USA:Das Ende des Königs von Hollywood

USA: Seit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren US-Filmproduzenten Harvey Weinstein (Mitte) im Jahre 2017 wird das Thema sexuelle Belästigung offener diskutiert.

Seit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren US-Filmproduzenten Harvey Weinstein (Mitte) im Jahre 2017 wird das Thema sexuelle Belästigung offener diskutiert.

(Foto: Andres Kudacki/dpa)

Die New Yorker Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Harvey Weinstein erhoben. Der ehemalige Filmproduzent musste eine Million Dollar als Kaution hinterlegen.

Von Johanna Bruckner und Jürgen Schmieder, New York/Los Angeles

Es ist früh am Freitagmorgen, die Sonne ist gerade erst zwischen den Wolkenkratzern Manhattans aufgegangen, doch die Fotografen und Kamerateams sind schon da. Neben ein paar Schaulustigen haben sie sich vor dem Gebäude der New Yorker Polizei positioniert. Dann taucht er auf: Harvey Weinstein, 66, einst einer der mächtigsten Männer Hollywoods, dem im Oktober acht Frauen in einem Zeitungsbericht sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben. Seit dem Artikel in der New York Times ist viel passiert: Weinstein wurde aus seiner Produktionsfirma entlassen, die Oscar-Akademie hat ihn ausgeschlossen, Ehefrau Georgina Chapman hat die Scheidung eingereicht - und immer weitere Frauen haben öffentlich Anschuldigungen erhoben. Seit Donnerstag ermittelt die Polizei bundesweit.

Weinstein, weißes Hemd, hellblauer Pullover, dunkles Sakko, blickt ernst geradeaus, als er am Polizeipräsidium eintrifft. Er spricht mit einem seiner Anwälte, lächelt schief, dann ist er im Gebäude verschwunden. Als er es kurz darauf wieder verlässt, sind seine Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt.

Die Staatsanwaltschaft hat den ehemaligen Filmproduzenten wegen einer Vergewaltigung und einem "kriminellen sexuellen Akt" angeklagt: Der erste Fall reicht in das Jahr 2004 zurück. US-Medien zufolge geht es um die 36-jährige Lucia Evans, die Weinstein vorwirft, sie damals zu Oralsex gezwungen zu haben. Ihre Version der Geschichte hat sie im vergangenen Oktober, kurz nachdem die ersten Vorwürfe gegen den Produzenten laut wurden, dem New Yorker erzählt. Evans, die zu dieser Zeit noch Lucia Stoller hieß, hatte den Produzenten in einem New Yorker Club kennengelernt und ihm ihre Nummer gegeben, obwohl sie die Gerüchte über ihn kannte, wie sie sagt. Danach habe er sie nachts angerufen und sie wiederholt aufgefordert, sich mit ihm zu treffen. Evans lehnte mehrmals ab, sagte schließlich aber einem Casting mit einer weiblichen Agentin zu.

Die Frau sei bei dem Casting dann nicht zugegen gewesen, stattdessen habe sie Weinstein allein angetroffen, so Evans. Nach einem kurzen Gespräch habe er sie zunächst verbal erniedrigt und dann ihren Kopf gegen seinen Penis gedrückt. "Ich habe immer wieder gesagt: 'Ich will das nicht tun, stopp, bitte nicht'", beschrieb Evans den Vorfall: "Ich wollte mich wehren, doch dann habe ich aufgegeben." Weinstein habe danach so getan, als sei überhaupt nichts passiert: "Er zeigte keinerlei Emotion. Für ihn schien das ein ganz normaler Tag zu sein." Im zweiten Fall aus dem Jahr 2013 geht es um Vergewaltigung. Die Identität des mutmaßlichen Opfers ist nicht öffentlich bekannt. Weinstein hat bislang alle Vorwürfe bestritten.

Die Behörden ermitteln seit Monaten gegen Weinstein, in New York, in Los Angeles und in London. Für viele der Übergriffe, die ihm vorgeworfen werden, kann er nicht belangt werden. Weil die mutmaßlichen Taten zu lange zurückliegen und verjährt sind, oder weil die mutmaßlichen Opfer davor zurückschrecken, vor Gericht gegen Weinstein auszusagen. Umso erfreuter zeigten sich jetzt etwa die Schauspielerinnen Rose McGowan und Asia Argento, die Weinstein der Vergewaltigung beschuldigen. "Boom", twitterte Argento angesichts der Nachrichten über die Verhaftung. McGowan erklärte, sie sei zufrieden, aber eher vorsichtig hoffnungsvoll, dass die Justiz in dem Fall funktioniere.

Vom Polizeipräsidium geht es für Weinstein an diesem Freitagmorgen zum wenige Blocks entfernten New York Criminal Court. Als er dort um kurz vor neun in einem schwarzen SUV vorgefahren wird, warten auch hier Fotografen und Kamerateams. Weinstein wird in Handschellen und flankiert von mehreren Polizisten ins Gebäude geführt. Die Kameras halten drauf. "Harvey!", brüllen jetzt die Reporter. Der 66-Jährige ignoriert sie.

Die Presse war da, als sich Weinstein stolz auf den roten Teppichen zeigte. Jetzt dokumentiert sie das Ende des Königs von Hollywood. Ein paar Reporter haben es nicht rechtzeitig vom Polizeirevier vors Gericht geschafft. Ein Kameramann lässt sich hektisch von seiner Assistentin eine Leiter reichen, um einen besseren Blick zu haben. Doch da ist Weinstein längst im Gerichtsgebäude, wo die Anklage gegen ihn verlesen wird. Die Kaution wird auf eine Million Dollar festgesetzt. Weinstein muss in Zukunft ein Ortungsgerät am Körper tragen. Er hat seinen Pass abgegeben und braucht eine Erlaubnis, um die US-Bundesstaaten New York und Connecticut zu verlassen.

"Equal and exact justice to all men of whatever state or persuasion" ist über dem Eingang des Criminal Courts eingraviert. Gleichheit vor dem Gesetz, kein Promi-Bonus für Weinstein - darauf hoffen seine mutmaßlichen Opfer für den anstehenden Prozess.

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