einmal die fröhlichste Musik der Welt könnte ihn wieder aufrichten. Er sagt, er höre gar nicht mehr, wie schön sie ist.

Es will nicht mehr aufhören

Am Tag, als sein voriges Leben erlosch, war alles wie immer. In Ostkongo wütete der Krieg, aber es gab noch immer Menschen, die tanzten zu seinen CDs. An einem Abend im Juni 2006 kam er nach der Arbeit nach Hause, dort wartete seine Frau mit den sechs Kindern auf ihn. Sie freuten sich.

Dann pochte es an der Tür. Draußen standen Soldaten. Kongolesische Armee. Du bist ein Spion, sagte ein Mann in Uniform. So hat es angefangen. Und es will seither nicht mehr aufhören.

Wenn Kasereka darüber redet, dauert es nicht lange, bis er in Tränen ausbricht. Wenn er nicht darüber redet, verfolgen ihn seine Peiniger bis in den Schlaf. Seine Frau wundert sich oft darüber, dass er sich herumwälzt und stöhnt. "Aber sie weiß nichts. Sie darf nichts wissen", sagt der 32-jährige Mann aus der Demokratischen Republik Kongo.

Charles Kasereka heißt in Wahrheit anders. Keiner, der an diesem späten Nachmittag in einem Gartenlokal von Kampala über seine Schmerzen berichtet, möchte seinen Namen preisgeben. Diese Flüchtlinge aus Kongo brechen ein großes Tabu, das schon viele Kriege überdauert hat. Hier sprechen Männer, die von Männern vergewaltigt wurden.

Sexuelle Gewalt ist eine Waffe, die fast überall zum Einsatz kommt, wo sich Menschen bekriegen. So ist das schon seit Jahrhunderten. Es geht den Tätern darum, andere zu erniedrigen und zu zerstören. Hilfsorganisationen aus aller Welt strömen inzwischen herbei, um sich um die Opfer zu kümmern, die internationale Strafjustiz konzentriert sich stärker denn je auf Verbrechen sexueller Gewalt. Doch dabei geht es fast immer um Frauen.

Männer tauchen als Opfer kaum auf, wie die US-Wissenschaftlerin Lara Stemple von der Universität Los Angeles beobachtet hat. Und das, obgleich sexuelle Gewalt gegen Männer ebenfalls weit verbreitet ist, wie neuere Studien aus Kongo und Liberia zeigen.

Männliche Opfer passen nicht ins Schema

"Menschen denken gerne in Stereotypen", sagt die Juristin. Wenn es um Kriege geht, werden Frauen stets als schwach betrachtet, sie sind immer und überall die Opfer. Männer hingegen sind stark und aggressiv und folglich die Täter. Dass auch sie zu Opfern werden können, passt nicht in das Schema. Stemple verweist auch auf die UN-Resolution 1325 aus dem Jahr 2000, die zwar einen besseren Schutz von Frauen in Konfliktzonen einfordert, aber nichts über sexuelle Gewalt gegen Männer zu sagen hat.

So hört man also fast nie von Menschen wie Charles Kasereka. Die Soldaten sperrten ihn damals ins Gefängnis, weil er angeblich für die Rebellen spionierte. Das glaubte die Armee, weil seine Frau eine Tutsi war, so wie viele Kämpfer des damaligen Rebellenchefs Laurent Nkunda. Aber Kasereka beteuerte, dass er mit dem Krieg gar nichts zu tun habe. Seine Welt war doch die Musik, er hatte immerzu die Songs im Kopf, die er produzierte. Und seine Familie.

Unvorstellbare Schmerzen

Aber sie glaubten ihm nicht. So blieb er tagelang gefangen in einer Zelle, zusammengepfercht mit vielen anderen. Am 19. Juni zerrten sie ihn schließlich heraus und warfen ihn alleine in einen anderen Raum. Die Aufseher zogen ihn aus und banden ihm Stricke an die Hände, die sie zu den Wänden spannten. Er musste niederknien und den Kopf senken. Dann kam der Erste. Niemals zuvor hatte er solche Schmerzen verspürt.

Als der Erste fertig war, kam der Zweite. Dann der Dritte. Beim Vierten verlor Charles Kasereka das Bewusstsein. Aber es war noch lange nicht vorbei. Später banden sie ihn immer wieder fest, zwangen ihn in die Hocke.

Einen anderen Kongolesen, Gabriel Ngabu, haben nicht die Armeesoldaten verschleppt, sondern die Rebellen. Sie zerrten den Elektroniker in den Wald und banden ihn an einen Baum, mit fünf weiteren Gefangenen. Der Kommandeur der Truppe war "ein großer Mann mit großem Bauch", erzählt Ngabu mit hastiger Stimme. Wenn er spricht, klingt er stets so, als sei er völlig außer Atem. Der Milizchef gab schließlich den Befehl, die Gefangenen loszubinden. Ngabu musste sich ausziehen und "knien wie ein Muslim". Ihm war erst gar nicht klar, was das sollte. Aber dann kam sein Peiniger von hinten - nach ihm kamen fünf weitere.

