Unterwegs mit einem Fernfahrer:Drei Quadratmeter Deutschland

Von der Kundschaft gehetzt, von Pkw-Fahrern verflucht, von den Kollegen gemieden und von der Maut bedroht - ein Leben auf der Autobahn.

(SZ vom 25./26.10.2003) A9, Richtung Berlin, im Oktober - Es gibt gute Tage. Tage, an denen er eins ist mit seinem Auto. An solchen Tagen ist Jürgen Koschau glücklich. Über seinem Kopf schaukelt sein Leben. Zahnbürste, Wäsche, eine Schiffsglocke und ein federgeschmückter Geistervertreiber, eine 8-mm-Luger-Patrone, "für den Gnadenschuss", und ein gelbes Wunderbäumchen, für die Raumfrische. Vor ihm die Straße. An guten Tagen ist es eine ohne Überholverbot.

Berufung, kein Beruf

In Momenten wie diesen genügt ihm das Brummen des Diesels. Da braucht er kein Country-Gedudel, keinen Ernest Tubb: "Have you ever been lonely." Natürlich ist er oft allein, aber einsam, einsam nie. An guten Tagen klingen die Geräusche seines Sitzes fast zärtlich. Wenn er aufsteht, springt das Ding erschreckt nach oben, atmet einmal tief aus und sackt dann in sich zusammen. Luftgefederte Seufzer. Wie eine Geliebte. "Lastwagenfahren is keen Beruf, dit is ne Berufung. Die meisten sind da fehl am Platz", sagt Jürgen Koschau.

Sanfte Fahrt voraus

Vor ihm liegt die A9 im Abendlicht. München - Berlin. Höhe Ingolstadt. Normaler Verkehr. In den letzten Tagen hat er Paniermehl nach Volpiano gefahren, Kiwis in Saluzzo geladen, Nektarinen in Vignola, Birnen in Cesena, am Sonntag hat er an einer Rampe bei Anagni seine Wäsche gewaschen, irgendwann Nudeln geholt in San Sepolco, dann Weintrauben aus Bari. Was davor war, wissen nur noch sein Kalender und der Mann von der Abrechnung. Heute fährt er Joghurt. Gesundes aus Bayern tonnenweise für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Fragile Fracht. Da muss man sanft fahren, damit man nicht mit einer halb so hohen Fuhre ankommt. Die Damen in den Lagerhallen sind gnadenlos.

Seinen Laster hat Jürgen Koschau schon lange nicht mehr verlassen. Vor ein paar Wochen war er bei der Schwester in Berlin. Wäsche waschen. Sollte ein freies Wochenende werden, dann ist bei Ingolstadt der Kühler ausgefallen. Und hinten drauf Melonen - warme. Aus dem Wochenende wurde ein Sonntag. "Ick wohn in meen Camion. Bin da zu Hause, wo ick den Motor ausmach." Drei Quadratmeter Lebensraum. Eine Wohnung hat er nicht. Der Sitz ist sein Bett. Manche leben da zu zweit drin. "Die wenigsten haben ne Vorstellung davon, wat wir hier eigentlich machen. Ick hab nach zwee Tajen die Wochenstunden von nem Beamten drin." Draußen dämmert es über dem Nürnberg-Feucht-Schild. Er schaltet. Klingt wie Fingerschnippen.

Interessiert ja auch keinen, was so einer macht. Normalerweise. Außer er zieht vor einem auf die Überholspur. Dann verflucht man ihn. Oder man wohnt an der Autobahn. Dann verjagt man ihn. Oder man ist bei den Grünen. Dann verachtet man ihn. Mehr als 21 Millionen Kilometer fährt die Branche im Jahr. Feinde haben sie genug. "Et jibt nischt Schlimmeret in Deutschland als den Lkw-Fahrer. Wenn man jehasst werden will, sollte man sich diesen Job aussuchen", sagt Jürgen Koschau, schaut runter auf einen Pkw, der links überholt, bevor er vor ihm bremst und rechts abbiegt. "Ick sach immer, ick bin vierzehn Meter weiter vorn und zwee weiter oben." Aber da oben werden sie gehasst, geschimpft, ausgebremst, schikaniert.

