Umstrittene Kunst in Göttingen:Streit um den Saubären

Modellskulptur eines sich befummelnden Kragenbären

Gefummel vorm Fachwerk: So sieht sie aus, die umstrittene Bronzeskulptur des Göttinger Kragenbären. (Die kritische Stelle ist auf diesem Bild freilich aus Anstandsgründen ohnehin nicht zu sehen)

(Foto: Hubert Jelinek/dpa)

Eine in Bronze gegossene Skulptur in Göttingen soll an den 2006 verstorbenen Satiriker Robert Gernhardt erinnern. Doch das Modell des Bildhauers verschreckt selbst die aufgeklärten Geister der Studentenstadt. Es zeigt ein Raubtier - beim Onanieren.

Von Roman Deininger

Die im Grunde natürlich unstrittige Tugendhaftigkeit der Göttinger wird traditionell durch verführerische Kunstwerke im öffentlichen Raum auf die Probe gestellt. Seit mehr als hundert Jahren muss das Gänseliesel vor dem Alten Rathaus als härteste dieser Prüfungen gelten; Generationen von Studenten sind dann auch durchgerasselt. Das Gänseliesel ist eine von Federvieh umschwirrte, blutjunge Magd, so liebreizend, dass die Herren Studenten bisweilen Schlange stehen, um den Marktbrunnen zu erklimmen und des Liesels bronzene Lippen zu küssen. Dass seit 1926 eine städtische Verordnung das Knutschen des eher unschuldig in die Landschaft blickenden Mädchens untersagt, ignorieren die stürmischen Burschen geflissentlich.

Angesichts der Erfahrungen mit dem Gänseliesel wissen die Göttinger Stadtoberen nun noch nicht recht, was sie von der Idee halten sollen, das Skulpturenangebot demnächst um einen onanierenden Kragenbären zu erweitern. Dieser Tage saß der Bär - oder wenigstens ein 18 Zentimeter hohes Modellbärchen - mal versuchsweise auf seinem Sockel herum. Sein verschämter, abgewandter Blick wirkte, als hätte der Bildhauer schon vorausgeahnt, dass das eigentlich ganz beglückte Tier eines Tages von einem Dutzend aufdringlicher Fotografen belagert würde.

Die Sache mit dem Bären geht auf die Elche zurück, die Träger des gleichnamigen Göttinger Satirepreises. Sie planen, mit der Figur einem Großen ihrer Disziplin zu huldigen, dem Dichter, Maler und Titanic-Mitgründer Robert Gernhardt, der in Göttingen einst zur Schule ging. Später schenkte er der Welt herrlich komische Kreaturen wie eine erfolglos kellnernde Ratte oder das beredte Nilpferd Schnuffi. Manchmal reichte Gernhardt ein einziger kurzer Satz, um einem seiner Geschöpfe ein ziemlich langes Leben zu verleihen: "Der Kragenbär, der holt sich munter / einen nach dem anderen runter." Nicht das Nilpferd wollen die Elche jetzt auf den Sockel heben, nicht die Ratte. Die Elche wollen den Bären.

Auf "Details im Schritt", sagt der Bildhauer, habe er "bewusst verzichtet"

Der 2006 verstorbene Gernhardt hat dem Bären 1973 mit ein paar Zeichnungen auch ein Gesicht gegeben, oder vielmehr: einen Rücken. Mit was sich der Bär da brustseitig genau beschäftigt, sieht man auf den Bildern nicht - geistig wache Göttinger Studenten werden sich aber zu Recht fragen, warum das Raubtier so einen roten Kopf hat und so eine entrückte Miene. Auch Siegfried Böttcher, der Kasseler Künstler, der die endgültige Bärenskulptur in Waschmaschinengröße bereits fertig hat, übte sich in Zurückhaltung. Auf "Details im Schritt", erläutert er, "habe ich bewusst verzichtet". Gernhardts Witwe habe Gefallen geäußert: "Sie findet's gut."

