Umstrittene Internetseite kreuz.net:Im Namen des Herrn

Hetze gegen Andersdenkende: Die Hinweise verdichten sich, dass es eine Verbindung zwischen der hasserfüllten Internetseite kreuz.net und Mitgliedern des ultrakonservativen "Netzwerks katholischer Priester" gibt. Nun ermittelt auch die Justiz. Wegen Volksverhetzung.

Rudolf Neumaier und Frederik Obermaier

Den Weg zur Polizei hätte er sich sparen können. Als David Berger zum ersten Mal vorsprach, zuckten die Beamten mit den Schultern. Er wies sie auf die Internet-Seite kreuz.net hin. Auf den Hass, der auf dem selbsternannten Portal für "Katholische Nachrichten" verbreitet wird. Hass auf Schwule wie ihn selbst, auf Juden, auf Politiker, auf Journalisten, auf Protestanten und auf Katholiken, die mit Herz und Hirn gläubig, aber nicht ohne Sinn und Verstand fromm sind oder bigott.

Als sich Berger zum zweiten Mal an die Polizei wandte, kam er aus Angst, denn er wurde bedroht auf kreuz.net. Wieder zuckten die Beamten mit den Schultern. "Damit müssen Sie leben", sagten sie. Gegen kreuz.net sei nichts zu machen. Das stimmt, bislang. Aber dann starb Dirk Bach, der Kommentator des RTL-Dschungelcamps, und weil der schwul war, meldete kreuz.net über den Toten, "der Kotstecher" schmore nun in der Hölle.

Seither hat kreuz.net noch mehr Klicks - und noch mehr Feinde. Der Berliner Verlag Bruno Gmünder, der Literatur für Homosexuelle herausgibt, hat eine fünfstellige Belohnung ausgelobt, der Theologe David Berger sammelt die Hinweise, die zur kreuz.net-Redaktion führen sollen. Nun hat auch die Justiz ernsthaft zu ermitteln begonnen. Wegen Volksverhetzung. Berger hat der Berliner Staatsanwaltschaft Namen von fünf Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übermittelt, bei denen es Hinweise gibt, dass sie hinter kreuz.net stecken. Auch der Bundesverfassungsschutz sucht nach den Machern des Hetzportals.

Spott für die Ermittler

Noch spottet kreuz.net darüber. Aber erste Erfolge können die Jäger der katholischen Netz-Agitatoren schon verbuchen. Während bisher die Piusbruderschaft im Verdacht stand, verdichten sich die Hinweise nun immerhin darauf, dass das kirchenpolitisch reaktionäre "Netzwerk katholischer Priester" (NKP) dem Portal zumindest sehr nahe steht.

In dieser Woche musste ein NKP-Mitglied, der katholische Pfarrer Hendrick Jolie aus Hessen, nach David Bergers Recherchen einräumen, dass er im kreuz.net-Forum, wo sich Holocaust-Leugner und Homophobe tummeln, "Kommentare zu allen möglichen theologischen Themen" verfasste. Manchmal vergriff er sich in der Wortwahl, wenn er etwa einen anderen Forumsbesucher mit dem Schimpfwort "Spacko" betitelte. Und er hatte E-Mail-Kontakt mit der Redaktion von kreuz.net - über den Inhalt schweigt er bislang. In der kommenden Woche muss er sich seinen Vorgesetzten erklären. Das Bistum Mainz warnt vor einer Vorverurteilung. Allerdings hat die Deutsche Bischofskonferenz klargemacht, dass Priester, die auf kreuz.net aktiv sind, mit arbeitsrechtlichen Schritten rechnen müssen.

Wer schreibt für kreuz.net?

Neben dem Pfarrer lassen sich auch andere Autoren identifizieren. Der Süddeutschen Zeitung liegt eine Liste mit Personen vor, die an die Redaktion des Hetzportals Mails schickten. Einer der Absender ist Walter B., Rentner aus Magdeburg. B. war bis 2007 Muslim, bei einer Reise nach Mekka fiel er jedoch vom Glauben ab. Heute bezeichnet er sich als Atheisten, allerdings befasst er sich als Übersetzer aus arabischer Warte mit dem Palästina-Konflikt. In Israel hat er Einreiseverbot.