Maut ist das kleinste Problem

Nicht so wie in Holland, wo sie Chauffeur heißen, oder in England, wo jeder Porsche bremst, wenn ein Laster blinkt. Für einen wie Jürgen Koschau ist das mit der Maut das kleinste Problem. Weiß ja keiner, dass sie schon seit 1995 zahlen. Acht Euro am Tag. Für alle sechs Eurovignettenstaaten, auch Deutschland. "Wir bezahlen die Autobahn und die anderen stellen mir den Weg zu. Nur zurzeit dürfen wir hier wieder gratis fahrn." Die alte Maut wurde aufgehoben, die neue gibt es noch nicht. Jetzt werden die beim Maut-Betreiber-Konsortium Toll Collect von der Öffentlichkeit noch mehr gehasst als die Fahrer. Das ist neu. Die Probleme bleiben die alten. Denn es gibt auch schlechte Tage. Tage, an denen sie sich gemeinsam durchschleppen. Er und sein Auto, Scania, Turbodiesel, 420 PS. Jürgen Koschau sagt: "So ne Maschine hat doch ooch ne Seele."

Bei seinem früheren Arbeitgeber hat er in sieben Jahren nur eine Woche Urlaub genommen. "Damit keen anderer druffkommt, aufs Auto." Eine Woche. Die haben ihm sofort eine Blessur in den Aufleger gefahren. Jürgen Koschau holt Fotos seiner "Babys" raus. Volvos, Scanias. Das Foto von Ex-Frau und Kindern muss er erst suchen. An schlechten Tagen macht sein Auto traurige Geräusche, wie Menschen, wenn sie sich krank fühlen.

Totale Überwachung

Es sind Tage, an denen alles zusammenkommt: Überholverbot, Stau, Kontrolle, knappe Lieferzeit. "Ick sach immer, een Spaceshuttle braucht 90 Minuten für ne Erdumrundung, ick n bisschen mehr." Und mittendrin Django, der es schon richten wird. Aufgerieben zwischen der Kundschaft, der Firma, trödelnden Pkw-Fahrern, vorgeschriebenen Ruhezeiten und der Müdigkeit, die manchmal über einen kommt, selbst wenn die Scheibe sagt, es geht noch. Überhaupt die Scheibe, diese verfluchte Scheibe, die hinter dem Tacho steckt und aufzeichnet, Geschwindigkeit, Lenkzeit, Ruhezeit. 24 Stunden Totalüberwachung, gnadenlos, ein rundes Folterinstrument. "Elf Stunden Ruhezeit, dann is die Welt in Ordnung", sagt Jürgen Koschau. "Aber schlaf mal bei 45 Grad." Nur einmal umparken, schon ist die vorgeschriebene Ruhezeit dahin. "Dann heißt dit wieder, wir fahrn 56 Stunden am Stück." Von wegen Piraten der Straße. Sie sind Gefangene, Überwachte. Da ist nicht mehr viel übrig von Freiheit und Abenteuer zwischen vorgeschriebenen Ruhezeiten und Pausen. Als könnte man Müdigkeit umrechnen auf die Woche.

Knechte der Marktwirtschaft

Da rackern sie, riskieren ihr Leben, jede Nacht, damit die, die sie hassen, vor vollen Regalen stehen. Der Dank ist ein Wust aus Vorurteilen: Raser, Säufer, Irre. Als würden sie Menschen fressen in ihren Fahrerhäuschen. Dabei haben sie selber Angst, wenn sie dastehen, nachts, unbewacht, wie die Hunde vor irgendwelchen Fabriktoren. Ausgeschlossen, ohne Toilette, Waschgelegenheit. Knechte der Marktwirtschaft. Immer im Kampf gegen die Uhr: "Die Urlauber haben Zeit, trullern mit 70 dahin und du hängst dahinter mit 420 PS unterm Arsch. Aber ick hab keene Zeit." Links leuchtet Bayreuth. "Gleich greifen wir die Spanische Treppe an", sagt Jürgen Koschau. Ostautobahn. Oben an seinem Lkw-Himmel zittert ein vertrocknetes Palmblatt. Hinten der Joghurt. Nur Jürgen Koschau schwebt, federt auf seinem Sitz auf und ab. "Wir sollten mal n Monat lang nischt ausliefern. Dann würde allet zusammenbrechen. Ruckartig würden wir in der Achtung der Bevölkerung steigen."

