Urteil im Kalinka-Prozess erwartet:Ohne Aussicht auf Erlösung

Fast 30 Jahre nach dem Tod des Mädchens Kalinka soll ein französisches Gericht über die Schuld ihres deutschen Stiefvaters entscheiden. Doch wie der Prozess auch ausgehen wird - eine befriedigende Antwort gibt er nicht.

Stefan Ulrich, Paris

Darauf hat der Franzose André Bamberski drei Jahrzehnte gewartet: An diesem Samstag will ein Pariser Schwurgericht das Urteil gegen Dieter Krombach fällen, gegen jenen deutschen Arzt, den er für den Mörder seiner Tochter hält. Der Fall hat längst Rechtsgeschichte geschrieben. Juristen sprechen von einer europäischen Justiztragödie. Rechtsfrieden aber wird auch dieses Urteil nicht schaffen, egal wie es ausfällt.

Urteil im Kalinka-Prozess erwartet: Seit drei Jahrzehnten wartet Andre Bamberski darauf, Dieter Krombach, den für den Mörder seiner Tochter hält, hinter Gittern zu sehen. Am Samstag will ein Pariser Gericht sein Urteil sprechen.

Seit drei Jahrzehnten wartet Andre Bamberski darauf, Dieter Krombach, den für den Mörder seiner Tochter hält, hinter Gittern zu sehen. Am Samstag will ein Pariser Gericht sein Urteil sprechen.

(Foto: AP)

Die Richter und Geschworenen haben sich noch einmal über einen Fall gebeugt, den schon unzählige Juristen und Mediziner geprüft haben. Es geht um den mysteriösen Tod der 14-jährigen Kalinka in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 1982. Die blonde, sportliche Französin lebte damals bei ihrem Stiefvater Krombach am Bodensee. Am Morgen wurde sie tot in ihrem Bett gefunden. Bamberski, heute 74 Jahre alt, ist überzeugt: "Doktor Krombach hat meine Tochter vergewaltigt und umgebracht." Der 76-jährige Angeklagte versichert, er sei unschuldig. Seine Tochter Diana, die Stiefschwester Kalinkas, sagt: "Nach drei Wochen Prozess weiß ich nicht mehr als vorher."

Dabei könnte der Fall längst geklärt sein. An Kalinkas Leiche fanden sich Spuren von Injektionen und eine Verletzung im Genitalbereich. Krombach sagte, er habe seiner Stieftochter abends zur Kräftigung ein Eisenpräparat gespritzt. In der Nacht habe Kalinka um ein Schlafmittel gebeten. Als er das tote Mädchen morgens gefunden habe, habe er es mit Injektionen wiederbeleben wollen.

Die deutschen Gerichtsmediziner fanden damals keine zweifelsfreie Todesursache heraus. Sie veranlassten keine Blutuntersuchung und gingen davon aus, die Verletzung Kalinkas sei entstanden, als sie schon tot war. Die Genitalien, die dem Mädchen entnommen wurden, verschwanden auf ungeklärte Weise. Der Anwalt und Juraprofessor Wolfgang Schomburg, der Krombach mehrmals verteidigt hat, sagt: "Die deutschen Ermittler sind schlampig vorgegangen. Doch das ist nicht Herrn Krombach anzulasten."

Bamberski hingegen fasste rasch Verdacht gegen den Stiefvater seiner Tochter. Er stellte selbst Ermittlungen an und versuchte, Krombach in Deutschland vor Gericht zu bringen. Auch den prominenten Anwalt Rolf Bossi setzte er ein. Vergeblich. Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied in letzter Instanz, die Verdachtsmomente gegen Krombach reichten nicht für einen Prozess aus.

Die "Methode Krombach"

Bamberski versuchte daraufhin, den Deutschen in Frankreich ins Gefängnis zu bringen. Doch die Bundesrepublik lieferte ihn nicht aus. Der Arzt wurde allerdings 1997 wegen Vergewaltigung einer 16 Jahre alten Patientin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Bamberski fühlte sich bestätigt. Im Herbst 2009 ließ er Krombach kidnappen und nach Frankreich verschleppen. Der Arzt wurde dabei schwer verletzt. Die französische Justiz nahm ihn wegen des Falls Kalinka fest. Die Anklage lautet auf Mord.

Im Pariser Justizpalast sagten mehrere Mediziner aus, Kalinka sei an Erbrochenem erstickt. Als mögliche Erklärungen nennen sie, das Mädchen könnte eine zu hohe Dosis Schlafmittel erhalten haben - oder es sei unter Schlafmitteleinsatz missbraucht worden. Auch meinten zwei Experten, Kalinka habe zehn Minuten vor ihrem Tod eine Spritze erhalten. Der Angeklagte bestreitet. Seine Verteidiger sprechen von einem "Wettbewerb der Hypothesen". Bei der Schilderung jener Julinacht verstrickte sich Krombach allerdings in Widersprüche. Die französische Presse geht harsch mit ihm ins Gericht. "Seine Lügen sind heute größer als er selbst", schreibt der Figaro.

Die Ankläger versuchten im Prozess, eine "Methode Krombach" nachzuweisen. Demnach soll der Arzt öfters minderjährige Mädchen betäubt haben, um sich an ihnen zu vergehen. Mehrere Zeuginnen machten erschütternde Aussagen. So warfen ihm zwei Schwestern vor, er habe sie als Jugendliche missbraucht. Der Angeklagte geriet so in ein schlimmes Licht. Nur: Das alles beweist nicht, dass er Kalinka vergewaltigt und ermordet hat.

Auch rechtlich wirft der Fall Fragen auf. Die Bundesregierung und Juristen wie Schomburg verweisen auf den Rechtsgrundsatz, dass niemand zweimal wegen derselben Sache verfolgt werden darf. Da die deutsche Justiz nach eingehender Prüfung der Beweise entschieden habe, Krombach könne kein Prozess gemacht werden, dürfe die französische Justiz ihn nicht mehr richten.

Der Fall zeige, dass es um den gemeinsamen europäischen Rechtsraum genauso schlimm stehe wie um den Euro, bedauert Schomburg. Krombachs Verteidiger kritisieren zudem, die französische Justiz habe den Arzt durch ein schweres Verbrechen - eine Entführung - in ihre Gewalt bekommen. Dies dürfe sie nicht ausnützen. Bamberski, der die Kidnapper beauftragte, wird mittlerweile von Deutschland mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Krombach ist herzkrank und hat Mühe, am Prozess teil zu nehmen. Seine Tochter Diana G. wirft Bamberski vor, er sei "besessen davon", Rache zu üben. Dabei sei ihr Vater unschuldig. Kalinkas Mutter Danielle Gonnin, die erst mit Bamberski und dann mit Krombach verheiratet war, sagte im Gerichtssaal zu dem Angeklagten: "Ich möchte Dir in die Augen sehen und verstehen, was passiert ist." Das Schwurgericht muss nun versuchen, ihr eine Antwort zu geben.

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