Verbrechensserie:Getötet, vergiftet, ausgeraubt

Ermittlungen gegen Pflegehilfskraft wegen Mordes

Die Polizei sucht nach weiteren Angehörigen, für die Wolsztajn arbeitete.

(Foto: dpa)
  • Die Verdachtsfälle um einen Hilfspfleger, der Pflegebedürftige vergiftet, getötet und ausgeraubt haben soll, werden immer mehr.
  • Aus ganz Deutschland melden sich inzwischen Betroffene; insgesamt wird jetzt in sieben Todesfällen ermittelt.
  • Der mutmaßliche Mörder Grzegorz Stanislaw Wolsztajn sitzt derweil in Untersuchungshaft.

Von Thomas Schmidt

Das Ausmaß dieses Falls wird Tag für Tag größer. Ein Hilfspfleger aus Polen, 36 Jahre alt, soll mehrere alte, wehrlose Menschen mit Insulininjektionen vergiftet, getötet und ausgeraubt haben. So lautet der Verdacht der Münchner Mordkommission - und täglich kommen neue Verdachtsfälle aus ganz Deutschland hinzu. Während der mutmaßliche Mörder Grzegorz Stanislaw Wolsztajn in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Stadelheim sitzt und zu allen Vorwürfen schweigt, melden sich mehr und mehr Angehörige von Pflegebedürftigen bei der Polizei. Sie berichten, Wolsztajn habe sich für ein paar wenige Tage um ihren Vater, ihren Großvater, ihre Mutter oder Großmutter kümmern sollen, er habe sich dabei unangemessen verhalten, sei aggressiv geworden. Oft entließen sie ihn nach kurzer Zeit, manchmal verschwand er einfach. Auffällig oft sollen die alten Menschen nach ein paar Tagen seiner "Pflege" ins Krankenhaus gebracht worden sein. Einige überlebten. Andere starben.

Bis Donnerstagnachmittag summierte sich die Zahl der Todesfälle, die Ermittler mit Wolsztajn in Zusammenhang bringen, auf sieben. Niemand vermag derzeit zu sagen, wie lang diese Todesliste am Ende sein wird. Allein im Juli 2017 starben drei pflegebedürftige Menschen, nachdem Wolsztajn sie betreut hatte. Offiziell spricht die Münchner Polizei umständlich von einem "unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Tatverdächtigen". Soweit bekannt, wohnte Wolsztajn immer bei den alten Menschen, die er betreute. Die drei mutmaßlichen Opfer aus dem Sommer 2017 stammten aus Hannover und den Landkreisen Tuttlingen in Baden-Württemberg sowie Forchheim in Oberfranken. Ein weiteres mutmaßliches Opfer starb im Januar 2018 im Landkreis Kitzingen.

Die Spur des Pflegers, der über Vermittlungsagenturen aus Polen und der Slowakei kurzfristige Anstellungen in Deutschland fand, führt quer durch die Republik. Das Polizeipräsidium Mainz berichtet von einem Diebstahl aus dem Jahr 2017: Wolsztajn sei zu diesem Zeitpunkt als Pflegekraft im Kreis Mainz-Bingen beschäftigt gewesen und "ist nach wenigen Tagen ohne Angaben von Gründen nicht mehr zur Arbeit erschienen". Schnell geriet der 36-Jährige in Verdacht, seine Pflegeperson bestohlen zu haben. Die Mainzer Ermittler suchten nach Wolsztajn in polizeilichen Fahndungssystemen - offenbar erfolglos. Wenige Tage später starb der alte Mensch, den er betreut hatte.

Warum flog er nicht auf? Gelegenheiten hätte es genug gegeben

Wolsztajn konnte offenbar jahrelang unbehelligt seiner Arbeit als Hilfspfleger nachgehen und mutmaßlich zahlreiche Straftaten begehen. Dabei gab es, nicht nur in Mainz, durchaus Gelegenheiten, bei denen er hätte auffliegen können. So pflegte er im Mai 2017 einen demenzkranken Rentner in Mülheim an der Ruhr. Bald musste der Senior ins Krankenhaus gebracht werden, da er unter einer extremen Unterzuckerung litt. Zwei Monate später starb er. Seine Tochter wurde misstrauisch. Noch während ihr Vater um sein Leben kämpfte, erstattete sie Anzeige gegen den Pfleger. Sie verdächtigte Wolsztajn, ihrem Vater falsche Medikamente verabreicht zu haben.

Doch der Verdacht der Tochter reichte der Staatsanwaltschaft Duisburg nicht. Obwohl der Vater schwer an Arthrose litt, sei es nicht ausgeschlossen, dass er sich die Überdosis Insulin selbst gespritzt habe. Zudem hätten auch andere Personen Zugang zur Wohnung gehabt. Die Behörde entschied: zu wenig für einen Haftbefehl. Wolsztajn tat, was er in ähnlichen Situationen auch schon tat: Er verschwand. Ein halbes Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Begründung: Man wisse nicht, wo sich der Beschuldigte aufhalte.

Ermittlungen gegen Pflegehilfskraft wegen Mordes

Die bisher bekannten Aufenthaltsorte des Hilfspflegers Gregorz Stanislaw Wolsztajn in Deutschland.

(Foto: dpa)

Wolsztajn machte offenbar ungerührt weiter. Es dauerte bis zum Februar 2018, bis er aufflog. Am Rosenmontag griff er zum Telefon und wählte selbst den Notruf. Der Rentner, den er betreue, liege tot in dessen Bett, sagte er. Bei der Obduktion der Leiche aus Ottobrunn fanden Gerichtsmediziner mehrere Einstichstellen wie von Injektionsnadeln und stellten einen extrem niedrigen Blutzuckerwert fest, obwohl der 87-Jährige gar kein Diabetiker war.

Der Haftbefehl lautet auf Mord und Raub mit Todesfolge

Polizisten durchsuchten die Habseligkeiten des Pflegers und fanden zwei EC-Karten des gestorbenen Rentners samt Pin-Nummern und 1210 Euro in bar. Außerdem hatte er einen Insulin-Pen dabei und mehrere Ampullen des Medikaments. Später gab Wolsztajn bei seiner Vernehmung zu, dem Rentner mindestens zweimal Insulin verabreicht und später bestohlen zu haben. Die Münchner Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl wegen Mordes und Raubes mit Todesfolge, seitdem sitzt der 36-Jährige im Gefängnis.

Von Anfang an befürchteten die Münchner Mordermittler, dass sie es mit einem mutmaßlichen Serientäter zu tun haben. Deswegen rang sich die Staatsanwaltschaft zu einer Öffentlichkeitsfahndung durch, verbreitete Foto und Name des Pflegers. Seitdem sind bei der Münchner Polizei insgesamt 35 "substantiell hilfreiche Hinweise" eingegangen, wie es heißt - vom Breisgau bis Berlin, von Kassel bis in den Landkreis Verden in der Nähe von Bremen. Und jeden Tag werden es mehr.

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