Er trägt Militärhose, Militärweste, eine Südstaaten-Rebellenfahne als Halstuch, einen australischen Buschmannhut- "meene Dienstkappe". Sie nennen ihn Django. Wenn er mit seinem Staubmantel unterwegs ist, sieht er aus wie Franz Xaver Kroetz, der sich in einen Italo-Western verirrt hat. Auf seinem alten Volvo klebte ein amerikanischer Weißkopfadler. Beim neuen Chef darf er das nicht: "Aber der Adler is immer an meener Seite. Wir sind beede vogelfrei. Et jibt nich mehr viele von uns. Nur eens unterscheidet uns: Er steht schon unter Naturschutz, ick arbeite noch dran."

Kein Adler erlaubt, aber die Maut muss rein. 150.000 Euro kostet so ein Laster. Und dann bohren sie ein Loch ins Armaturenbrett, für Geräte, die nicht funktionieren, die orange vor sich hinleuchten bis sie gegen neue eingewechselt werden. Und wenn man nach Italien runterfährt, dann piepst es, klickt es, gehen Schranken auf. Die anderen haben keine Probleme beim Abkassieren. Nur hier dieses Affentheater. Gegen die Maut hat Jürgen Koschau nichts - wenn alle zahlen. "Solang sich meen Chef mich noch leisten kann und dit Jeld in den Straßenbau fließt, nich in Politikertaschen, hab ick nischt dajejen."

Vorlieben auf der Straße

Outlaw Django. Trägt sein Outfit wie eine Schutzkleidung. Driver nennt er sich. "Immer da, wo der Wind mich hinweht, ohne Murren." Sein größter Schatz ist die Seite aus seinem Reisepass mit dem Australienvisum aus dem Jahr 1993, aufbewahrt in einer Klarsichthülle. Und ein Stein vom Ayers Rock. Heiligtümer. Seine Lieblingsstraße, die A23 in Italien, Kilometer 48 und 59, bei Trockenheit, "wie im Outback in Australien". Er hasst die A7, Hamburg - Kempten. Zu viele Berge, zu viele Löcher, zu viele PS-arme Autos.

Die Sekretärin erzählt kichernd, wie sich Django im Sommer eine Lederhose zurechtgeschnitten hat. "Is n bisschen knapp jeworden", sagt er. "Aber n wenig Eitelkeit schadet nischt. Die loofen ja zum Teil rum, die Fahrer, da muss sich keener wundern, dass die so nen schlechten Ruf haben." Er hat aufgeräumt. Hat beide Türen aufgemacht und mit der Luftdüse durchgeblasen. Grobreinigung. Besuch empfängt man nicht oft im Laster. Die meisten lassen nie einen rein, außer die Polizei macht eine "Hausdurchsuchung". Djangos Reich riecht nach Wunderbäumchen Vanille.

Führerschein auf Zeit

"Ick steh der Firma 365 Tage im Jahr zur Verfügung", sagt Jürgen Koschau, Lastwagenfahrer seit 1972. Gefahrene Kilometer: mehrere Millionen. "Das sind lauter Gejagte", sagt sein Chef, Klaus Fendler, 59, Firmengründer im oberbayerischen Edling, war selber jahrelang Fahrer. Jetzt fahren 130 Leute für ihn. Wenn Jürgen Koschau so alt ist wie der Chef, wird er seinen Baukredit immer noch nicht abgezahlt haben. "Investruine" nennt er das Haus, das er zu DDR-Zeiten angefangen hat zu bauen und nach dem Mauerfall nicht mehr bezahlen konnte - "nach dem Urknall". Damals hatte er noch Familie und Ehrgeiz. Heute hat er nur noch Schulden. Ein Dach wird das Haus nicht mehr bekommen. Er ist jetzt 49 Jahre alt, wird nächstes Jahr 50, da muss er sich den Lkw-Führerschein verlängern lassen. "Wenn sie mir den Führerschein nehm, dit wär det Schlimmste, wat man mir antun könnte", sagt er.

