USA:Haarsträubend

Haarmineralanalyse im Institut für Elementdiagnostik

Kein Haar gleicht dem anderen. Trotzdem lässt sich eine Probe mit dem Mikroskop nicht einfach einem Verdächtigen zuordnen.

(Foto: Sommer/imago)

Die US-Bundespolizei hat jahrzehntelang eine wissenschaftlich fragwürdige Methode eingesetzt. Auch 32 Todesurteile wurden aufgrund dieser Technik gesprochen - und manche bereits vollstreckt.

Von Nicolas Richter, Washington

Die Fahnder des Federal Bureau of Investigation (FBI), der US-Bundespolizei, sehen sich gern als Elite unter den Ermittlern. In seiner eigenen Wahrnehmung beschäftigt das FBI die fähigsten Polizisten, die penibelsten Wissenschaftler und verfügt über die modernsten Labore. Nun aber stellt sich heraus, dass das FBI gerade dort schlampig, rücksichtslos und unehrlich arbeitete, wo es sich besonders akribisch und faktentreu gab - bei der Analyse von Haaren, die von Tätern stammen sollten. Wie FBI und Justizministerium jetzt zugeben, haben beinahe alle Experten der Einheit für mikroskopische Haaranalysen zwischen den Jahren 1980 und 2000 fehlerhafte Aussagen vor Gericht gemacht.

2500 Kriminalfälle müssen nun überprüft werden: Mord, Totschlag, Vergewaltigung

Von den 28 dort beschäftigten Forensikern sollen 26 die Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse überbewertet und damit die Darstellung der Anklage gestützt haben - zu Lasten der Beschuldigten. 268 Fälle wurden bisher untersucht - von diesen sind offenbar 95 Prozent mit Problemen behaftet. In den meisten geht es um Mord, Totschlag oder Vergewaltigung, wie die Washington Post unter Berufung auf zwei Organisationen berichtet, die den Behörden beim Sichten der Altfälle helfen: den Verbund der Strafverteidiger National Association of Criminal Defense Lawyers sowie das private Innocence Project (Projekt Unschuld). Diesen beiden Organisationen zufolge sind auch 32 Beschuldigte von den unzulänglichen Beweisen betroffen, die zum Tode verurteilt wurden. 14 von ihnen sind bereits hingerichtet worden oder im Gefängnis gestorben.

Insgesamt prüft das FBI 2500 Kriminalfälle, in denen das eigene Labor Haare untersucht und eine Übereinstimmung von den Haaren eines Verdächtigen mit den am Tatort gefundenen Haaren gemeldet hat. In einer Stellungnahme erklärten Bundespolizei und Justizministerium, sie bemühten sich darum, alle Fälle aufzuklären und die Betroffenen zu benachrichtigen.

Nicht jede fehlerhafte Haaranalyse muss zwangsläufig bedeuten, dass der Beschuldigte zu Unrecht verurteilt worden ist. Die Geschworenen haben sich womöglich auch auf andere Beweise gestützt. Doch erschüttert der Skandal abermals die Glaubwürdigkeit einer Strafjustiz, die für ihre drakonischen Strafen so berüchtigt ist wie für die Willkür und Inkompetenz von Ermittlern, Richtern und Geschworenen. Die glücklicheren Beschuldigten können eines Tages immerhin nachweisen, dass sie unschuldig sind, oft haben sie dann bereits ein halbes Leben im Gefängnis verbracht - so etwa die in Berlin geborene Amerikanerin und vermeintliche Mörderin Debra Milke, die jüngst in Arizona freigelassen wurde - nach Jahrzehnten im Todestrakt.

Es ist oft der Initiative von Anwälten oder privaten Organisationen zu verdanken, dass solche Missstände überhaupt untersucht werden. Das Innocence Project etwa haben die Anwälte Peter Neufeld und Barry Scheck gegründet. In den frühen Neunzigern haben sie mithilfe der damals neuen DNA-Analyse angefangen, die Unschuld etlicher zu Unrecht verurteilter Gefangener nachzuweisen. Ihr erster Fall war der eines Lastwagenfahrers aus Long Island, der wegen einer angeblichen Vergewaltigung im Gefängnis saß. Als sie beweisen konnten, dass die DNA des Täters nicht seine war, wurde er freigelassen - nach einem Jahrzehnt in Haft.

In der modernen Forensik werden Haare vor allem benutzt, um den Konsum von Drogen und Betäubungsmitteln nachzuweisen, da sich diese im Haar anreichern. Erbgut lässt sich dann aus Haaren gewinnen, wenn diese mit der Haarwurzel verbunden sind. Der aktuelle Skandal um Haargutachten betrifft jedoch eine Zeit, in der DNA-Analysen nicht möglich oder nicht überall verfügbar waren. Stattdessen legten die Spezialisten Haare, die sie am Tatort gefunden hatten, unter ein Mikroskop und verglichen sie mit denen eines Verdächtigen. Diese Technik war erheblich weniger zuverlässig als vom FBI dargestellt. Tatsächlich ist die Methode wissenschaftlich sogar fragwürdig. Die Forensiker gaukelten den Gerichten ihre Präzision mit irreführenden Statistiken vor. Auf die Geschworenen dürften die vermeintlich wissenschaftlich fundierten Aussagen des FBI großen Eindruck gemacht haben.

"Das über Jahrzehnte angesetzte Programm des FBI für Haaranalysen unter dem Mikroskop war ein Desaster", sagt Peter Neufeld vom Innocence Project. Es reiche nicht, die einzelnen Fälle aufzuarbeiten: "Eine groß angelegte Untersuchung muss klären, warum FBI, Staaten und Gerichte dies zulassen konnten und warum dem nicht schon viel früher ein Ende gesetzt wurde." Tatsächlich liegt in diesem Skandal noch eine zweite Ebene: Im Justizministerium wuchsen schon seit den 1990er-Jahren Zweifel an der Haaranalyse. Die betroffenen Verdächtigen und Verurteilten aber erfuhren das nicht.

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