USA:Neue Axtsamkeit

USA: Sein Sport hat nichts mit Schädelspalterei zu tun: ein Trainer im "Urban Axes" in Philadelphia.

Sein Sport hat nichts mit Schädelspalterei zu tun: ein Trainer im "Urban Axes" in Philadelphia.

(Foto: Jon Vincent Ragay)

Nach der Lumberjack-Mode erreicht nun auch das Arbeitsgerät der Holzfäller die Innenstädte. Das "Urban Axes" ist der erste Axtwurf-Klub der USA.

Von Stefan Wagner, Philadelphia

Es ist dieses "Tschock". Das dumpfe Geräusch, mit dem die Axt in die Kieferholzfläche eindringt. "Das Geräusch hat etwas zutiefst Befriedigendes, Beglückendes", sagt Amy Henderson, 38, und zieht ihr Beil mit einem Ruck aus der Zielscheibe. "Vom Gefühl her das genaue Gegenteil des nervigen Ping-Tons, der anzeigt, dass eine Mail auf dem Smartphone angekommen ist." Restaurantmanagerin Henderson steht in einem Drahtgitterkäfig in einer ehemaligen Lagerhalle in Philadelphia, US-Bundesstaat Pennsylvania. Neben ihr zischen Beile durch die Luft, auf Tschocks folgen Jubelschreie, untermalt von Metallica, es riecht nach Bier und Holz und Schweiß.

Nach der Lumberjack-Mode erreicht nun auch das Arbeitsgerät der Holzfäller die Innenstädte. Das "Urban Axes" ist der erste Axtwurf-Klub der USA. Seit vergangenem Jahr versuchen sich hippe Großstädter hier daran, Wurfbeile mit Wucht auf Zielscheiben zu schleudern. So wie Darts, nur mit schwerem Gerät. In der Mitte das Bull's Eye gibt fünf Punkte, je weiter vom Zentrum entfernt der Treffer, desto weniger Punkte. Die große Kunst ist es, beim beidarmigen Überkopfwurf überhaupt die Bretterwand zu treffen, geschweige denn die Zielscheibe. Und dann sollte die Axt natürlich im Holz stecken bleiben. Lily Cope, 37, ist ein "Axepert", wie es groß auf ihrem T-Shirt steht, eine Wurftrainerin. "Das hier hat nichts mit Kraft zu tun", sagt sie, "die Technik zählt und die Konzentration auf den Bewegungsablauf." Sie freut sich diebisch, wenn ein 100-Kilo-Mann mit Bart und Holzfällerhemd siegesgewiss ankommt, und nach zwei Stunden Werfens weniger Punkte hat als die zierliche Frau neben ihm. "Manche wollen sein wie Mel Gibson in 'Der Patriot'. Sie erinnern sich? Die Szene, in der er einem Gegner mit dem Tomahawk aus zehn Metern Entfernung den Schädel spaltet?" Lily schüttelt ihr blondes Haar. "Wer Hollywood im Kopf hat, kommt nicht weit. Axtwerfen ist eher so wie Golfen: Maß nehmen, fließende Bewegung, Durchschwung, Tschock."

In den vergangenen beiden Jahren haben knapp 40 "urban axe-throwing clubs" in Nordamerika aufgemacht, die meisten davon in Kanada, nun erfasst die Welle die USA und auch in Großbritannien starteten die ersten Klubs. Die Wurfkäfige (es treten immer zwei Werfer gegeneinander an) sind Monate im Voraus reserviert. Coole Location, hippe Trainer, Bier, Snacks, gitarrenlastige Musik und junge Gäste mit Tattoos, Vollbärten und Baseballmützen. Erst vor wenigen Monaten gründeten Fans den Weltverband für den Sport, Ligen für Freizeitwerfer entstehen, die ersten Hersteller springen auf und stellen ergonomisch geformte Äxte und Schleifwerkzeug her.

Bei aller spaßigen Beilschleuderei wird verdrängt, dass es sich bei Wurfäxten eigentlich um Mordwaffen handelt. Die in der Merowingerzeit von den Franken verwendete Axt "Franziska" war eines der todbringendsten Kriegsgeräte des Mittelalters. Immer wieder zeigt die Gefährlichkeit der Wurfwaffe auch heute noch. Vergangenes Jahr wollte ein Moderator des TV-Senders Fox bei einem Dreh in New York den neuen Trendsport vorführen. Vor laufender Kamera warf er eine Axt auf die mehrere Quadratmeter große Bretterwand, verfehlte sie klar und traf einen hinter der Wand stehenden Trommler einer Blaskapelle mit dem Axtschaft am Ellbogen. Anschließender Kommentar des Trommlers: "Glück gehabt. Ein lausiger Werfer."

Vom Zeitvertreib gelangweilter Holzfäller in abgelegenen Waldgegenden zum "next big thing" scheint es nur ein kleiner Schritt zu sein. Der Russe Alex Reverse, 28, hat vor einem Jahr in Montreal mit "Rage Axe Throwing" einen der größten Klubs eröffnet. Nun sondiert er Möglichkeiten, nach Europa zu expandieren. "Axtwerfen hat alles", sagt er, "die Leute können ihren inneren Wikinger rauslassen, gleichzeitig ist es ungefährlich, meditativ und hundertprozentig anti-digital", sagt er. Er zeigt auf eine zersplitterte Zielscheibe: "Städter sehnen sich danach, irgendwas mit ihren Händen zu machen, das ein Ergebnis hinterlässt." Beilwerfen als Axtsamkeitsübung, sozusagen.

Als Amy Henderson vor ein paar Wochen in eine Polizeikontrolle geriet, bat der Beamte sie ihren Kofferraum zu öffnen. Darin: drei sorgfältig in Tücher eingewickelte Wurfäxte. Als sie dem Polizisten erklärte, dass sie Hobby-Axtwerferin sei, habe der genickt. Er habe schon davon gehört, "sounds cool", wo man das denn genau machen könne? Er wolle das gern mal ausprobieren.

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