Hinter Nürnberg klingelt das Handy. Einzige Verbindung zur Außenwelt. Zentral gelegen, rechts neben dem Steuer, gleich daneben der Bildschirm des DVD-Players, der Aschenbecher, drüber der Truck-24-Computer der Firma. Damit sie wissen, wo er steckt. Drei Kumpels hat Jürgen Koschau noch. Den, der gerade anruft, hat er seit einem Jahr nicht gesehen. "Moinmoin", sagt er in die Dunkelheit hinein. Die Zeit verschwimmt im Schichtdienst, verliert sich in Raststätten, auf Autobahnen, an Rampen, weil immer Arbeit ist, immer Aufstehen, immer Müdigkeit. "Oft weeß ick selber nich mehr, wann bei mir der Tag anjefangen hat." Manchmal kommen ihm ganze Tage abhanden. Dann schaut er im Kalender nach, um sich zu orientieren. Er darf den Mittwoch nicht verlieren. Am Mittwoch ruft er seine Mutter an.

Außerhalb von Zeit und Raum

Zu DDR-Zeiten fuhr er erst Stadtversorgung, dann Kipper, dann Inlandsfernverkehr, nach dem Mauerfall Autotransporter. Dann fing die internationale Fahrerei an. Norditalien ist für ihn Nahverkehr. In Europa fehlen ihm nur noch Irland, Portugal und Finnland. Er kennt Parkplätze, Rampen, Industriegebiete. Hundertmal war er schon in Rom, Ringstraße, die Spanische Treppe aber kennt er nur von der A9. Man kann sein Auto nicht allein lassen, draußen, wo Prostituierte und Schwule auf Parkplätzen warten, und Gangster. Seit 1972 lebt er außerhalb von Raum und Zeit. Nachrichten hört er schon lange keine mehr. Wer gerade Verkehrsminister ist, "keene Ahnung". An der Windschutzscheibe liegt Karl Dönitz: "Erinnerungen 1935 - 1945". Daneben eine alte Bild-Zeitung, "falls mal keen Klo in der Nähe is". Gelesen hat er nur das Dönitz-Buch. Vor kurzem war er in Italien, Perugia, da waren Demonstranten mit Friedens-Fahnen auf der Straße. Jürgen Koschau fragt: "Haben wir etwa schon wieder Krieg?"

Blinke nicht - kämpfe

Einen Unterschied würde das für ihn nicht machen. "Denn uff der Bahn is immer Krieg. Keener jibt nach beim Überholen, Kollegialität jibt's im Prinzip jar nich mehr. Dit hängt mit dem Zeitdruck zusammen, jeder will der Erste sein. Jeder muss der Erste sein." Blinke nicht - kämpfe. Haben alle eine 40-Tonnen-Waffe dabei. Ob der besoffen ist oder schläft, ist letztlich egal. Jürgen Koschaus Überlebensstrategie: "Lieba der als ick, denkt man sich." Sein Vorgänger hat blaues Licht an der Decke installiert. Ihm wäre rot lieber, wie in einer U-Boot-Kommandozentrale. "Ick bin jetzt ja ooch uff Feindfahrt", sagt er. "Grundlage für den Job is, dit man Eijenbrötler is, sach ick mal." Dann fährt er bei der Raststätte Hirschberg raus.