Die Frage, ob er es für möglich halte, dass neutrale Leser ihn für einen Antisemiten halten könnten, bejaht er ohne Umschweife. Und kreuz.net? Ja, da habe er Artikel hingeschickt, die seien auch publiziert worden. Die kreuz.net-Redaktion habe sich auch der Kurznachrichten und der Illustrationen des Magazins der Freunde Palästinas bedient. Als die verbale Leichenschändung gegen Dirk Bach einsetzte, habe er sich von kreuz.net verabschiedet. "Der Tonfall ist mir zu ätzend", sagt B., "mit diesem Klerikalfaschismus kann ich nichts anfangen." B. könnte eine der Hauptquellen für judenfeindliche Berichte aus Nahost gewesen sein.

Genauso freimütig erzählt Wilhelm D., ein zölibatär lebender früherer Religionslehrer aus Augsburg, von seinen Kontakten mit der anonymen Redaktion. Ja, er habe ihr Beiträge geschickt: "Einmal habe ich total gegen die Seligsprechung von Johannes Paul II. geschossen, ein anderes Mal musste ich unseren Bischof gegen Angriffe verteidigen." Kreuz.net habe redigierte Versionen zur Autorisierung zurückgeschickt und dann veröffentlicht. Gegenwärtig vertieft er sich in die Gender-Debatte. Gut möglich, dass er seine Meinung demnächst auf kreuz.net kundtut.

Zu heikel? Zu bösartig? kreuz.net nimmt alles

Ein weiterer Autor, der sich im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung offen zu seinen Artikeln bekennt, heißt Andreas K. und arbeitet in Österreich als selbständiger Unternehmensberater. Und im Internet ist er, ehrenamtlich, "als Lebensschützer" aktiv. Das heißt konkret: "Ich kämpfe gegen die herrschende Form der politischen Korrektheit, Zensur, Tabuisierung von Themen wie Abtreibung und Organentnahme bei Sterbenden und gegen Meinungsgleichschalterei."

Was anderen Print- und Onlinemedien wie dem Standard, der Presse und kath.net zu heikel oder zu bösartig ist, bekommt er auf kreuz.net unter. Die Sprache, mit der das Portal viele Beiträge intoniert, sei ihm unangenehm, sagt K., aber das nehme er in Kauf. Was die redaktionelle Bearbeitung seiner Texte angeht, habe er das Portal als korrekt erlebt, korrekter als andere Medien. Der Lebensschützer klingt wie einer von diesen älteren Menschen, die Hitler verteidigen, weil er die Autobahnen baute.

Wer sind die Hintermänner?

Wer nach den Hintermännern von kreuz.net fragt, bekommt keine Namen, aber viele Antworten, die auf einen Nenner hinauslaufen: Es handelt sich um katholische Fundamentalisten, die das Zweite Vatikanische Konzil und eine weltoffene Ausrichtung der Kirche verdammen. Denn nie werden Texte für die vor fünfzig Jahren eingeführte Liturgie veröffentlicht. Kirchenpolitisch und liturgisch betrachtet sind die Ziele von kreuz.net mit denen des "Netzwerks katholischer Priester" identisch. Bei diesem NKP handelt es sich um eine Vereinigung von angeblich mehreren hundert Männern, die ebenso gern in Soutane unterwegs sind wie sie lateinische Messen im Tridentinischen Ritus lesen, der beim Zweiten Vatikanischen Konzil abgeschafft und von Papst Benedikt XVI. wieder erlaubt wurde.

