Unheimlicher Serienmörder:Schachspieler mit tödlichen Zügen

Emotionslos, beunruhigend präzise und ohne jede Reue beschreibt der Franzose Michel Fourniret die grauenhaften Morde an bisher neun Frauen.

Von Gerd Kröncke

Schon wieder eine dieser Mordaffären, die so entsetzlich sind, dass man das alles nicht mehr hören will. Aus der Ferne hatten die Franzosen den Marc-Dutroux-Prozess verfolgt und waren froh, dass der Fall jenseits ihrer Grenzen lag. Neulich hatte man einen eigenen, Aufsehen erregenden Prozess um tatsächliche und vermeintliche Kinderschänder, Delikte, die sich in einem Kleine-Leute-Viertel des Ortes Outreau zugetragen hatten, oben im Norden, auch nicht weit von der belgischen Grenze.

Dieser Prozess mit 17 Angeklagten war vorige Woche mit einigen Freisprüchen und vielen umstrittenen Verurteilungen zu Ende gegangen. Zudem werden täglich neue Fakten über einen Mädchenmörder bekannt, der mehr als die Hälfte seines Lebens in Gefängnissen und Psychiatrischen Anstalten verbracht hat und der in den Medien als "Pierrot der Wahnsinnige" apostrophiert wird.

Komplizin: Die Ehefrau

Nun aber diese Affäre, die alles andere in den Schatten stellt und in deren Mittelpunkt ein Mann namens Michel Fourniret steht. Seine Frau, die auch seine Komplizin war, hatte mit ihren Geständnissen die Untersuchungen ausgelöst. Sie war nach den Urteilen im belgischen Dutroux-Prozess in Panik geraten und hatte Angst, ihr Mann, der gerade die letzten Tage einer Gefängnisstrafe in Belgien verbüßte, könnte weiter morden.

Die Schönen und das Biest

Wenn alles stimmt, was man bis jetzt zu wissen glaubt, was Fourniret schon gestanden hat und was man erst ahnt, dann gibt es einen neuen Serienmörder. Einen ungewöhnlichen, unheimlichen Typ, der eine mörderische Leidenschaft für kindlich unschuldige Mädchen und junge Frauen entwickelt hat.

Schachspieler mit tödlichen Zügen

Ein paar Jahre war Michel Fourniret eine Art Schlossherr gewesen, nachdem er 1988 das verlassene Chateau du Sautou gekauft hatte. Woher das Geld kam, ist bislang rätselhaft, es gibt nur vage Vermutungen. Danach könnte es aus der Kriegskasse einer linksradikalen Organisation stammen. Im Gefängnis von Fleury-Mérogis bei Paris hatte sich Fourniret nämlich mit einem Rauschgifthändler angefreundet, der Verbindungen zur Action directe gehabt haben soll und der große Summen, angeblich auch Gold in Barren und Münzen, irgendwo versteckt hatte.

Nach seiner Freilassung hatte Fourniret jedenfalls die Frau des Mitgefangenen kontaktiert. Sie ist seit 1990 verschwunden. Das Anwesen hatte Fourniret seinerzeit bar bezahlt, zwei Millionen Francs.

Gerade am Graben-Ausheben

Das Schloss am Rande des Dorfes Donchery war ein Refugium für einen, der sich aus vielerlei Gründen abseits hielt. Ein Senator hatte es sich im 19. Jahrhundert als Jagdschlösschen gebaut. Niemand im Dorf oder in der weiteren Umgebung pflegte engeren Umgang mit Fourniret und dessen Frau. Er sei nie in der kleinen Bar aufgetaucht, man sah ihn nur selten im Ort.

Ein Nachbar, auf dem Hof einen Kilometer entfernt, berichtet, wie er Fourniret einmal besuchte, als der gerade einen Graben ausschachtete, angeblich um seine Telephonleitung zu installieren. Das kam dem Nachbarn merkwürdig vor, wo doch Kabel leicht neben elektrischen Leitungen zu verlegen sind. Neun Menschen hat Michel Fourniret nach seinen eigenen Angaben umgebracht. Zwei der Opfer wurden am Wochenende im Schatten des Schlosses ausgegraben.

"Genau, methodisch, professionell"

Wie ein Bauführer an einer Baustelle habe er die Grabungsarbeiten dirigiert, sagt ein Ermittler, "er war genau, methodisch, professionell". Dabei genoss er es, die Aufmerksamkeit von Dutzenden von Polizisten und Juristen zu haben, und am meisten, wenn der Generalstaatsanwalt selbst mit ihm sprach. Michel Fourniret ist ein kühler Typ.