All das freilich hindert zahlreiche Göttinger Kommunalpolitiker nicht daran, dem Kragenbären einen Anschlag auf die allgemeine Moral zu unterstellen. "Meines Erachtens", sagt Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck (SPD), "gibt es keine tiefergehende Botschaft bei diesem onanierenden Bären als den sexuellen Tabubruch." Vize-Landrätin Maria Gerl-Plein (Grüne) gab im Göttinger Tageblatt so etwas wie einen Stoßseufzer zu Protokoll: "Die Assoziationen wären einfach zu viel gewesen." Seit die Bärendebatte überregionale Aufmerksamkeit erfährt, ist das mit den Assoziationen in der Tat ein Problem, weil naturgemäß nicht jeder den Grat zwischen Kunst und Kalauer so fröhlich pfeifend entlang wandert wie Großmeister Gernhardt das tat. Spiegel Online zum Beispiel dichtete kühn: "Einen hoch auf Robert Gernhardt".

Männer wollen den Bären, Frauen nicht

Durch Göttingen verläuft inzwischen ein Bärengraben, nicht nach Parteien, sondern höchstens nach Geschlechtern. Zumindest wenn man die deutsche Sozialdemokratie allen Ernstes für einen Spiegel der Gesellschaft hält: Es gebe eine "Trennlinie" zwischen Männern (Bären-Befürworter) und Frauen (Bären-Gegnerinnen), verlautet aus der örtlichen SPD.

Während Leserbriefschreiber einen Bürgerentscheid fordern, scheinen die Unterstützer in und außerhalb der SPD langsam an Kraft zu gewinnen: Der künftige Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler, Sozialdemokrat und Mann, fände es "toll", wenn nach der Sommerpause "öffentlich" über das Denkmal diskutiert würde. Die CDU teilt taktisch versiert mit, man habe sich "abschließend noch kein Bild" vom onanierenden Bären gemacht. Die Linke hält "jede Klamotten-Werbung an Buswartehäuschen" für "frauenfeindlicher", was gewiss richtig ist, aber halt auch nicht das Problem.

Robert Gernhardt

Seine Witwe findet den Entwurf angeblich gut: Robert Gernhardt.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

In Bronze gegossene Gesellschaftskritik

Die Göttinger Elche jedenfalls haben neue Hoffnung geschöpft, doch noch mit der von ihnen gesponserten Skulptur den Robert-Gernhardt-Platz verschönern zu dürfen, der dem Vernehmen nach Verschönerung auch nötig hat. Der muntere Bär, argumentiert Bildhauer Böttcher, wäre schließlich weit mehr als ein sexueller Tabubruch, sondern in Bronze gegossene Gesellschaftskritik: "Es geht um die Ich-Bezogenheit, und dass sich die Leute nur noch mit sich selbst beschäftigen."

In Göttingen ist dieser Anwurf insofern nicht ganz zutreffend, als sich die Bürger auch immer schon gern mit Denkmal-Ideen beschäftigten. Parallel zum Bären setzen sie sich aktuell noch mit dem künstlerischen Konzept eines leeren Sockels auseinander: Der soll auf dem Bahnhofsplatz daran erinnern, dass sich ehedem die Göttinger Sieben, liberale Professoren, im Königreich Hannover gegen Ernst August I. auflehnten. An den Herrscher würden auf dem Steinquader nur die Hufabdrücke seines Pferdes gemahnen.

Kontrovers diskutiert wurde vor Jahren auch der "Rostige Reiter" vor dem Neuen Rathaus, wobei das Problem nicht der Reiter war, sondern das Pferd, oder ganz spezifisch das Geschlechtsteil desselben. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt: Die Göttinger haben mit ihrem Pferdepenis in Frieden zu leben gelernt. Sie brauchten nicht mal eine städtische Verordnung dafür.

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