Umwelt:Bremsspur in der Stratosphäre

Der Klimawandel verzögert die Erholung der Ozonschicht.

Von Roland Knauer

Wer Klima- und Atmosphärenforscher fragt, wann das Ozonloch geschlossen ist, bekommt eine Radio-Eriwan-Antwort. Im Prinzip bald, in der Realität später. Wissenschaftlich exakter formuliert, hört sich das so an: "Steigende Durchschnittstemperaturen verzögern das Schließen des Ozonlochs über der Antarktis um etwa zehn bis fünfzehn Jahre", sagt Martin Dameris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im bayerischen Oberpfaffenhofen.

Er hat jetzt mit vielen Kollegen Modellrechnungen des Deutsche Atmosphärenforschungsprogramms AFO 2000 veröffentlicht. Sie zeigen erstmals verlässlich, wie die Veränderung des Klimas die Reparatur der Ozonschicht bremst.

Und sie erklären die verwirrenden Meldungen des Jahres 2003: Im Sommer hieß es, beim Ozonloch sei eine Wende zum Besseren erreicht (SZ, 1.8.2003), im Herbst maßen Satelliten am Südpol das zweitgrößte Loch aller Zeiten, erneut waren zwei Drittel des Ozons zerstört (SZ, 2.9.2003).

Dieses Sauerstoff-Molekül (O3) fängt in der Stratosphäre, also in etwa zehn bis zwanzig Kilometern Höhe, etwa 80 Prozent der schädlichen Ultraviolett-Strahlung ab, die Hautkrebs und Sonnenbrand verursachen kann. Ozon wird durch so genannte Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) zerstört.

Diese Stoffe sind seit 1987 durch das Abkommen von Montreal geächtet, aber die einfache Rechnung "weniger FCKW gleich kleineres Ozonloch" ging nicht auf. Verantwortlich dafür ist die größere Kälte in der Stratosphäre, die den Abbau des Ozons begünstigt - darum entstehen Ozonlöcher an den Polen, aber nicht über gemäßigten Breiten.

Die Zunahme der Kälte in der Höhe wiederum ist eine paradoxe Folge der Erwärmung am Boden. Darauf weisen Atmosphärenforscher wie der Nobelpreisträger Paul Crutzen vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz schon lange hin: Wenn Kohlendioxid und andere Treibhausgase die vom Erdboden aufsteigende Wärmestrahlung abfangen, fehlt diese Wärme in den höheren Luftschichten.

Je mehr Kohlendioxid also in den unteren Atmosphärenschichten ist, um so kälter wird die Stratosphäre, umso effektiver zerstört das verbleibende FCKW das Ozon.

Darum mussten die Klimaforscher ganz neu rechnen, denn frühere Computer-Modelle berücksichtigten nur die Chemie der Atmosphäre. Daher haben Martin Dameris vom DLR sowie Kollegen von den Max-Planck-Instituten für Chemie in Mainz und für Meteorologie in Hamburg, den Forschungszentren Karlsruhe und Jülich sowie vom Deutschen Wetterdienst die vorhandenen Klimarechenmodelle mit den Ozonmodellen gekoppelt. Erst diese über zwölf Jahre entwickelte Simulation sagt die "Zukunft" des Ozonlochs voraus.

Demnach kühlt der Treibhauseffekt die Stratosphäre über der Antarktis so stark, dass das Ozonloch erst zwischen heute und dem Jahr 2008 überhaupt beginnen wird, sich zu schließen. Und vierzig bis fünfzig Jahre später soll es verschwunden sein. Das gilt aber nur für den Süden und nur unter der Voraussetzung, dass das Kyoto-Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgase greift.

Bei dieser Rechnung sind sich die deutschen mit ihren internationalen Kollegen weitgehend einig: Sieben weitere Teams in aller Welt haben solche gekoppelten Modelle entwickelt. Für den Norden hingegen gibt es völlig unterschiedliche Ergebnisse.

Während die Deutschen und einige andere Gruppen eine schnellere Heilung als im Süden vorhersagen, prognostizieren andere Teams eine Verzögerung wie über der Antarktis. Der Grund für die Abweichungen sind so genannte Luftwellen, die die Stratosphäre heizen können. Welchen Einfluss sie haben, ist umstritten.

Ohnehin aber sind die Verhältnisse am Nordpol weniger dramatisch als im Süden. Über der Arktis liegen die Temperaturen höher, statt zwei Dritteln wird nur rund ein Drittel des Ozons zerstört.

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