Wie nahe das NKP kreuz.net steht, lässt sich durch mehrere Indizien erschließen. Eine Zeit lang prangte auf der Startseite von kreuz.net etwa ein Banner, das für den reaktionären Priesterbund warb. Und noch im Januar 2009 war auf der Internetseite der reaktionären Pfarrer ein kreuz.net-Liveticker geschaltet. Erst als ein anderer Pfarrer und David Berger mit Verweis auf die menschenverachtenden Inhalte intervenierten, nahmen die drei NKP-Sprecher Jolie, Uwe Winkel und Guido Rodheudt den Ticker von ihrer Seite. Beliebt ist das NKP bei kreuz.net immer noch: Über Rodheudt finden sich 56 Artikel und über die drei Netzwerkspriester zusammen elf Artikel. Alle wohlwollend, versteht sich.

Am 24. Dezember 2009 erschien auf dem Hetzportal unter dem Titel "Nach Gott ist der Priester alles" eine Weihnachtsbotschaft von Jolie, Rodheudt und Winkel, in der sie ihr traditionalistisches Priesterbild als Autoren zum Ausdruck brachten. "Das war ein Newsletter von uns, den kreuz.net wie so oft übernahm, ohne uns zu fragen", sagt Hendrick Jolie. Seltsam ist nur, dass auf der NKP-Homepage sehr viele und auch sehr viele ältere Stellungnahmen zu finden sind, ausgerechnet diese Weihnachtsbotschaft aber nicht. Wurde sie etwa explizit für kreuz.net geschrieben? Auf solche Fragen gibt das Priesternetzwerk keine Antworten mehr.

Pfarrer Winkel verweist auf eine mehrere Tage alte Presseerklärung und auf ein Update seines Mitbruders Jolie vom Donnerstag, wonach sich das Priesternetzwerk "von jeglicher Form von Diffamierung und Diskriminierung" distanziere. In der Erklärung werden Inhalte des Portals kritisiert, aber nicht das Projekt kreuz.net selbst. Und in einem Interview mit der Zeitung Tagespost wies Rodheudt eine Verbindung zu kreuz.net von sich: Das Netzwerk sei "Opfer der in der heutigen Medienlandschaft fast unausweichlichen Sucht zur Kommunikation, in der Genauigkeit des Urteils und Diskursfähigkeit so gut wie keine Rolle mehr spielen".

"Unsere Bewegung ist ein Krisenindikator"

Und Hendrick Jolie sagte in dem Interview: "Unsere Bewegung ist eine Art Krisenindikator." Das kann man so und so interpretieren. An Einfluss legen die Netzwerker jedenfalls zu: Vor kurzem würdigte der Päpstliche Gesandte des Papstes das NKP mit einem Besuch der Bundesversammlung. Mit ihm auf dem Foto posiert der neue Österreich-Kontaktmann des Netzwerks, Christian Sieberer aus Wien-Penzing.

Sieberer wird auf kreuz.net gefeiert, weil er sich Ärger mit seinem Erzbischof einhandelte. Der Pfarrherr griff auf eine aus Sicht seines Chefs ungebührliche Weise in die Wahl des Pfarrgemeinderates ein. Wer bei Sieberer anruft und sich als Journalist vorstellt, um sich über sein Verhältnis zu kreuz.net zu erkundigen, bekommt schon vor der ersten Frage zu hören, er gebe zu diesem Thema keine Auskunft. Dann legt er auf. Ob er sich als Opfer der heutigen Medienlandschaft sieht, kann man Sieberer deshalb auch nicht fragen.

Im Internet ist Sieberer jedenfalls außerordentlich versiert: Von seiner Seite www.pfaffenheini.net kann sich mancher professionelle Mediengestalter eine Scheibe abschneiden. Das Vermitteln von christlicher Nächstenliebe steht dort nicht unbedingt an erster Stelle - das kennt man doch irgendwoher. Viele Nebenseiten, auf denen Sieberer als pfaffenheini seine Sicht auf Gott und die Welt kundtut, atmen eher eine latente Angriffslust. Auf seiner "Exorzismus"-Seite verkündet er, dass er schon mehrere Teufelsaustreibungen erlebt habe. "Das bringt's."

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