Urteil im Fall Susanne F.:Mord für ein bisschen Kleingeld

Mord im Berliner Tiergarten - Verteidigung fordert Freispruch

September 2017: Einsatzkräfte der Polizei und Kriminaltechniker durchsuchen den Berliner Tiergarten nach dem Fund einer Frauenleiche.

(Foto: dpa)
  • Im September vergangenen Jahres ist eine Frau im Berliner Tiergarten überfallen und getötet worden.
  • Nun ist ein 18-Jähriger deswegen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.
  • Der Fall hat damals auch Schlagzeilen gemacht, weil er ein Schlaglicht auf die prekären Zustände im Tiergarten warf.

Von Verena Mayer, Berlin

Ein paar Kerzen und Blumen liegen noch am Rand des schmalen Wegs mitten in Berlin, den Susanne F. im vergangenen September entlang lief. Die Kunsthistorikerin hatte sich mit ihren Freundinnen in einem bekannten Ausflugslokal getroffen. Auf dem Weg zur S-Bahn wurde sie überfallen und erwürgt. Für zwei Euro, ein bisschen Kleingeld, das sie in ihrer Tasche hatte. "Es hätte jeden von uns treffen können", sagt der Vorsitzende Richter, als er am Montag vor dem Berliner Landgericht das Urteil in dem Fall verkündet.

Der 18-jährige Ilyas A. wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Fall hat über Berlin hinaus für Aufsehen gesorgt. Nicht nur wegen des jugendlichen Alters des Angeklagten und der Kaltblütigkeit, mit der er die Frau erst über Minuten lang würgte und dann in einem Gebüsch versteckte, sodass sie Tage lang nicht gefunden wurde. Sondern auch, weil er den Blick auf die Zustände lenkte, die im Berliner Tiergarten herrschen, dem Naherholungsgebiet rund um die Siegessäule. Neben dem Weg und auf den angrenzenden Wiesen lagerten damals Hunderte Leute, Obdachlose, Wanderarbeiter aus Polen, Flüchtlinge, die sich prostituierten. Sie schliefen in Zelten oder auf Parkbänken, ohne dass sich jemand groß um sie kümmerte. Erst in den vergangenen Monaten hat sich das verändert, es gibt jetzt mehr Kontrollen und eine Taskforce von Polizei und Bezirksamt, die Obdachlosen wurden in Unterkünfte vermittelt.

Der Angeklagte überfiel einen frisch Operierten vor der Praxis und einen alten Mann

Auch Ilyas A. trieb sich im Tiergarten herum. Er war mit seinen Eltern und Geschwistern aus Tschetschenien geflüchtet, wo seine Familie Krieg und Gewalt erlebt hatte. Der Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt, die Familie ging daraufhin nach Polen. Ilyas A., damals 15 Jahre alt, blieb alleine in Berlin zurück. Er durchlief sieben Kriseneinrichtungen, landete auf der Straße und begann Menschen zu überfallen, um an Geld zu kommen. Er griff einen frisch Operierten vor einer Arztpraxis an und einen alten Mann vor seiner Haustür. Er kam deswegen in Haft. Als er wieder frei war, tötete er Susanne F. und raubte ihre Tasche und ihr Handy. Die Polizei ortete ihn auf der Flucht zu seiner Familie in Polen, als er das Telefon der Kunsthistorikerin anschaltete.

Ihm gegenüber sitzt im Gerichtssaal Klaus R., der Ehemann von Susanne F. Er wirkt wie ein gebeugter alter Mann, an jedem Prozesstag heftet sein Blick auf dem Angeklagten. So, als könnte er eine Antwort auf die Frage erfahren, warum seine Frau sterben musste. Doch Ilyas A. sagt während der Verhandlung kein einziges Wort, seine Verteidiger behaupten in ihrem Plädoyer, er habe Susanne F. nicht getötet, sondern zufällig ihre Leiche gefunden und die Handtasche an sich genommen. Klaus R. schüttelt nach dem Urteil den Kopf und verlässt das Gericht, in Richtung Tiergarten.

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