Normalerweise meidet er Raststätten, fährt, wenn es geht, aus dem vollumzäunten Gehege Autobahn raus und stellt sich in die Landschaft, stellt den Bunsenbrenner auf und kocht. Im Kühlschrank hinter dem Sitz liegen Fertiggerichte. Dazu Nudeln aus Italien. Oder Frikadellen gleich auf die Faust. "Ick entscheide dit operativ. Manchmal muss man sich durch n bisschen Eis beißen. Wildlife." Wenn er gut drauf ist, sucht er sich einen Landgasthof. "Aber unsereins wird ja überall ausjegrenzt. Ick empfinde dit als ne Art Rassendiskriminierung."

Ohne Anschluss an die anderen Fahrer

Jürgen Koschau ist ein höflicher Mann, aber er meidet Menschen, auch seinesgleichen. Er mag das Männergeschwätz nicht an den Fernfahrertischen, die Angeberei, die Sauferei. Jeder ist der Schnellste, der beste Scheibentrickser, der mit den meisten Kilometern. Hier hat man den Eindruck, dass jeder ständig einen "Gibraltardurchbruch" hinlegt, von Süditalien nach Norddeutschland - nonstop. Und die Scheibe verschwindet: "Blowing in the wind." Hier hassen sie zurück, schimpfen über Grüne, Pkws, die Bahn.

Am Fernfahrertisch sind sie noch Helden, erzählen von alten Zeiten, als es Grenzen gab und man anstehen durfte, fordern, dass Spediteure mithaften für angewiesene Fahrzeitüberschreitungen, lästern über ihre größten Feinde: die Tiroler. Lastwagenhasser allesamt. Kaufen sich am Brenner billige Grundstücke und gehen dann demonstrieren. Nachtfahrverbot, Überholverbot, Geschwindigkeitsbegrenzung. An Tirol mögen die meisten nur die Musik. Und sie schimpfen übereinander. Über die Fahrer im Werkverkehr, die glücklichen, faulen, über die Fernfahrer mit Filzlatschen und die Trucker mit Wimpeln, Chromfelgen und Schickimickiautos. Bei 420 PS ist da die Welt zu Ende.

Klaus Back kennt das. Er ist Polizeikommissar der technischen Kontrollgruppe Würzburg. Mit einem Kollegen zuständig für 180 Kilometer Autobahn. Er weiß, dass sie alle manipulieren, dass sie Scheiben verschwinden lassen, zweite Geisterscheiben einführen, Blanko- Urlaubsbescheinigungen haben, Manipulationsgeräte in Italien kaufen, Sicherungen ausschrauben. Sie sind Getriebene. Was bleibt ihnen übrig. Bei manchen steht hinten drauf: "Hier arbeiten 400 Pferde und ein Esel." Über ihre eigenen Frauen reden sie nicht viel. Viele haben sie verloren, an Nicht-Lkw-Fahrer. Kommissar Back macht hier Aufbauarbeit. Seelische. Jeden ersten Montag im Monat sitzt er beim Truckerstammtisch in "Tonis Raststätte", Geiselwind, dem größten Autohof Europas. Auf der Speisenkarte Fernfahrerkost: "Fuhrmanns Grillplatte", "Der Brummtopf". Fleisch haufenweise. Wer bei Toni Strohofer eintritt, hält einen Laster in der Hand. Der Türgriff - ein Traum aus Holz.

Keine organisierte Gemeinschaft

Zusammenhalt? Von den mehr als eine Million Fernfahrern in Deutschland seien gerade mal drei Prozent organisiert, sagt Klaus Back. Der Vertreter von Verdi ist gar nicht erst zum Stammtisch gekommen. Back sagt: "Bei euch steht hinten drauf: Ohne uns rollt nichts, aber ihr fahrt doch alle." Gemurre. Ein Österreicher erzählt, dass sie Billigarbeiter aus dem Osten ankarren. "Die machen es für die Hälfte." Gemurre. "Und die Ausladerei. Von der Rampe schicken sie dich weg, wennst nicht selbst ablädst. Das is nicht mein Job. Der Franzos langt nix an." Beifälliges Nicken. "An den meisten Entladestellen gibt es nicht mal ein Klo oder Wasser. Das meldest dem Verband der Transportunternehmer, die interessieren sich einen Scheiß dafür." - "Tierschutzverein anrufen", schreit einer. Gelächter. "Der Franzos macht in so einem Fall die Straße dicht. Aber wir dürfen ja nicht. Wir Deutschen stehen am Ende der Straße." Es ist zehn Uhr abends, die meisten sind zufällig da. Zwangspause.

