Unwetter in den USA:Nach dem Sturm ist vor dem Sturm

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Eine Serie von schweren Wirbelstürmen fordert in den USA mehr als 200 Tote. Seit April sind dort mehr als 600 Tornados gemeldet worden - so viele der todbringenden Wirbelstürme hat es noch in keinem April gegeben.

Reymer Klüver, Washington

Erst am Mittwoch hat der National Weather Service, Amerikas Meteorologischer Dienst, wieder eine Unwetterwarnung für die Nacht zum Donnerstag herausgegeben, eine Warnung der Kategorie "High Risk"- Lebensgefahr. Am Mittag danach gibt es laut CNN mehr als 200 Tote. Eine Serie von schweren Wirbelstürmen hat im Süden der USA eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Tornado über Tuscaloosa: Die Stadt in Alabama wurde bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Tagen von einem Tornado heimgesucht.  (Foto: AP)

Überall in dieser Region von Memphis am Mississippi bis tief nach North Carolina, einen Landstrich von nicht weniger als 800 Kilometern Durchmesser, müssen die Menschen immer wieder mit dem Schlimmsten rechnen: schwerste Gewitterböen, faustgroße Hagelbrocken, Stromausfall, entwurzelte Bäume, Überflutungen. Vor allem aber mit Tornados, den unkalkulierbaren Windhosen, die alljährlich im Frühling und Frühsommer weite Teile des Südens und des Mittleren Westens heimsuchen, Autos und selbst Sattelschlepper wie Spielzeug durch die Luft wirbeln und Gebäude wie Kartenhäuser zerfetzen.

In diesem Jahr indes scheinen sich die Tornados heftiger denn je auszutoben. So viele der todbringenden kleinen Wirbelstürme wie diesmal hat es noch in keinem April gegeben, seitdem diese Wetterkapriolen in den USA statistisch erfasst werden: Mehr als 600 Tornados wurden bisher in diesem Monat gemeldet. Weit mehr als 100 Menschen sind ihnen zum Opfer gefallen. Und dabei werden normalerweise nicht im April, sondern erst im Mai und Juni die meisten Tornados in den Vereinigten Staaten registriert.

Schon in der Nacht zum Dienstag hatte ein Tornado die Kleinstadt Vilona in Arkansas praktisch plattgemacht. Vier Menschen kamen hier ums Leben: Ein Rentnerpaar hatte Zuflucht in einem Lastwagenanhänger gesucht, der von der Windhose erfasst wurde. Zwei weitere starben in ihren Mobile Homes, transportablen Häusern ohne Verankerung im Boden. Über eine Strecke von zwei Kilometern waren entlang der Hauptstraße des Ortes Bäume und Strommasten umgelegt und Häuser völlig zerstört.

Am Wochenende hatte der Flughafen von St. Louis für 24 Stunden seinen Betrieb einstellen müssen, nachdem eine Windhose ein Terminal zerlegt hatte. Erst vorige Woche hatten Dutzende Tornados in North Carolina 21 Menschen getötet, unter ihnen drei Kinder.

Die meisten starben in Mobile Homes. Gerade in den ärmeren ländlichen Regionen zwischen Texas und den Appalachen, dem Gebirgszug parallel zur Atlantikküste, leben viele Menschen in solchen Mobilheimen, die keinen Schutz vor der Naturgewalt bieten. Aber auch viele fest gebaute Häuser in den USA halten Tornados kaum stand, weil sie oft nur aus Holzplatten bestehen. Infolge der Unwetter und der Schneeschmelze in den Rocky Mountains drohen zudem die Flüsse im Mittleren Westen über die Ufer zu treten.

Am Black River im US-Bundesstaat Missouri brachen schon erste Deiche. Praktisch für den gesamten Einzugsbereich der Flüsse Ohio, Missouri und Mississippi wurde Flutwarnung ausgegeben. Der Mississippi könnte Experten zufolge im Mai den höchsten Stand aller Zeiten erreichen.

In den Statistiken des National Weather Service wird bisher der April 1974 als der April mit den meisten Tornados geführt (die Statistiken gehen zurück bis 1950). Damals wurden 267 gezählt. Zwar dürfte die Zahl für dieses Jahr wieder deutlich unter 600 fallen, weil zunächst oft ein und dieselbe Windhose mehrmals gemeldet wird, und die Meteorologen erst im Nachhinein die Schneise der Zerstörung rekonstruieren, den die sogenannten Twister nehmen. Dennoch dürfte der April 2011 klar den neuen Spitzenplatz in der Statistik einnehmen. 22 Bundesstaaten waren bisher betroffen.

Über die Ursache für die Steigerung der Zahl der Tornados herrscht Unklarheit. Fest steht nur, dass seit Beginn der statistischen Erfassung kontinuierlich mehr Windhosen gezählt wurden, von 74 pro Jahr Anfang der fünfziger Jahre zu 163 pro Jahr im vergangenen Jahrzehnt. Die meisten waren relativ kleine Sturmwirbel, die sich rasch wieder auflösten. Dafür könnte es eine einfache Erklärung geben: Die Methoden der Erfassung haben sich in den vergangenen 50 Jahren schlicht verbessert. Es gibt mehr Wetterstationen, es gibt Satelliten, inzwischen hat praktisch jeder Telefon, Handy oder Computer, um einen Tornado zu melden.

"Heute registrieren wir so ungefähr jeden umgeknickten Ast", sagte der Chefkoordinator der Unwetterwarnungen des National Weather Service, Greg Carbin, der New York Times. Auch der Meteorologe und Tornado-Experte Howard Bluestein von der Universität Oklahoma warnt vor Alarmismus: "Was gerade passiert, ist gewiss ungewöhnlich, aber es ist kein Anzeichen dafür, dass die Welt untergeht."

Während Studien den Zusammenhang zwischen Klimawandel und der Zunahme von Intensität und Zahl der Hurrikane in den USA belegen, gibt es eine derartig eindeutige Wechselbeziehung bei den Tornados nicht. Im Gegenteil: Eine Untersuchung von Forschern der Universität von Georgia kommt zu dem Schluss, dass die Erderwärmung langfristig eher die Zahl der Tornados reduzieren dürfte. Eine Tendenz, die indes bisher nicht erkennbar ist.

© SZ vom 28.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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