US-Deserteur in Schweden:Auferstanden von den Toten

David A. Hemler steht auf einer "Most Wanted"-Liste der USA - trotzdem führte der Familienvater die vergangenen 28 Jahre in Schweden ein unbeschwertes Leben. Bis zu dem Tag, an dem er sich bei seiner Familie - und der Air Force - meldete.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Wie ein gesuchter Schwerverbrecher sieht David A. Hemler nicht aus. Eher wie ein gestresster Kleinkindvater aus einer schwedischen Kleinstadt. Ein bisschen unrasiert ist er, unter dem V-Ausschnitt seines Pullis lugt ein zerknitterter blauer Hemdkragen hervor. Dem Reporter der Zeitung Dagens Nyheter erzählt er mit Begeisterung von seinen Töchtern. Hemler wirkt wie ein typischer Familienvater aus Schweden. Aber er ist eben auch der Mann, dessen Bild das amerikanische Air Force Office of Special Investigations (AFOSI) im Netz unter der Rubrik "Most Wanted" präsentiert. Und das schon sehr lange.

Die Geschichte begann vor 28 Jahren in Deutschland. Hemler war 21, ein junger Bursche aus Pennsylvania. In der Highschool hatte er bei einem Anwerber ein Formular unterschrieben und sich für mehrere Jahre zum Militärdienst verpflichtet. Aber kurz vor der Einberufung lernte er eine Frau kennen. Sie war Pazifistin. Hemler kam ins Grübeln, über sich, über die amerikanische Außenpolitik. Trotzdem musste er zum Dienst antreten, Unterschrift ist Unterschrift. Man schickte ihn nach Augsburg, zum 6913th Electronic Security Squadron. Der US-Präsident hieß Ronald Reagan, und in Deutschland wurde heftig gegen amerikanische Mittelstreckenraketen demonstriert. Das habe ihn beeindruckt, erinnert sich Hemler. Er grübelte weiter. Im Oktober 1984 verließ er seine Kaserne, setzte sich in einen Zug, fuhr nach Stockholm - und blieb.

Hemler rechnete damals täglich mit Besuch von der Militärpolizei. Aber die kam nie. Stattdessen kam irgendwann der Alltag: Hemler fand Arbeit in einer Imbissbude, er meldete sich in Schweden unter einem falschen Namen an, den er bis heute nicht verraten will. Er studierte, heiratete zweimal, zeugte drei Kinder. Das Jüngste ist gerade in die Krippe gekommen. Doch der heute 49-Jährige vermisste auch seine Eltern und seinen Bruder. Fast täglich las er im Internet amerikanische Todesanzeigen, immer in Angst, den Namen seines Vaters zu entdecken - er wollte ihn so gerne noch einmal sehen und alles beichten.

Vor einigen Wochen fasste er dann einen Entschluss: Er schickte eine E-Mail an AFOSI und gab sich zu erkennen. Dann rief er seinen Bruder in New Jersey an. Seine Familie hatte Hemler für tot gehalten. Aber sie verzieh dem verlorenen Sohn sofort. "Wenn eine geliebte Person von den Toten aufersteht, fühlt man nichts als Glück", sagte Hemlers Bruder der Zeitung

Die US-Behörden reagierten unterdessen weniger gefühlsbetont. Hemler hatte in seiner Mail gefragt, ob man seinen Fall nicht zu den Akten legen könne. Aber eine Sprecherin der Militärbehörde sagte der New York Times, Fahnenflucht verjähre nicht. "Wir wollen diesen Mann immer noch haben." Zu Hause in Schweden ist Hemler vorerst sicher, das Auslieferungsabkommen des Landes mit den USA erstreckt sich nicht auf Deserteure. Nur kann er seine zweite Heimat nicht mehr verlassen, ohne eine Verhaftung fürchten zu müssen. "Aber damit kann ich leben", sagt er.

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