"Die Maut ist hier immer so ein Aspekt, mit dem man einen Lacheffekt reinbringt in den Abend. Wichtiger sind andere Themen: Überholverbot, Ruhezeiten, Ladesicherung", sagt Klaus Back. "Die Maut wird letztlich der Kunde zahlen. Ein paar Kleinspediteure werden vor die Hunde gehen", sagt einer. Den Fahrern kann das egal sein, solange sie ihren Job behalten. Nur über die Geräte ärgern sie sich. An der Scheibe klebt schon genug, österreichischer Eco-Tag, italienischer Telepass. "Wir pflastern uns zu. Irgendwann werden wir wegen Verstrahlung mit Bleischürzen fahren." Gelächter.

Jürgen Koschau starrt in die Nacht. Auf der Gegenspur Lasterstau, kilometerlang. Eine Lichterkette in der Dunkelheit. "Die suchen jetzt alle nen Schlafplatz. Aber nach 21 Uhr haste keene Chance mehr." Aus jedem Parkplatz ragen Laster heraus. Der Letzte lässt das Licht an. Vorsichtsmaßnahme. Wenn er Pech hat, verscheucht ihn die Polizei. "Da is der Italiener humaner." Wenn man mal einen legalen Platz findet, kommt der Nachbar, weil die Kühlung brummt. Einer hat ihm mal den Kühler ausgestellt. "Die solln mir doch nischt erzählen, sind doch alle schon bei 80 einjeschlafen, da isset doch ooch laut."

Wenn Müdigkeit weh tut

Es ist Mitternacht. Hundewache. So nennt Jürgen Koschau die Zeit zwischen null und vier Uhr morgens. Es ist die Zeit, in der die Müdigkeit weh tut. "Wat wir hier machen, is Kampf gegen die Natur. Wir sitzen da, halten uns am Lenkrad fest, gucken ausm Fenster." Funk hat er nicht, da wird ihm "zu viel Müll jeredet". Er kämpft sich alleine durch. Um 1.30 Uhr ist er im Berliner Großmarkt. Zwei Paletten. Eng ist es, eine ewige Rangiererei. Blasse Menschen stehen in der Lagerhalle zwischen Kübeln voller Quark und Magerjoghurt. Sehen aus wie eingefroren. Keiner hilft. Jürgen Koschau kurbelt. "Dit is der Punkt, wo ick mir sach, warum biste nicht zur christlichen Seefahrt, ick bin doch keen Zirkusclown." Reifen quietschen auf halb überteerten Schienen. "Hört sich an, als wennste n Schwein tot fährst." Er lacht. Einer klopft an die Scheibe, findet nicht mehr raus aus dem Großmarktverhau. Koschau erklärt es ihm, kurbelt das Fenster hoch, sagt: "Da musste dir nen Job suchen, wo nur die Sonne scheint, wenn dir det zu dunkel is."

Irgendwann steht er an Rampe 47, Aldi Jarmen. Es ist 7:05 Uhr. Verloren sieht er aus, so ohne Sitz, ohne Lenker. Es ist kalt. In der gigantischen Lagerhalle ist nichts los. Eine Frau fährt mit dem Fahrrad herum, kontrolliert lustlos seine Becher. Django steht schon wieder auf einem Gefährt, elektrobetrieben, kurvt herum, stellt seine Knuspertraum-Joghurt- Paletten in der dafür vorgesehenen Reihe ab. Neben Salatköpfen, Gartenleuchten und Eistee. Dann sucht er sich einen Platz für sich und sein Auto. Er wird kochen. In Paprika paniertes Nackensteak.

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