Mit seiner Brille, seinem nicht ungepflegten Bart, den grauen Haaren wirkt er wie ein Lehrer im Ruhestand. Er ist 62 Jahre alt. Die sich näher mit ihm beschäftigt haben, bezeichnen ihn als einen Schachspieler. Tatsächlich hat er im Gefängnis viel Schach gespielt, hat seine Mitgefangenen unterwiesen, was er nicht ohne Stolz den Vernehmungsbeamten offenbart. Und wie ein guter Schachspieler lässt er es nicht dazu kommen, matt gesetzt zu werden.

Schachspieler mit tödlichen Zügen

Irritierende Emotionslosigkeit

"Wenn er sieht, dass er geschlagen ist, legt er seinen König aufs Brett", sagt Yves Charpenel, Generalstaatsanwalt von Reims, der ihn verhört hat, in einem Interview. Genau so war es, als seine Frau ausgepackt hatte. "Sie ist sehr couragiert", sagte er nur.

Die Ermittler irritiert Fournirets völlige Emotionslosigkeit. Er beschreibt die Gesichter seiner Opfer, die Kleider, die sie getragen haben, "mit beunruhigender Präzision", sagt ein Beamter, "leidenschaftslos und ohne jede Reue". Anderen fiel auf, dass der Mann, der nun "das Monster der Ardennen" genannt wird, eine Leidenschaft für Worte, für die französische Sprache verrät.

Voyeur, Exhibitionist, Vergewaltiger

Er spricht und schreibt in seinen Tagebüchern ein antiquiertes und immer sehr gepflegtes Französisch, mit leichtem Hang zum Schwülstigen, den Konjunktiv öfter gebrauchend als der Durchschnittsfranzose. Als "kalt und distanziert" erscheint er den Ermittlern, "als pervers und intelligent". Fourniret hatte schon seit den Sechzigerjahren immer wieder gesessen, anfangs nur wegen Voyeurismus und Exhibitionismus, später kamen schwere Vergewaltigungsdelikte hinzu.

Seine Frau Monique Olivier hatte ihn durch eine Bekanntschafts-Anzeige in einem Kirchenblatt kennen gelernt. Aus Nächstenliebe hatte sie gelegentlich Gefangene besucht und sich in diesen einen gleich bei ihrer ersten Begegnung 1984 hoffnungslos verliebt. Die beiden haben bald nach seiner Entlassung geheiratet, haben einen Sohn zusammen. Nach ihrem Leben im Schloss waren sie nach Belgien gegangen, wo Fourniret in dem Dorf Sart-Custinne als unbescholtener Bürger galt. Und so wie Michèle Martin, die Frau des Marc Dutroux, ist auch Monique Fourniret zur Mittäterin geworden.

"Er ist ein Jäger"

"Er ist ein Jäger", sagt Staatsanwalt Charpenel, "er hat sich selbst als ein Jäger von jungen Unberührten bezeichnet." Aber er war keiner, der einfach seinem Trieb nachgab. Vielmehr habe er seine perversen Eroberungen durchdacht, habe Szenarien durchgespielt, die Reaktion der Opfer kühl kalkuliert, ein Perfektionist des Verbrechens.

Junge, Hübsche suchte er sich, er wollte sie "entjungfern", und wenn sie keine Jungfrauen mehr waren, verstand er nicht, warum sie sich wehrten. Wenn er sie vergewaltigt hatte, musste er sie nach seiner perversen Logik umbringen und die Leichen verschwinden lassen. Die Ermittler sind nicht sicher, ob der Mann sich schon zu allen Morden bekannt hat.

Hilfsbereitschaft kostete das Leben

Wenigstens an sechs Morden soll seine Frau als Helferin beteiligt gewesen sein. Einmal, ihr gemeinsamer Sohn war noch ein Baby, hat sie nach eigenen Angaben eine junge Passantin ins Auto gelockt. Ihr Kind sei krank, sagte sie und bat die Frau, ob sie nicht zusteigen könne, um mit zum Arzt zu fahren. Das Mädchen wurde kurz darauf sein neues Opfer. Monique war ihrem Mann verfallen und selber voller Angst.

Wenn er untergehe, dann würde er sie mitreißen, hatte er ihr gedroht. Die belgischen Behörden haben, nachdem das Ausmaß der Verbrechen klar wurde, von Anfang an eng mit ihren französischen Kollegen zusammengearbeitet. Sie wollen, dass das Verfahren gegen den Franzosen in Frankreich stattfindet. Belgien hat genug an der Affäre Dutroux gelitten. Dieser Perverse ist ein Franzose.

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