Urteil mit Sprengkraft:Europa lässt es krachen

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Der Gerichtshof in Luxemburg erleichtert die Einfuhr von Böllern nach Deutschland - aber manches bleibt verboten.

Von Wolfgang Janisch

Man hat ja böse Vorahnungen, wenn man hört, die Einfuhr von Feuerwerkskörpern nach Deutschland sei erleichtert worden. Deshalb zuerst die gute Nachricht: Zwar hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen deutscher Behörden beim Böllerimport wegen Behinderung des freien Warenverkehrs als rechtswidrig bezeichnet. Aber die "Polen-Böller", die meist aus China kommen, bleiben in Deutschland trotzdem verboten; das EU-Gericht legalisiert keine Sprengkörper, die zuvor nicht erlaubt waren.

Darüber hinaus aber ist nicht ganz leicht einzuschätzen, welche Konsequenzen das Urteil des EuGH haben wird, das durch ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission ausgelöst wurde. Im Kern geht es um folgendes: Eine EU-Richtlinie garantiert seit Jahren die Warenfreiheit für Böller, genau genommen für solche, die ein sogenanntes CE-Kennzeichen tragen. Dahinter verbirgt sich eine europaweit gültige Zertifizierung, die von autorisierten Prüfstellen vergeben wird - in Deutschland, vielleicht aber auch in Spanien, Polen oder Ungarn. Der Handel mit entsprechend gekennzeichneter Pyrotechnik darf in den EU-Mitgliedsstaaten nicht verboten und nicht einmal behindert werden. Deutschland geht hier aber einen Sonderweg und hat sozusagen ein zweites Sicherheitsnetz gespannt. Bevor die Pyrotechnik in den freien Warenverkehr geht, muss sie beim Bundesamt für Materialforschung angezeigt werden, das dann eine Identifikationsnummer vergibt. Wenn das Amt es für nötig hält, verfügt es zudem Änderungen der Gebrauchsanleitung, damit unmissverständlich klar ist, wie hoch zum Beispiel der Sicherheitsabstand sein muss. Das Ganze kann drei Monate dauern und 300 Euro kosten - erst dann gibt es grünes Licht für den deutschen Markt.

Europarechtlich stellt sich die Frage: Ist das unnötige Bürokratie, die den freien Warenverkehr behindert - typisch deutsch sozusagen? Oder muss man beim Thema Böller, die nun mal meist aus dem Ausland kommen, vorwiegend aus China, nicht sagen: Sicher ist sicher? Nach der einschlägigen Richtlinie ist Deutschland - auch wenn der Warenverkehr nicht behindert werden darf - immerhin für die Marktüberwachung zuständig.

Der EuGH indes zeigt kein Verständnis für ein deutsches Solo bei Knallern, Böllern und Raketen. Die CE-Kennzeichnung ist nach seiner Lesart nun mal das Siegel dafür, dass die Dinger geprüft und sicher sind - da sind Anzeigeverfahren, ID-Nummern und Bearbeitungsgebühren nur Sand im Getriebe des freien Warenverkehrs, der ja schließlich zur DNA der Europäischen Union gehört.

Das Geschäft mit dem Silvesterfeuerwerk ist übrigens recht einträglich. Vergangenes Jahr wurden an den wenigen erlaubten Verkaufstagen 132 Millionen Euro umgesetzt.

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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