Die anderen Gefangenen litten wie er, einer hat den ersten Tag gar nicht überlebt. Gabriel Ngabu blutete stark und konnte nicht mehr laufen. Er kroch nur noch voran. So geschah es mit ihm neun Tage lang. Bis sie ihn einmal in den Wald schickten, um Feuerholz zu holen. Da gelang es ihm zu entkommen.

Zur Scham kommt die Angst

Beide Männer, der Elektroniker und der Musikproduzent, flohen später nach Kampala, die Hauptstadt von Uganda. Dort haben sie Hilfe beim "Refugee Law Project" der Makerere-Universität gefunden. Es gibt nur wenige Initiativen, die sich um männliche Opfer sexueller Gewalt kümmern. Kaum jemand hat damit Erfahrung. Forscher haben Dokumente von mehr als 4000 Nichtregierungsorganisationen untersucht, die sich mit sexueller Gewalt befassen. Nur drei Prozent erwähnen Männer überhaupt als Opfer und das meistens nur flüchtig.

Für die US-Forscherin Stemple ist das alarmierend, denn das Phänomen ist tatsächlich in zahlreichen Konflikt- und Krisengebieten dokumentiert worden, zum Beispiel in Ex-Jugoslawien, Sri Lanka, El Salvador und Chile. Zwar ist das Risiko für Frauen generell höher, dennoch stellen Männer, wie Temple sagt, eine "beachtliche Minderheit" dar, wenn es um Opfer sexueller Gewalt geht.

Gleichgeschlechtlicher Sex steht unter Strafe

Die Amerikanerin hat nun auch historische Nachforschungen begonnen und sagt, dass Belege für derartige Folter an Männern sehr weit zurückreichten. Im antiken Griechenland und Persien habe es dies schon gegeben und auch während der Kreuzzüge.

Die Uganderin Salome Atim hat schon sehr viele männliche Opfer in Kampala betreut, Kriegsflüchtlinge oder frühere politische Gefangene aus autoritären Staaten. Immer dauert es sehr lange, bis diese Menschen ihre Leiden überhaupt offenbaren: "Wenn sie das erste Mal kommen, sagen sie oft, sie hätten so ein seltsames Kopfweh." Manchmal dauert es dann Wochen oder Monate, bis sie erzählen. "Ein afrikanischer Mann muss stark sein, das wird von ihm erwartet", sagt Atim.

Und was alles noch schwieriger macht, ist die Angst, hier als Homosexueller verfolgt zu werden. In vielen Staaten des Kontinents steht gleichgeschlechtlicher Sex unter Strafe. Das verstärkt die Furcht und die Einsamkeit und führt dazu, dass sich manche Opfer nicht einmal ins Krankenhaus wagen, selbst wenn sie schwerste Verletzungen haben.

Gabriel Ngabu, ein baumlanger Kerl mit tief eingefallenen Augen, kann bis heute nicht begreifen, was ihm 2008 widerfahren ist. "Warum haben sie das gemacht? Manchmal denke ich, der Kommandeur war ein Hexer, vielleicht sollte ihm das alles Kraft geben." Einen anderen Grund kann er nicht finden. "Wir haben doch gar nichts getan."

Gebrochene Männer

Charles Kasereka, der Musikproduzent, sagt sehr leise: "Ich weiß gar nicht, ob ich noch ein Mann bin." Sex mit seiner Frau kann er nicht mehr haben, und weil er ihr nichts erzählt und so seltsam geworden ist, steht seine Beziehung kurz davor zu zerbrechen. Vielleicht auch, weil er nicht mehr arbeitet und kein Geld für die Familie verdient. "Ich kann nichts tun", sagt er. "Es geht nicht." Seine Frau muss alles alleine schaffen, als Flüchtling in einem fremden Land kann sie von Glück reden, wenn sie genug verdient, um die Kinder zu ernähren.

Zur psychischen Last kommen die schweren physischen Verletzungen. Oft müssen die Betroffenen operiert werden. So ist es auch bei Gabriel Ngabu, der drei Jahre nach der Attacke immer noch blutet. Lange kann er nicht sitzen, und wie soll er unter Leute gehen, wenn es immer wieder passiert? Er muss zu einem Chirurgen, das Refugee-Law-Projekt könnte ihm dabei helfen, aber noch sagt Gabriel Ngabu: "Ich kann das nicht. Ich habe so viel Angst."

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